Dokumentarfilm | Großbritannien/Libanon/Dänemark/Vereinigte Arabische Emirate 2012 | 93 Minuten

Regie: Mahdi Fleifel

Jährlich reist der in Dänemark lebende Palästinenser Mahdi Fleifel ins Flüchtlingslager Ain el-Helweh im Süd-Libanon, wo er in den 1980er-Jahren seine Kindheit verbrachte. Er und sein Vater hielten ihre Erlebnisse im Camp mit der Videokamera fest, nun mündet das umfängliche Filmmaterial in eine Art Langzeitbeobachtung aus subjektiver Perspektive. Der betont leichte, fast vergnügte Film zeichnet das Erwachsenwerden des Regisseurs nach, wobei Bilder der baufälligen Unterkünfte, vor allem aber mehr die erdrückende Resignation unter den aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinensern einen eigentümlichen Kontrast bilden. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ALAM LAYSA LANA
Produktionsland
Großbritannien/Libanon/Dänemark/Vereinigte Arabische Emirate
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Nabka Filmworks
Regie
Mahdi Fleifel
Buch
Mahdi Fleifel
Kamera
Mahdi Fleifel
Musik
Jon Opstad
Schnitt
Michael Aaglund
Länge
93 Minuten
Kinostart
18.09.2014
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Der Blick schweift über das Flüchtlingslager. Es gibt einen Friedhof, aber bald wird ein größerer gebaut; der alte Friedhof ist einfach zu klein. Die Fakten über den Sehnsuchtsort seiner Kindheit, über das palästinensische Camp Ain el-Helweh, handelt der Regisseur Mahdi Fleifel in den ersten Minuten ab: Seit 65 Jahren leben hier im Süd-Libanon auf sehr engem Raum mehr als 70.000 Menschen. Fleifels Blick ist persönlich: nach den Fakten schweift er in die Kindheit. Fleifel wuchs in Dubai und in Ain el-Helweh auf; als er im frühen Schulkindalter war, ging seine Familie nach Dänemark. In den Ferien kehrte die Familie jedoch ins Lager zurück; es wurde zum magischen Ort, an dem sich die (Ferien-)Zeit ins Endlose dehnte und an dem alles so anders war als zu Hause. Der Ton des Films ist leicht und vergnügt. Ein Off-Kommentar des Regisseurs führt durch den Film, der mit fröhlich-beschwingter Musik unterlegt ist. Oft genug steht diese in eigentümlichem Kontrast zu den Bildern von heruntergekommenen Bauten, die nicht für die Ewigkeit gedacht waren, und von Kindern, die stolz mit Waffen posieren. Fleifel kann auf umfangreiches Filmmaterial zurück greifen: Bei seinen Besuchen hat er stets s gedreht, doch auch sein Vater hat die Familie schon mit der Videokamera begleitet. Im heimischen Dänemark jagen Kinder und Vater ein Schaft über die Weide, ehe es geschächtet wird; im Lager lassen junge Rambos ihre Muskeln spielen, inspiriert von den Actionfilmen aus dem lokalen Kino. Fleifel greift zwei Protagonisten, beides Männer – Frauen spielen in „A World not Ours“ praktisch keine Rolle – heraus und begleitet sie über die Jahre. Der eine ist sein Jugendfreund Abu Eyad, der andere sein Onkel Said. Außerdem gibt es noch seinen Großvater, bei dem er wohnt, wenn er in Ani el-Helweh ist, und der letztlich nie aufgehört hat, von der Rückkehr nach Palästina zu träumen. Die Entwicklung, die der Regisseur anhand seiner Protagonisten skizziert, zeichnet sein Erwachsenwerden nach – und ist gleichzeitig ein Dokument fortschreitender Resignation. Fleifel, der studiert und Arbeit hat, einen Sinn sieht und vor allem das Lager verlassen kann, wann er will, muss erkennen, dass die Welt, die seine Kindheit und Jugend prägte, den Menschen, die in ihr leben müssen, keine Zukunft bietet. Nebenbei perlt unaufdringlich die Zeitgeschichte in den Film: Ben-Gurions Rede zur Staatsgründung Israels („die Alten werden sterben und die Jungen werden vergessen“), der Hanschlag von Jitzhak Rabin und Jassir Arafat 1993 in Washington. Mit expliziter Kritik hält sich Fleifel im Off-Kommentar zurück, er lässt eher seine Protagonisten sprechen. Israel, die palästinensische Führung und speziell die Fatah, der Libanon: die Flüchtlinge fühlen sich im Stich gelassen, und sie werden im Stich gelassen. Umso expliziter äußerte sich der Regisseur nach der Vorführung seines Films auf der Berlinale 2013, worin er das Existenzrecht Israels in Frage stellte, was einen Skandal um den Friedensfilmpreis der Heinrich-Böll-Stiftung provozierte, der dem Film verliehen worden war. Auch wenn der Regisseur deshalb ins Zwielicht geraten ist, gilt für den Film, dass gerade der persönliche Blick und der positiver Ansatz - einen roten Faden bilden die jeweiligen Fußballweltmeisterschaften, bei denen sich die Palästinenser in Ani el-Helweh verschiedene Nationen aussuchen – eine neue Perspektive auf das Flüchtlingselend der etwa eine halbe Million zählenden Palästinenser im Libanon. Sie haben kaum Zugang zu Bildung, dürfen nur sehr eingeschränkt arbeiten; zwei Drittel von ihnen sind arm. Fleifel zitiert in einem Interview mit einer arabischen Journalistin seinen Vater: „Unsere Geschichte ist eine Tragödie und unsere Gegenwart eine Katastrophe. Zum Glück haben wir keine Zukunft.“
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