Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 95 Minuten

Regie: Annekatrin Hendel

Die Geschichte von Sascha Anderson, der als Dichter, Sänger und Verleger ein gefeierter Star der alternativen Ost-Berliner Literaturszene war, bis er 1991 als Stasi-Agent enttarnt wurde. Der Dokumentarfilm zeichnet nicht nur Andersons Geschichte nach, sondern vor allem auch die Prozesse, die aus dem Vertrauensbruch für Verräter und Verratenen resultieren. Auch nach 20 Jahren ist bei allen Beteiligten noch die tiefe Verunsicherung zu spüren, die dem Selbstbildnis der Oppositionellen bleibende Risse zugefügt hat. (Zweiter Teil einer Trilogie über Verrat und Verräter; erster Teil: "Vaterlandsverräter", 2011) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
IT WORKS! Medien/RBB/HR
Regie
Annekatrin Hendel
Buch
Annekatrin Hendel
Kamera
Frank Griebe · Jule Cramer
Schnitt
Jörg Hauschild
Länge
95 Minuten
Kinostart
02.10.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
1991 wandelte sich das Bild von Sascha Anderson: Er war nicht mehr nur Dichter, Verleger, Sänger und Projektemacher, „Obermacker“ (Anderson) der Künstlerszene vom Prenzlauer Berg, sondern dank Wolf Biermann auch „Sascha Arschloch“ und später dann dank der Recherchen von Jürgen Fuchs und dem Auffinden von ungefähr 1500 Seiten geschredderter Aktenblätter ein sehr produktiver IM der Staatssicherheit. Seit 1975. „Mit Feindberührung“. Als die Sache ans Licht kam und auch nicht mehr abgeleugnet werden konnte, versuchte sich Anderson in poststrukturalistische Sophistereien zu retten, in denen Worte wie „Theorie“, „Praxis“ oder auch „Spiel“ eine zentrale Rolle spielten. Man kann den Fall Anderson wohl als Ausdruck einer narzisstischen Hybris verstehen, die genug Kontrolle zu haben glaubte, um mit allen Beteiligten gleichzeitig ein subversives Spiel zu spielen. So wurde Anderson zum Impresario und zum Verräter einer Szene, wobei nicht ganz klar ist, ob das eine nicht ohne das andere zu haben war oder ob sich beides bedingte. Ist das heute noch interessant außerhalb des engeren Freundes- und Kollegenkreises? Die Wunden des Verrats scheinen noch nicht verheilt, zumal sich Anderson öffentlich noch nicht entschuldigt hat. „Off the records“ dagegen offenbar schon, denn in die Unversöhnlichkeit der Befragten mischen sich auch noch immer faszinierte Erinnerungen an die Zeit, als „sexy Sascha“ als Popstar die Ostberliner Szene aufmischte. Über Andersons Schuld braucht man nicht mehr zu diskutieren, weshalb man sich die theatralische Empörung Biermanns auch sparen kann und sich lieber darauf konzentriert, was Annekatrin Hendel im zweiten Teil ihrer Trilogie über Verrat und Verräter („Vaterlandsverräter“; (fd 40 697)) über das Beobachten von Körperhaltungen und das Dokumentieren von Sprache anzubieten hat. Neben Anderson selbst, der mittlerweile in Frankfurt lebt, mit Alissa Walser liiert ist und sein Privatleben ironischerweise aus dem Film herauszuhalten versucht, kommen ehemalige Freunde wie Wilfriede und Ekkehard Maaß, Cornelia Schleime, Holger Kulick oder Bert Papenfuß-Gorek zu Wort, die ihre Sicht der Dinge in teilweise pfiffig ausgedachten filmischen Räumen darlegen. Während Ekkehard Maaß, dem Anderson auch noch die Frau ausspannte, davon spricht, dass in anderen Kulturen auf Freundschaftsverrat der Tod stehe, arbeitet Papenfuß-Gorek schon wieder mit Anderson zusammen. Und auch Anderson selbst, der in einem Nachbau der Maaßschen Wohnküche agieren muss, spricht recht kleinlaut von „Feigheit vor dem Freund“, weil er weiß, dass vielleicht noch schlimmer als der Verrat dessen Leugnen gewesen ist. Leitmotivisch zieht sich ein Gedicht Andersons durch den Film: „Vor dem Gartenhaus stehen drei Birken, die heißen Schuld und Sühne. Ich weiß, welche die Liebste mir ist.“ Das ist typisch für den durch Sachlichkeit provozierenden Anderson, der es gerne etwas komplexer und offener mag und sich nicht entschuldigen mag, weil das eine anmaßende Geste wäre. Er könne sich nicht entschuldigen, ihm müsse verziehen werden. Auf diese Pointe läuft der sehenswerte Film hinaus, der anschaulich macht, was der Verrat mit dem Verräter, aber auch mit den Verratenen macht. Auch 20 Jahre später ist die große Verunsicherung der Beteiligten zu spüren, weil durch Andersons Rolle in der Künstlerszene und seinen Verrat auch das eigene Selbstverständnis und Selbstbild als Oppositioneller einen tiefen Riss bekommen hat.
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