Im Krieg - Der 1. Weltkrieg in 3D

Dokumentarfilm | Deutschland/Großbritannien/Frankreich 2014 | 103 Minuten

Regie: Nikolai Vialkowitsch

Auf der Basis zeitgenössischer Stereoskopien sowie literarischer und privater Schriftstücke rekonstruiert der Dokumentarfilm den Ersten Weltkrieg als ein Mosaik persönlicher Erfahrungen. Statt auf historische Fakten oder kontinuierliche Erzählstränge setzt die Dokumentation auf eine intensive emotionale, sinnliche und atmosphärische Wirkung. Dramaturgisch erscheint der Film mitunter etwas dürftig und auch musikalisch überfrachtet; stets aber kann er sich auf die überwältigende visuelle Kraft seiner 3D-Bilder verlassen, die so noch nie zuvor im Kino zu sehen waren. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Großbritannien/Frankreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Looks Filmprod./Parallax Rpaumprojektion/Stamm Film/Cwmni Da/ECPAD/RBB
Regie
Nikolai Vialkowitsch
Buch
Nikolai Vialkowitsch
Kamera
Andreas Tondorf · Rolf Ableiter
Musik
Henrik Albrecht
Schnitt
Ulrich Stein
Länge
103 Minuten
Kinostart
25.09.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Noch ist Frieden. Die ersten Aufnahmen von Nikolai Vialkowitschs dokumentarischem 3D-Projekt „Im Krieg“ zeigen die historische Stereoskopie einer Strandpromenade kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Das Panorama entfaltet sich wie ein überlebensgroßes, begehbares Wimmelbuch, in das sich die Kamera sogleich hineinbegibt. Sie bewegt sich zwischen den flanierenden Frauen und Männern, scheint an den im Sand spielenden oder im Wasser planschenden Kindern vorbeizuschlendern. Es ist, als tauche man in das auch auf Leinwandgröße noch immer gestochen scharfe Bild und zugleich in die Zeit ein, in der jene Fotografie entstand. Der erste Eindruck ist schlicht überwältigend. Allein dafür lohnt sich der Kinobesuch. Wenn man sich nur ein wenig für die besondere Visualität der 3D-Fotografie begeistern kann, ist dieses außergewöhnliche Filmwerk, in dem der auf dreidimensionale Aufnahmen spezialisierte Filmemacher Vialkowitsch historische Stereoskopien mit moderner 3D-Technik aufarbeitet, ein Muss. Vom Krieg ist in diesen grandiosen Anfangsmomenten noch nichts zu sehen. Vor allem die optische Qualität der historischen Aufnahmen zieht in ihren Bann. Es ist der Effekt, der fasziniert und der seinen Reiz auch dann nicht gänzlich einbüßt, wenn es Schützengräben, Feldlager und Lazarette sind, die ins mitunter handkolorierte Bild rücken. Dennoch verbraucht er sich nach und nach. Unter den vielen Fotografien, die in aufwändiger, akribischer Recherche aus unterschiedlichen Archiven zusammengetragen wurden, finden sich einige, die nachhaltig verstören. Aufnahmen zerfetzter Leiber etwa, denen sich die Inszenierung mit gebotenem Respekt nur zurückhaltend nähert. Manchen der offensichtlich für die stereoskopische Kamera arrangierten oder nachgestellten Motive haftet in ihrer Fülle aber auch etwas Austauschbares an. In Unterständen posierende Soldaten diesseits und jenseits der Front, die oftmals direkt in die Kamera schauen, genügen auf Filmlänge nicht, um die Zeit, aus der die Bilder stammen, lebendig werden zu lassen. Der Dramaturgie, für die Andres Veiel verantwortlich zeichnet, fehlt es an erzählerischem Stoff. Vialkowitsch versucht der musealen Erstarrung entgegenzuwirken, indem auf der Tonspur zeitgenössische literarische Texte, private Korrespondenzen, Briefe, Tagebücher einen historischen und zugleich narrativen Kontext erzeugen sollen. Bisweilen aber reiben sich die von renommierten Schauspielern wie Peter Matić oder Miroslav Nemec vorgetragenen Passagen auf ebenso irritierende wie erhellende Weise mit den Bildern. Wenn man hört, wie sich Stefan Zweig in einem Auszug aus „Die Welt von Gestern“ daran erinnert, wie nach Ende des Ersten Weltkriegs die Menschen auf den Straßen jubelten, beseelt vom Glauben an „das gemeinsame Europa“ und an eine andere, „bessere, humanere Welt“, scheint das so gar nicht zu den ernsten Mienen der Menschenmenge am Brandenburger Tor zu passen oder zu dem, was wir rückblickend in diese Gesichter hineinlesen. Ein wesentliches dramaturgisches Element ist die symphonische Untermalung durch Henrik Albrecht, die vor allem für emotionale Bewegung sorgt. Das funktioniert abschnittsweise wunderbar, ist insgesamt aber zuviel. Ein paar stille Augenblicke hätten die Dynamik der brodelnden, brausenden Wucht gesteigert, mit der sich die musikalisch zweifellos hochwertige Komposition der Stereoskopien bemächtigt. Die kontrapunktisch zwischengeschnittenen Inszenierungen aus der Gegenwart, in denen die Kamera in wabernder Symbolik über überwucherte Bahngleise schwebt oder durch die Ruinen ehemaliger Schützengräben geistert, geraten auf diesem Klangteppich eher pathetisch als poetisch. Letztlich erweisen sich die eindringlichen Texte und die imposanten Bilder doch als stärker. Im Grunde ist „Im Krieg“ schon nach wenigen Minuten über alle berechtigte Kritik erhaben: Wann gab es zuletzt einen deutschen Dokumentarfilm, der so kinoaffin war? Vialkowitsch hat mit den stereoskopischen Fotografien einen historischen Schatz geborgen und daraus eine eigene, mitunter magisch anmutende filmische Sprache entwickelt. Bilder, wie man sie so noch nie zuvor im Kino gesehen hat. Das ist das, was am Ende bleibt.
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