Vulva 3.0 - Zwischen Tabu und Tuning

Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 78 Minuten

Regie: Claudia Richarz

Von der „Vagina dentata“, der bezahnten Vagina, bis zur operativ angeblich verschönerten Vulva wird eine feministische Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtsorgans erzählt. Ein erhellende Dokumentarfilm interpretiert das vorherrschende Schönheitsideal als lustfeindliches Einheitsdiktat im Schatten eines nach wie vor wirksamen Tabus. Spannende historische Exkurse flankieren dabei aktuelle Diskurse aus Sexualpädagogik, Kulturwissenschaft und Medizin. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
MMM Film Zimmermann & Co.
Regie
Claudia Richarz · Ulrike Zimmermann
Buch
Ulrike Zimmermann
Kamera
Claudia Richarz
Musik
Roland Musolff
Schnitt
Daniela Boch · Antje Lass
Länge
78 Minuten
Kinostart
02.10.2014
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
WVG (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Eine „Vagina dentata“, eine „bezahnte Vagina“ gibt es natürlich auch zu sehen, eine Illustration, aber erst spät. „Vulva 3.0 – Zwischen Tabu und Tuning“ beginnt gewissermaßen mit dem Gegenteil: einer nach gängigen Schönheitsidealen gerade intimoperierten Vulva. „Perfekt“, sagt die Chirurgin mit dem Fotoapparat in der Hand, „zwar total amerikanisch, aber schön“. Operationen bilden die Klammer des so unterhaltsamen wie aufschlussreichen Films, an dessen Ende ein Intimchirurgen-Kongress inklusive Live-Zuschaltung einer „Schamlippenverkleinerung mit Klitorismantelkorrektur“ steht. Das moderne Schönheitsideal sieht eine entweiblichte und verkindlichte Vulva vor, ein Dreieck der Scham im doppelten Wortsinne, so unsichtbar wie möglich. Die Dokumentarfilmemacherinnen Ulrike Zimmermann und Claudia Richarz nähern sich in „Vulva 3.0“ der Genese dieses Ideals an, schreiben eine Art feministische Kulturgeschichte der Vulva. Spielerisch und unverkrampft collagieren sie unterschiedliche Protagonisten, Zusammenhänge, kulturelle Repräsentationen der Vulva. „Was für Bilder gibt es?“, lautet eine zentrale Frage des Films, und: „Wer will sie sehen, und warum eigentlich nicht?“ Eine Sexualpädagogin zeigt die klassisch unschön belichteten Bilder in einem Lehrbuch und meint, damit brauche man bei jungen Mädchen erst gar nicht anfangen. Stattdessen würde ein zu Demonstrationszwecken angefertigtes Modell aus Plüsch verwendet, beweglich wie eine Handpuppe. Von herkömmlichen anatomischen Darstellungen setzen sich die im Film vorstellten Modelle vor allem dadurch ab, dass sie nicht nur die Fortpflanzung oder die Verhütung im Blick haben, sondern auch und wesentlich die weibliche Lust. Spannend sind die Exkurse in die Geschichte: Die Medizinhistorikerin Marion Hulverscheidt freut sich über die Bezeichnung „weibliche Wolllustorgane“, die eine detailgenaue Abbildung ergänzt. Auf der anderen Seite berichtet sie von Beschneidungen im Europa des 19. Jahrhunderts, die bei Frauen Hysterie und Masturbation kurieren sollten. Von der Fruchtbarkeitsgöttin Baubo und dem Glauben an das heilsbringende Zeigen der Vulva erzählt die Kulturwissenschaftlerin Mithu Melanie Sanyal. Leidenschaftlich referiert sie die Geschichte der verschleppten Südafrikanerin Sara Baartman, die Anfang des 19. Jahrhunderts in England und Frankreich als „Hottentotten-Venus“ zur Schau gestellt wurde, unter anderem wegen ihrer langen inneren Schamlippen. Kontrapunktisch dazu wird im Film das wichtige Thema der weiblichen Genitalverstümmelung oder Beschneidung eingesetzt, wie sie in bestimmten Kulturkreisen praktiziert wird. Religionsübergreifend würde diese Praxis ausschließlich von Frauen tradiert, allerdings stets in streng konservativen, patriarchal geprägten Gesellschaften, erläutert der Gynäkologe Christoph Zerm. Die Betroffene Somalierin Jawahir Cumar engagiert sich mit ihrem „Stop Mutiliation“-Verein gegen Genitalverstümmelung. Sie beschreibt die von medizinisch nicht ausgebildeten Frauen ausgeführten Operationen und deren Folgen. „Vulva 3.0“ verzichtet auf einen Off-Kommentar; Interviews alternieren mit der von ihnen generierten Bilderflut. Die klare Haltung der Filmemacherinnen offenbart sich in der zielgerichteten Auswahl der Protagonisten. Allmählich verdichtet sich die umfangreiche Recherche, die Fülle an Information, Geschichten und Bildern zu ihrem Plädoyer für einen freien, sexuell selbstbestimmten und -bewussten Umgang mit der weiblichen Lust und ihrem Organ, der Vulva.
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