Tatort - Im Schmerz geboren

Krimi | Deutschland 2014 | 90 Minuten

Regie: Florian Schwarz

Ein LKA-Ermittler gerät an den Chef eines Drogenkartells in Bolivien, mit dem er vor 30 Jahren befreundet war und der nun zu einem blutigen Rachefeldzug nach Deutschland zurückkehrt. Leichenreicher, grandios gespielter (Fernsehserien-)Krimi auf Shakespeares Spuren, in dem die Faszination des Bösen den Ton angibt. Zahllose Referenzen an Theater, Oper, Gemälde-Klassiker sowie Western und Thriller häufen sich im Stil des Zitatenkinos und unterwandern ebenso souverän wie selbstironisch pointiert vertraute Sehgewohnheiten. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Hessischer Rundfunk
Regie
Florian Schwarz
Buch
Michael Proehl
Kamera
Philipp Sichler
Musik
HR Sinfonieorchester
Schnitt
Stefan Blau
Darsteller
Ulrich Tukur (Kommissar Murot) · Barbara Philipp (Magda Wächter) · Ulrich Matthes (Richard Harloff) · Golo Euler (David Harloff) · Alexander Held (Alexander Bosco)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi
Externe Links
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Diskussion
„Uns Narren dieses Schauspiels bleibt nur der Trost des Jenseits“, hebt der Erzähler theatralisch an, und schon springt die Kamera auf den Bahnhof von Bad Nauheim, um bei einem Duell, das wie ein Italo-Western gefilmt ist, die ersten drei von insgesamt 47 Leichen zu präsentieren. Arglose „Tatort“-Fans seien gewarnt: In diesem HR-„Tatort“ erscheinen Standards wie die Sticheleien zwischen LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) und seiner Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) als Fremdkörper in einer wild wuchernden Zitate-Fantasie. Regisseur Florian Schwarz und Drehbuchautor Michael Proehl stapeln die Referenzen an Theater, Oper, Gemälde-Klassiker und Kino-Thriller, als würde ein deutscher Fernsehkrimi davon träumen, Zitatenkino à la Quentin Tarantino zu sein. Das heißt ein Kino, bei dem Fantasmen der Grandiosität und die Faszination des Bösen den Ton angeben. Das mag zuerst verwirrend sein, wird aber derart souverän und zudem selbstironisch pointiert dargeboten, dass es größtes Vergnügen bereitet. Eine Story gibt es auch: Vor 30 Jahren auf der Polizeischule waren Felix Murot und Richard Harloff (Ulrich Matthes) beste Freunde, verliebt in dieselbe Frau, in der Manier von Truffauts „Jules und Jim“ in eine Menage à trois verwickelt. Dann trennten sich die Wege. Murot wurde als LKA-Ermittler ein braver Gesetzeshüter, Harloff aber machte in Bolivien als Drogenkartell-Boss Karriere und kehrt nun zu einem Rachefeldzug zurück: „Ich will, dass Murot töten muss, um zu überleben, wie ich töten musste!“ Es bestätigt sich das alte Dramaturgie-Gesetz, wonach das Böse spannender ist als das Gute, und Ulrich Matthes kann der abgründigen Dämonie Harloffs faszinierende Kontur verleihen. Der „Tatort“, die Lieblingskrimi-Serie der deutschen Fernsehzuschauer, hat eine lange Geschichte hinter sich. Nach Pionierphase und klassischer Ära ist er in einer Spätphase barocker Ausschweifungen gelandet. Schon seit längerem häufen sich die Referenz-Spiele, Anleihen bei Krimiklassikern (Hitchcock, Edgar Wallace) und anderen Kino-Genres. Der nachhaltige Erfolg des Münchner „Tatorts“ hat auch damit zu tun, dass sein Ermittler-Duo wie bei einer Screwball-Comedy funktioniert. „Im Schmerz geboren“ dagegen begeistert, weil hier die Referenzen einzigartig – und das heißt auch unwiederholbar – „over the top“ getrieben werden. Für den Zitate-Exzess wird sogar eine klinisch definierte Begründung geliefert. Der Erzähler dieser aberwitzig spektakulären Geschichte leidet am so genannten Stendhal-Syndrom: „Wahnhafte Bewusstseinsstörung bei kultureller Reizüberflutung“.
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