Drama | Deutschland 2014 | 86 Minuten

Regie: Jöns Jönsson

Äußerlich scheint bei einer Schwedin der Selbstmord ihrer Tochter keine Spuren hinterlassen zu haben, auch wenn in den alltäglichen Verrichtungen eine verbissene Zwanghaftigkeit und in ihrem Verhalten eine irritierende Unbeteiligtheit zu spüren sind. Erst als der deutsche Ex-Geliebte der Toten vorbeischaut, implodiert das Korsett aus Ritualen und Selbsttäuschungen. Ein von der Bildsprache der Berliner Schule beeinflusster Debütfilm. Die filmische Reduktion öffnet den Raum für ein erstaunlich reifes Drama, das eindringlich von Trauer und Loslassen handelt. (Teils O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Buntfilm/HFF "Konrad Wolf"
Regie
Jöns Jönsson
Buch
Jöns Jönsson
Kamera
Johannes M. Louis
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita
Darsteller
Gunilla Röör (Magdalena) · Hendrik Kraft (Johannes) · Björn Andersson (Sigge) · Elin Söderquist (Lollo) · Inga Landgré (Märta)
Länge
86 Minuten
Kinostart
09.10.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Die Tonspur am Anfang verheißt nichts Gutes. Während das Bild noch schwarz bleibt, versetzen suggestiv gemischte Geräusche aus dem Wald die Wahrnehmung in Alarmbereitschaft. Was folgt, ist ein harmloser Spaziergang. Eine Frau steigt aus einem Wagen und führt ihren Hund aus. Dann sucht sie Fremde auf. Sie möchte den Hund, der ihrer Tochter gehörte, verkaufen. Sie scheint abwesend und gleichzeitig bemüht konzentriert. Selbst in der esoterisch angehauchten Selbsthilfegruppe, deren Mitglieder ihre verstorbenen Nächsten über ein Medium zu sprechen hoffen, bleibt sie seltsam distanziert gegenüber dem Leid der Anderen, als hätte sie mit deren verzweifelten Verarbeitungsstrategien nichts zu tun. Eine schwedische Mutter schafft es nicht zu trauern. Obwohl ihr gequältes Gesicht den Schmerz nicht verbergen kann, hält sie die Fassade innerer Gefasstheit aufrecht. Der Selbstmord ihrer Tochter hat sie anscheinend gänzlich unerwartet getroffen. Als Sara aus Berlin zurückkam, wo sie eine Weile gelebt hat, zog sie wieder in ihr Jugendzimmer ein. Doch dann verfiel sie in Depressionen, die über Wochen anhielten. Trotzdem weigerte sie sich, Medikamente einzunehmen. Während die Mutter im Nebenzimmer schlief, stürzte sie sich im dritten Stockwerk vom Balkon herunter. Was Gründe für diese Tat hätten sein können, kristallisiert sich nur langsam aus Gesprächen und Begegnungen mit Menschen heraus, die der Toten nahestanden. Der deutsche Ex-Freund Johannes taucht auf, beantwortet wortkarg die Fragen der ratlosen Mutter und stürzt sich sogleich in die nächsten potenziellen Affären. Wie sich das Spielfilmdebüt von Jöns Jönsson überhaupt ein fast lebensnahes Tempo gönnt, um von dem Verlust zu erzählen, der nicht nur die Mutter, sondern auch das ganze Umfeld in eine tiefe Sprachlosigkeit gestürzt hat. Der 1981 in Schweden geborene Absolvent der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam ist unverkennbar von der Bildsprache der Berliner Schule beeinflusst. Mit dem Unterschied, dass bei ihm die reduzierte Form dem Inhalt nie die Show stiehlt. Mitunter verspürt man dennoch eine gewisse Ungeduld, wenn Familientreffen bei der zweiten Tochter in belangloser Alltagskonversation dahin plätschern und die Handlung kaum von der Stelle kommt. Die Enkel werden zu Klavierstunden gebracht. Sie entwickeln ihre frühpubertären Marotten, und die Großmutter schwankt im Umgang mit ihnen zwischen Überbehütung und teilnahmsloser Toleranz. Die Leerstelle schwebt wie ein Damoklesschwert über den zwanghaft funktionierenden Angehörigen, die sich gegenseitig zu schützen scheinen. Es sind Außenstehende, die den Selbstmord immer wieder zur Sprache bringen und der von Schuldgefühlen geplagten Mutter keine Ruhe lassen. Irgendwann implodiert das Korsett aus Ritualen und Selbstlügen. Wie Gunilla Röör diesen Kollaps in allen Facetten und Gefühlswindungen im Finale ausspielt, verschlägt den Atem und verpasst dem erstaunlich reifen Drama eine Wucht, die es rückblickend von allem Ballast des bleiernen Stillstands befreit.
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