Das Salz der Erde (2014)

Biopic | Frankreich/Italien/Brasilien 2014 | 110 Minuten

Regie: Wim Wenders

Eine dokumentarische Biografie des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado (geb. 1944). Der Filmemacher Wim Wenders unterhält sich intensiv mit ihm über dessen Arbeit, während Salgados Sohn Juliano Ribeiro Filmaufnahmen von gemeinsamen Expeditionen mit seinem Vater beisteuert. Daraus entsteht ein faszinierendes, einfühlsames und zugleich bildgewaltiges Porträt, das Salgados Karriere nachzeichnet, die in sozialdokumentarischen Reportagen ihr Zentrum fand, bis sich Salgado nach einer seelischen Krise seinem berühmten „Genesis“-Projekt zuwendete. Dabei überwindet die mit großer Sensibilität entfaltete Hommage in ihrer hoffnungsvollen Zuwendung zur Biosphäre des Planeten die Schwermut angesichts der Bestialität des Menschengeschlechts. (Teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE SALT OF THE EARTH | LE SEL DE LA TERRE
Produktionsland
Frankreich/Italien/Brasilien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Decia Films
Regie
Wim Wenders · Juliano Ribeiro Salgado
Buch
Wim Wenders · Juliano Ribeiro Salgado · David Rosier
Kamera
Hugo Barbier · Juliano Ribeiro Salgado
Musik
Laurent Petitgand
Schnitt
Maxine Goedicke · Rob Myers
Länge
110 Minuten
Kinostart
30.10.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Biopic | Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
„Das Salz der Erde“, diese in Bann ziehende dokumentarische Biografie des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, beginnt, wie könnte es bei einem Regisseur wie Wim Wenders anders sein, im Grundsätzlichen: der Dunkelheit. Und zugleich mit der Erklärung der Fotografie als einer sich in den griechischen Begriffen „phōs“ (Licht) und „graphein“ (schreiben, malen) definierenden Kunst als Spiel von Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Schwarz und Weiss. Dies wird in einem Vorspiel nachempfunden, in dem das filmische Porträt Salgados mit Dia-Projektionen seiner Fotos überblendet wird. De facto handelt es sich dabei allerdings nicht um Überblendungen im klassischen Sinne, sondern um in dunklem Raum durch einen Teleprompter geschossene Filmaufnahmen des durch ebendieses Gerät Fotos betrachtenden Protagonisten. So steckt in diesem Anfang die genuine Zusammenführung des Bewegt-Filmischen mit dem Stehend-Fotografischen. „Das Salz der Erde“ ist damit nicht bloß ein Film über einen Fotografen, dessen in strengem Schwarz-Weiss gehaltene sozialdokumentarische Fotografien die Weltwahrnehmung die letzten 40 Jahre maßgebend prägten, sondern zugleich auch eine Abhandlung über das Wesen der Fotografie. Am Ende dieses programmatischen Intros fragt sich Wenders, ob er, der im Fotografischen durchaus auch seine Meriten hat, einen Film über das Leben und Werk von Salgado überhaupt wagen kann. Der Titel verweist auf das in der Bergpredigt zu findende Bild vom Menschen als Salz der Erde; zwei Jahrzehnte ist es her, dass Wenders ein Foto aus Salgados Serie „The Mines of Serra Pelada“ (1986) entdeckte. Die Galeristin hat Wenders damals weitere Salgado-Bilder gezeigt; die Aufnahme einer blinden Tuareg-Frau hängt bis heute neben seinem Arbeitstisch. Nach dieser Einführung, in der auch Salgados erste Kommentare zu seinem Schaffen zu hören sind, bricht der Film auf. Im Flug über hohe Berge findet er zur Farbe. Er führt in die Jahre 2004 bis 2013, in denen Salgado an seinem bislang jüngsten Projekt arbeitet: „Genesis“, einer Hommage an die Erde im ursprünglichen Zustand; Aufnahmen von Landschaften, Tieren, Pflanzen, indigenen Völkern und Stämmen. Es ist „Genesis“ ein Buch voll starker Bilder von poetischer Schönheit, eine Ode ans archaische Sein. Ein tröstliches Buch, das in den heutig hektischen Zeiten unverhofft von zeitlicher Ewigkeit spricht und es gilt manchen als Salgados Opus magnum. Weltbekannt gemacht aber haben Sebastião Salgado Jahrzehnte früher andere, weniger versöhnliche, aber nicht minder meisterhafte Bilder: Seine sozialdokumentarischen Reportagen, zu finden in Büchern wie „Outras Americas“ (1986) und „Workers“ (1993), geschossen in weltabgelegenen Gegenden Lateinamerikas. Zehn Jahre lebt Salgado in Paris, bis er Anfang der 1980er-Jahre, nach Beendigung der Militärdiktatur zum ersten Mal wieder in seine Heimat reist. Nur flüchtig streift der Film Biografisches: die Kindheit in kinderreicher Familie auf einer Farm in Aimorés, den Wegzug aus dem Elternhaus, die Übersiedlung nach Paris 1969. In Andeutungen verharrt die Beziehung zu seiner Frau, Lélia Wanick Salgado, die auch im Geschäftlich-Kreativen seine Partnerin ist und mit der er zwei Söhne hat: Vielleicht eine Spur zu diskret verhandelt Wenders in „Das Salz der Erde“ das Persönlich-Private. Umso intensiver fällt die Beschäftigung mit Salgados Schaffen aus. Erregen anfänglich vor allem die wirtschaftlich-soziale Bedingungen Salgados Aufmerksamkeit, beschäftigen ihn in den 1990er-Jahren immer stärker die Katastrophen und Krisen, welche den afrikanischen Kontinent heimsuchen: Dürre, Hungersnot, Krieg, Vertreibung, Völkermord; Salgados Bilder von ausgezerrten Eltern mit ihren toten Kindern, den Leichenbergen und Massengräbern vergisst man nicht so leicht. Auf Dauer aber vermag Salgado seine Zeugenschaft nicht aufrecht zu halten; er (ver)zweifelt am nicht endenden Leid, stürzte in eine Krise. Salgado zieht sich zurück. Findet in der Natur, in der Beziehung zu seiner Frau und in ihrem Vorschlag, die nach jahrzehntelangem Raubbau verödete Farm seiner Eltern aufzuforsten, dann doch einen neuen Sinn, eine neue Aufgabe, die schließlich auch fotografisch ins „Genesis“-Projekt mündet. Man kann Wenders und seinem Co-Regisseur durchaus vorwerfen, dass sie vertiefende Informationen über Biografie, Rezeption oder Wirkungsgeschichte vorenthalten; auch ist der Film phasenweise von öder Kargheit. Doch gerade in dieser Schlichtheit, zu der auch das sachte Verschwinden des anfänglich prägnant gegenwärtigen Wim Wenders gehört, liegt die große Kraft dieses Films begründet; das Konzept filmischer Bescheidenheit erlaubt eine unmittelbare Begegnung mit dem Protagonisten und dessen Werk, seinem Fühlen und Denken. Meisterhaft!
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