Dieses schöne Scheißleben

Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 90 Minuten

Regie: Doris Dörrie

Vor dem Hintergrund des mexikanischen Totengedenkens am „Dia de los Muertos“ porträtiert Doris Dörrie Mariachi-Künstlerinnen, die sich mit der Kraft ihrer Stimmen, Sturheit und Lebenslust innerhalb der männlich dominierten Volksmusik behaupten. Der expressive, über weite Strecken mit der Handkamera gefilmte Dokumentarfilm zeichnet das spannungsgeladene Bild einer von tiefen Widersprüchen zerrissenen Kultur, die im Pathos der Mariachi-Musik dem Elend des Daseins ein trotziges „Dennoch“ entgegenstemmt. - Ab 12.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Flying Moon Filmprod./Senator Film/WDR/arte
Regie
Doris Dörrie
Buch
Doris Dörrie
Kamera
Daniel Schönauer · Doris Dörrie
Schnitt
Frank Müller
Länge
90 Minuten
Kinostart
23.10.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Senator (16:9, 1.78:1, DD5.1 span.)
DVD kaufen

Doris Dörrie über weibliche Mariachi in Mexico City.

Diskussion
Mehr als 23 Millionen Menschen leben in Mexico City. Ein gigantisches Häusermeer. Mittendrin, im Norden der Stadt, liegt die Plaza Garibaldi. Der Platz ist das Zentrum der Mariachi, die mit ihren breiten Sombreros, den Cowboystiefeln und den enganliegenden, silberbestickten Kleidern zum Inbegriff mexikanischer Folklore und Populärkultur geworden sind. Die Musiker sind aber auch Inbegriff des mexikanischen Machismo. Doris Dörrie erzählt in ihrem kurzweiligen Dokumentarfilm jedoch von Frauen, die sich in dieser Welt schmachtender Männergesänge von Liebe und Tod, Leid und Leidenschaft behaupten. Fast beiläufig porträtiert sie drei Generationen weiblicher „Mariachi“, von den Anfängen vor mehr als 50 Jahren bis heute. María del Carmen ist eine junge, kämpferische Mariachi-Sängerin, die mit ihrer Musik ihre Mutter und ihre Tochter ernährt: „Die Männer wollen keine Frauen dort und die Frauen eigentlich auch nicht!“, klagt sie. „Sie wollen die Frauen klein halten. Einmal musste ich zu einem Kunden sagen: Ich bin Sängerin und keine Hure. Und nicht nur einmal!“ Sie hat Angst um die Zukunft ihrer Tochter, da sich die Gewaltspirale in Mexiko immer höher schraubt; die Drogenhändler dringen immer mehr auch in vormals sichere Wohnviertel vor; sie weiß nicht, ob sie ihrer Tochter ein Studium finanzieren kann. Die selbstbewusste Sängerin wird von männlichen Instrumentalisten begleitet; Lupita, eine andere Mariachi-Musikerin, spielt die Violine in einem rein weiblichen Mariachi-Ensemble, den „Estrellas de Jalisco.“ Als Musikerin sei sie selten zu Hause, klagt Lupita, das führe zu Spannungen in der Familie. Andererseits ist die Musik auch ein Freiraum; im Konzertbus gäbe es keine Ehemänner und keine Kinder, bestätigen ihre Kolleginnen lachend. Doch wenn die Musik auf der Plaza Garibaldi verstummt, nimmt sie ihr Leben als Hausfrau wieder in Beschlag. „Für Frauen ist es schwer“, sagt Lupita, „Männer können einfach nur Mariachi sein, weiter nichts; wir aber sind das nur zwischendurch.“ Lupitas Vater war Mariachi, deshalb wollte sie eine „Mariacha“ werden. Gegen den Widerstand der Mutter bildete der Vater alle vier Kinder als Mariachi aus. Heute braucht der Vater Sauerstoff und erhält eine Krankenversicherung über seinen ältesten Sohn, der Mariachi beim Militär ist. Fast beiläufig und ohne jegliche Sensationsgier entwirft Dörrie in der Darstellung der Musikerinnen auch ein Porträt der Lage des gegenwärtigen Mexikos, einer zwischen Armut, Gewalt, Korruption und Drogenkriegen zerrissenen Gesellschaft. Dörrie filmt auch ältere Musikerinnen der Gruppe „Las pioneras“ (Die Pionierinnen). „Vor 50 Jahren begannen wir als reine Mädchengruppe“, erzählen sie. Das ging so lange gut, bis die ersten heirateten. Viele hörten auf, weil sie nach der Geburt ihrer Kinder keine Zeit mehr hatten; hinzu kam der Ärger mit eifersüchtigen Ehemännern. Die alten Frauen erinnern sich an ihre Reisen und Konzerte; für viele ist die Musik bis heute ein Ausbruch aus der monotonen Familienroutine. Der Titel des Films bezieht sich auf den populären Schlager „Ay que caramba es la vida“ von Rocio Jurado, steht aber auch für das Nebeneinander von Elend, Schicksalsschlägen und elementarer Lebenslust. Einfühlsam und mit starken Bildern erzählt Dörrie von der Leidenschaft für Musik, wobei sie jeden ethnografischen Aufklärungseifer vermeidet. Das unterstreicht auch die Kamera von Daniel Schönauer, die bizarre Details des mexikanischen Alltags einfängt, ohne sich in den Schauwerten einer exotischen Oberfläche zu verlieren. Selbst die Darstellung der mexikanischen Totenfeiern, mit ihren zuckergebackenen Skeletten fügt sich in den kulturellen Kontext der Mariachis ein, in deren Gesängen der Tod kein nordeuropäischer Sensenmann ist, sondern eine schöne, geheimnisvolle Frau, die die Männer ins Jenseits geleitet.
Kommentar verfassen

Kommentieren