Wie ich lernte, die Zahlen zu lieben

Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 118 Minuten

Regie: Oliver Sechtig

Zwei junge Berliner Filmemacher auf den Spuren Rosa von Praunheims wollen einen Film über die New Yorker Bohème drehen, wechseln dann aber die Perspektive und filmen ihre eigenen Reaktionen auf die Widrigkeiten der Dreharbeiten. Dabei geht es vorrangig um die Nöte eines der beiden, der bei bestimmten Zahlen- und Farbkombinationen zu zwanghaften Handlungen neigt. Die intime Offenherzigkeit, mit der der Debütfilmer nachts vor der Videokamera die Geschichte seiner Krankheit rekapituliert, verleiht dem um Interviews zum Thema Zwangshandlungen ergänzten Film einen ebenso beklemmenden wie fesselnden Reiz. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Rosa von Praunheim Filmproduktion
Regie
Oliver Sechtig · Max Taubert
Buch
Oliver Sechtig · Max Taubert
Kamera
Oliver Sechting · Max Taubert · Wayne Xavier
Musik
Andreas Wolter
Schnitt
André Krummel
Länge
118 Minuten
Kinostart
27.11.2014
Fsk
ab 12 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Missingfilms/Indigo (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Dieser Film ist ein Dokument des Scheiterns. Doch genau das macht ihn interessant. Die beiden Regisseure Max Taubert und Oliver Sechting wollten offenbar einen Dokumentarfilm über die New Yorker Bohème drehen. Dafür haben sie dem Travestiekünstler Joey Arias ein paar Fragen gestellt und die Autorinnen Anna Steegmann und Claudia Steinberg zuhause besucht, die Rosa von Praunheim in „Überleben in New York“ (fd 28 130) und in „New York Memories“ (fd 39 964) im Abstand von zwei Jahrzehnten porträtierte. Wenn Taubert und Seching in ihrem Regiedebüt nun Praunheims Vorbild nacheifern, für den beide als Regieassistenten gearbeitet haben (und mit dem Sechting privat liiert ist), dann wirkt das unweigerlich derivativ. Praunheim, der ihren Film produziert hat, scheint vom ursprünglichen Konzept denn auch wenig gehalten zu haben. In einer frühen Szene des Films gibt er nämlich zu bedenken, ob es nicht reizvoller wäre, wenn Taubert und Sechting ihre subjektive Reaktion auf New York filmisch reflektieren würden. Genau so ist es dann gekommen, wenngleich offenbar unfreiwillig. Denn während der Arbeit am Film erlebte Sechting eine dramatische Verschlimmerung jener Zwangserkrankung, mit der er im Alltag stets ringt. Wenn der 37-jährige beispielsweise eine Zahlenkombination wahrnimmt, die für ihn mit negativen Assoziationen verbunden ist, muss er zur „Neutralisierung“ zwanghaft nach „positiven“ Zahlen Ausschau halten. Dass die Reizüberflutung einer energiegeladenen Metropole wie New York einen drastischen Schub dieser Krankheit auslösen kann, führen kurze, simple Montagesequenzen eindringlich vor Augen. Ein weiterer Faktor scheint auch die Eifersucht auf Taubert gewesen zu sein, einen deutlich jüngeren Mann, der sich bei seinem ersten New-York-Besuch sowohl in die Filmarbeit als auch ins schwule Nachtleben stürzen will. Man sieht, wie der 23-jährige Taubert zunehmend genervt reagiert, weil der befreundete Kollege ihn Ritualen unterwirft, die sogar fürs „Gute Nacht“-Sagen neurotische Regeln vorsehen. Solche Situationen werden beiläufig von einer Videokamera eingefangen, die die Filmemacher offenbar in irgendeiner Zimmerecke meistens mitlaufen ließen, sofern sie sie nicht direkt in subjektiven Statements adressierten. Auch anderen Interviews, etwa mit dem Filmemacher Jonathan Caouette und Warhols „Superstar“ Ultra Violet werden dazu genutzt werden, das Thema Zwangserkrankung zu reflektieren. Und es ist sehr amüsant, wenn Tom Tykwer rundum leugnet, abergläubisch zu sein, bevor er wie selbstverständlich allerlei zwangsneurotische Macken einräumt. Doch seinen eigentlichen Reiz verdankt der Film den einfachsten Aufnahmen. Wenn man Sechting nachts vor der Kamera hocken sieht und ihm zuhört, wie er den Jahrzehnte zurückliegenden Auslöser seiner Krankheit rekapituliert oder die Verschlechterung des Verhältnisses zu Taubert reflektiert, ist man peinlich berührt. Gleichzeitig aber wirkt diese intime Offenherzigkeit geradezu fesselnd.
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