Die süße Gier - Il Capitale Umano

Thriller | Italien/Frankreich 2013 | 110 Minuten

Regie: Paolo Virzì

Ein Mailänder Immobilienmakler, der vom sozialen Aufstieg träumt, nutzt die Freundschaft seiner Tochter mit dem Sohn eines aristokratischen Investors, um mit einem riskanten Deal in dessen Hedgefond einzusteigen. Dann aber spielen die Börsen verrückt, und ein tödlicher Unfall sowie die Frage nach dem Schuldigen überschatten sein Leben. Hervorragend besetzter, spannend und effektvoll inszenierter Thriller über die deformierende Macht des Geldes auf Menschen und ihre Beziehungen. Erzählt aus drei hintereinander montierten Erzählperspektiven, erliegt die Milieustudie visuell allzu schnell den glatten Oberflächen des verschwenderischen Reichtums und krankt zunehmend an dick aufgetragenen Klischees. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IL CAPITALE UMANO
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Indiana Prod/Rai Cinema/Manny Films/Motorino Amaranto
Regie
Paolo Virzì
Buch
Francesco Bruni · Francesco Piccolo · Paolo Virzì
Kamera
Jérôme Alméras
Musik
Carlo Virzì
Schnitt
Cecilia Zanuso
Darsteller
Valeria Bruni Tedeschi (Carla Bernaschi) · Fabrizio Bentivoglio (Dino Ossola) · Valeria Golino (Roberta Morelli) · Fabrizio Gifuni (Giovanni Bernaschi) · Luigi Lo Cascio (Donato Russomanno)
Länge
110 Minuten
Kinostart
08.01.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Thriller
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Movienet (16:9, 2.35:1, DD5.1 ital./dt.)
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Diskussion
Es gibt in diesem Film eine Szene, die ebenso beklemmend wie berührend ist: Die reiche Spekulantengattin Carla Bernaschi sitzt im Fonds ihrer Limousine und gibt dem Chauffeur Anweisung, sie zur Maniküre zu fahren. Um sich gleich zu korrigieren, nein, das Schuhgeschäft soll es sein. Oder doch lieber der Innenausstattungsladen? Carla weiß offensichtlich nichts mit sich, ihrer Zeit und ihrem vielen Geld anzufangen, und entschuldigt sich nervös für ihre Wankelmütigkeit. Selten hat sich die Sinnentleertheit eines Daseins im goldenen Käfig so spürbar vermittelt wie in dieser kurzen Szene. Allein der Umstand, dass der Chauffeur Carlas Sprunghaftigkeit so formvollendet höflich erträgt, spricht Bände: Carla ist in diesem Moment der einsamste Mensch auf Erden. Gespielt wird sie von der fantastischen Valeria Bruni Tedeschi, deren Figur man auf den Grund ihrer unglücklichen Seele zu schauen glaubt, eine Art Nachfahrin der verlorenen Frauenfiguren Michelangelo Antonionis. Doch trotz solcher Vignetten ist „Die süße Gier“ von Paolo Virzì nur bedingt gelungen. Es geht in dem Film, der im Original „Il capitale umano“, also „Das menschliche Kapital“ heißt, darum, wie Geld die Menschen und ihre Beziehungen beeinflusst, sie deformiert und verunstaltet. Die italienische Milieustudie, die auf dem US-amerikanischen Bestsellerroman „Human Capital“ von Stephen Amidon basiert, zeigt die Verwerfungen durch den Mammon anhand eines wahren Reigens von Personen. Da ist der kleine Immobilienmakler Dino, der seine Tochter Serena auf eine teure Privatschule schickt, die er sich eigentlich kaum leisten kann. Serena ist anscheinend mit Massimiliano liiert, dem Sohn von Carla und ihrem Mann Giovanni. Dino erhält dadurch Zutritt zum spektakulären Bernaschi-Anwesen vor den Toren Mailands. Ohne seiner schwangeren Lebensgefährtin Roberta etwas davon zu sagen, lässt er sich auf riskante Finanzgeschäfte mit Giovanni ein. Serena hingegen macht sich nichts aus Geld und verliebt sich in einen jungen, mittellosen Künstler. Carla schließlich versucht der Leere ihres Daseins durch die Belebung eines abbruchreifen Theaters zu entfliehen. Verbunden werden alle Protagonisten durch einen nächtlichen Unfall mit anschließender Fahrerflucht, bei dem ein Fahrradfahrer ums Leben kommt. Viel wichtiger als der Tote aber ist dem Film die Frage, wer das Unfallauto fuhr und wer den Preis dafür bezahlen muss. Aus der puzzleartigen Beantwortung dieser Frage und seiner ungewöhnlichen filmischen Struktur bezieht der Thriller einen großen Teil seiner Spannung. Die entscheidenden Figuren werden anhand von Kapiteln eingeführt und splitten damit die Perspektiven des dargestellten Zeitraums von einem halben Jahr auf. Über die Länge eines Kapitels verfolgt man so unterschiedliche Versionen der Ereignisse, mal aus dem Blickwinkel von Dino, mal aus dem von Carla oder Serena, jeweils vom Sommer bis zum Winter. Virzì versteht sein Handwerk, wie er mit der Sozialgroteske „Das ganze Leben liegt vor Dir“ (fd 39 784) bewiesen hat, in der er in der komödiantischen Darstellung eines Callcenters eine apokalyptische Stimmung heraufbeschwor. „Die süße Gier“ ist ein düsteres, wenngleich weniger gelungenes Pendant dazu; auch hier herrscht Endzeitstimmung. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlich zusammenbrechenden Italiens setzen sämtliche Protagonisten die Zukunft aufs Spiel, ihre eigene wie die ihrer Kinder. Wenngleich aus unterschiedlichen Gründen: aus Gier nach Geld oder im Rausch, aber auch Liebe und Beschützerinstinkt. Einen beträchtlichen Anteil an der dunklen Atmosphäre des Films hat die zunehmend winterliche Landschaft der wohlhabenden Mailänder Provinz, in der auch die berüchtigte Villa des einstigen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi liegt. Auf der Thrill- und Spannungsebene funktioniert „Die süße Gier“ ziemlich gut. Was jedoch die Psychologie seiner Figuren betrifft, weist das Drama deutliche Schwächen auf. Viele Akteure sind allzu holzschnittartig gestaltet, wirken mehr als Platzhalter für ein bestimmtes Konzept denn wie runde Charaktere. Ein Manko, das auch die guten Schauspieler nicht wettmachen können. Fabrizio Bentivoglio wird als Dino von Regie und Drehbuch auf einen lächerlich-schmierigen Möchtegern-Aufsteiger festgelegt, dessen Beziehung zu seiner hübschen, klugen Freundin, der Psychologin (!) Roberta, man kaum glauben kann. Oder Serena: Sie muss sich mit dem sensiblen Hungerkünstler in ein arges Klischee verlieben; ihre Beziehung entwickelt sich dann auch sehr melodramatisch. Das allzu dick Aufgetragene zieht sich sogar bis in die Musikauswahl: Wie peinlich, wenn ein Gospel erklingt, als Massimiliano beim Schulwettbewerb von einer schwarzen Mitschülerin überflügelt wird. Noch ein zentraler Punkt ist problematisch: Wie so oft, wenn in einem Bildmedium äußerliche Werte kritisiert werden, verfällt die Kritik selbst dem Reiz der Oberflächen. Beziehungsweise findet keinen stimmigen Weg, das funkelnde Äußere zu zeigen und sich zugleich davon zu distanzieren, was hier vielleicht gerade wegen der ausgeprägten italienischen Liebe zum Schönen und Ästhetischen eine besondere Herausforderung gewesen wäre. Denn „Die süße Gier“ schwelgt in den zwar kühlen, aber nichtsdestotrotz ansprechenden Tableaus verschwenderischen Reichtums, die er eigentlich anprangern möchte. Es ist schon erstaunlich, dass der kluge Zeitgeist-Filmer Paolo Virzì diesen Widerspruch anscheinend nicht weiter reflektiert hat.
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