Dokumentarfilm | Italien 2014 | 95 Minuten

Regie: Franco Maresco

Dokumentarfilm über die Anhängerschaft des Politikers und Medienmoguls Silvio Berlusconi. Erwachsen aus einem Filmprojekt, das die Mafia-Verstrickungen des Machtmenschen analysieren wollte, aber an der Mauer aus Schweigen scheiterte, begibt sich der Film in die Lebenswelt der sizilianischen Unterschichten, wo sich Berlusconi großer Beliebtheit erfreut, und fahndet nach den Ursachen für dessen Erfolg. Aus dem dokumentarischen Eintauchen ins Milieu von Berlusconis Wählerschaft sowie aus Interviews, Film- und Fernsehausschnitten und Fotos entsteht ein politisch-kultureller Essay von hohem Unterhaltungswert, der zugleich ein erhellendes Bild auf die politische Kultur Italiens wirft. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BELLUSCONE. UNA STORIA SICILIANA
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Ila Palma/Dream Film
Regie
Franco Maresco
Buch
Franco Maresco · Claudia Uzzo
Kamera
Luca Bigazzi · Tommaso Lusena · Irma Vecchio
Schnitt
Franco Maresco
Länge
95 Minuten
Kinostart
23.04.2015
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Politisch-kultureller Essay über die Anhängerschaft Berlusconis

Diskussion
Der seit mehr als 20 Jahren andauernde politische Erfolg von Silvio Berlusconi und seiner Bewegung „Forza Italia“ erscheint außerhalb Italiens bis heute rätselhaft. Dabei gibt es seit Beginn des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs des „Cavaliere“ aus den Trümmern des „Pentapartito“ zahlreiche Erklärungsmodelle: Vom „Caesarismus“ jenseits von Links und Rechts, über den „Postfaschismus“ einer demokratischen Ultrarechten bis zum Populismus, der sich für Inhalte wenig interessiert und seine Programme nach den in Umfragen artikulierten Wählerwünschen designt. Keiner dieser Ansätze kann restlos befriedigen. Teils Polit-Clown, teils geächteter und verurteilter Krimineller, teils fleischgewordener Ausdruck von männlicher Stärke und geachteter Erfolgsmensch, bleibt Berlusconi ein Phänomen, das nur vor dem Hintergrund der italienischen politischen Kultur erklärbar scheint. Folgerichtig sucht der Dokumentarfilmer und Satiriker Franco Maresco die Wurzeln von Berlusconi in der Volkskultur. Er sucht die Lebenswelt von Berlusconis Anhängerschaft auf und begibt sich für seinen Film nach Sizilien, wo der Norditaliener nach wie vor besonders populär ist. Das Titelwort „Belluscone“ meint dabei „Berlusconi“, gesprochen mit starkem sizilianischem Akzent. Maresco begann mit einem recht konkreten Vorhaben, das die Verbindungen zwischen Berlusconi und dem organisierten Verbrechen untersuchen wollte. Als er damit nicht weiterkam, wandte er sich in seinem Filmprojekt den alltäglichen Verrücktheiten des sizilianischen Lebens und des dortigen Unterhaltungsbetriebs zu, der Musik- und Fernsehindustrie, die auch wiederum enge Verbindungen zur Mafia unterhalten soll. Aber „Belluscone“ ist kein investigativer Film, ganz einfach deshalb, weil kaum einer der Befragten reden will – und wer redet, der lobt Berlusconi in den höchsten Tönen. Die zentralen Aussagen fallen demnach zwischen den Zeilen. Maresco mischt Fernseh- und Filmausschnitte, Fotos, zeigt scheiternde Interviews und überaus naive und uninformierte Antworten, er besucht durchchoreografierte Parteiveranstaltungen und Gefängnisse mit verhafteten Mafiosi. Sein Film ist klassische Dokumentation in dem Sinn, dass er „zeigt, was ist“, er ist aber auch ein politisch-kultureller subjektiver Essay mit sehr witzigen Momenten und hohem Unterhaltungswert. So gibt es eine großartige Szene, in der ein Fernsehseelsorger eine Anruferin vergeblich davon zu überzeugen versucht, dass es noch wichtigere Probleme in der Welt gibt als den Rücktritt Berlusconis nach dessen letzter Verurteilung 2011. Viel Unterhaltungswert hat auch Francesco „Ciccio“ Mira, ein schräger, ebenso undurchsichtiger wie faszinierender Musikagent, der seine engen Beziehungen zur Mafia offen anspricht. Neben ihm gibt es weitere Figuren, die halb kommentieren, halb selbst Gegenstände des Films werden: der renommierte Filmhistoriker und -kritiker Tatti Sanguineti, der Sänger Salvatore De Castro und sein Kollege Vittorio Ricciardi. Daneben taucht Maresco selbst immer wieder auf und erklärt sein Vorgehen ebenso wie das fortwährende Scheitern des Films im Prozess seiner Entstehung. „Belluscone“ mischt somit viel Selbstreflexion mit konkreten Erklärungsversuchen, wie Berlusconi an die Macht kam und wie genau seine Verbindungen zur Mafia beschaffen sein sollen, mit atmosphärischem Eintauchen ins Milieu der sizilianischen Unterschichten. Marescos Versuch eines Dokumentaressays abseits der üblichen Doku-Formen kann man am besten durch die Erinnerung an den französischen Filmemacher und Situationisten Guy Debord anschaulich machen: Man könne das Spektakel „nur mit spektakulären Mitteln kritisieren“, schrieb dieser einmal – analog dazu wird man den Absurditäten des berlusconischen Politspektakels allenfalls dadurch Herr, dass man es mit anderen Absurditäten kontert. „Belluscone“ ist brillant stilisiertes, virtuoses Theater des Absurden, eine burlesk-ironische Comédie Humaine. Je unglaublicher das erscheint, was man sieht, desto realer ist es.
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