Drama | Frankreich 2014 | 131 Minuten

Regie: Mia Hansen-Løve

Ein junger Disc Jockey erlebt den Siegeszug der House-Musik in den Pariser Techno-Clubs der 1990er-Jahre. Jahrelang schwimmt er auf der Erfolgswelle, bis Partys, Drogen und der geänderte Musikgeschmack seiner Karriere ein Ende bereiten. Zwischen Epochenporträt und tragischem Einzelschicksals entfaltet sich eine fast zwei Jahrzehnte währende Vertreibung aus dem musikalischen Garten Eden. Argumentativ eher konservativ, wirkt das Verblassen einer schillernden Lebensepisode auf Dauer austauschbar, nicht zuletzt weil der Film kein tieferes Gefühl für die „Szene“ vermittelt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EDEN
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
CG Cinéma/France 2 Cinéma/Blue Film Prod.
Regie
Mia Hansen-Løve
Buch
Mia Hansen-Løve · Sven Hansen-Løve
Kamera
Denis Lenoir
Schnitt
Marion Monnier
Darsteller
Félix de Givry (Paul Vallée) · Pauline Etienne (Louise) · Vincent Macaigne (Arnaud) · Hugo Conzelmann (Stan) · Zita Hanrot (Anaïs)
Länge
131 Minuten
Kinostart
30.04.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (5 Min) sowie ein längeres Interview mit der Regisseurin (21 Min.).

Verleih DVD
Alamode (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
Verleih Blu-ray
Alamode (16:9, 2.35:1, dts-HDMA frz./dt.)
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Von »House« zu »Elektro«. Ein Zeit-Drama

Diskussion
Ein Garten Eden kann vieles sein: Das Waldstück, durch das Paul mit seinen Freunden am Ende einer durchfeierten Nacht schlendert. Das in der Nähe verankerte U-Boot, dem sie gerade mitsamt den aus der Luke hämmernden Bässen entstiegen sind. Zudem ist „eDEN“ der Name eines Pariser Fanzine über House-Musik. Das, was im Film „Eden“ erzählt wird, gleicht allerdings eher einer Vertreibung aus dem Paradies, schleichend, ohne Schuldige, und kommt daher umso desillusionierender für die, die sich so schön in den Techno-Clubs eingenistet glaubten – Tänzer, Groupies, Veranstalter und an der Spitze der House-Hierarchie: die DJs. Als die Geschichte Anfang der 1990er-Jahre beginnt, ist Paul gerade Anfang 20; die Grundlagen der elektronischen Musik, wie sie die Band Kraftwerk einst legten, sind in der Szene schon länger verwurzelt. Wie es Paul und sein Freund Stan als DJ-Duo im Bereich Garage-House tun, wird allerorten an neuen Tönen getüftelt. Das Elektro-Duo Daft Punk ist der „neueste Schrei“, dessen Welthit „Lucky“ bis in die Gegenwart hallt. Im „Damals“ des Films lässt das Duo auf kleinen Privatpartys noch „Da Funk“ von den Plattentellern ertönen. Auf diesen Partys taucht auch die Clique von Paul regelmäßig auf. Dafür bekommt er von seiner Mutter einen Artikel über die zerstörerische Wirkung von Ecstasy gereicht. Paul hat aber kein Pillen-, sondern ein Pulverproblem. Kokain ist die teure Droge seiner Wahl – und die seines Niedergangs, dem finanziellen wie dem kreativen. Nachdem er schon dem Innenhof des New Yorker MoMA PS1 einheizte, werden ihm auf einer Privatparty die wenigen Gäste von einer Trommlergruppe weggeschnappt. Die Frauen seines Lebens verliert er nicht nur, sondern trifft sie mit den Kindern anderer Männer wieder. Irgendwann arbeitet Paul im Call-Center. Eine der größten Koks-Nasen von Paris führt Befragungen zu Staubsaugern durch und wischt auf einer kleinen Küchentafel das Porträt weg, das sein von Drogen und Psychosen zerstörter Freund Cyril einst zeichnete, um den nächsten Einkauf darauf zu notieren. Paul wird im Scheitern erwachsen. Und der Film in dieser Argumentation etwas konservativ. Wie in Martin Scorseses „Casino“-Las Vegas sind Glanz und Gloria längst vergangen, wobei sich die Inszenierung nie im wehmütigen Schein vergisst. Mit ihren 34 Jahren ist die Regisseurin Mia Hansen-Løve eine Spätgeborene der „Spaßgeneration“, die dennoch weiß, dass die Clubszenen in „Eden“ keineswegs die Möglichkeiten ausreizen, die Schnitt und Rhythmus, schwitzende Close-Ups und hochgepitchte Pegel an Ekstase bereitgehalten hätten. Hansen-Løve stellt Clubszenen dar, wie sie sich oft anfühlen, nicht wie sie sein sollten, ernüchternd, nicht rauschhaft. Am Ende ist ohnehin alles nur noch Schein: Tablets ersetzen die Gästelisten der Türsteher, die nicht einmal mehr die Daft Punk-Mitglieder Guy-Man und Branco in der Schlange vor dem Club erkennen. Die Zeiten ändern sich, ebenso wie Trends, womit der Film zum Drama eines Künstlers wird, dessen Kunst nicht mehr in der Mitte des Stroms schwimmt. Im neuen Jahrtausend tritt Elektro seinen Siegeszug in Europa an. Dass der House-DJ seinen Erfolg wohl auch an Pariser Labels wie Ed Banger einbüßt, an Uffie oder Justice, wird nicht thematisiert. Vielleicht waren schlichtweg die Rechte an der Musik zu teuer, die die Macher ohnehin zeitaufwändig zusammenklauben mussten. Wie „Der Vater meiner Kinder“ (fd 39 884) über den Filmproduzenten Humbert Balsan, der sich vor ihrem gemeinsamen Projekt „Tout est pardonné“ das Leben nahm, hat auch „Eden“ einen biografischen Bezug; das Drehbuch wurde von Mia Hansen-Løves Bruder Sven mitgeschrieben, einem ehemaligen House-DJ. Der Film zeichnet die Vertreibung aus dem Paradies binnen zweier Jahrzehnte nach – irgendwo zwischen dem Porträt einer Ära und der Fiktion eines Einzelschicksals, dessen Konflikte so spät und so deskriptiv einsetzen, dass man in ihnen auch die Kontemplation eines Lebens und seiner schwersten Bürde sehen könnte: das Altern. Dass sich ein Leben plötzlich wie eine Schallplatte mit Sprung anhören kann, die ohne Einwirkung von außen ewig hängenbleiben würde, lässt sich allerdings zu jeder Zeit und in allen Berufssparten konstatieren. Womit die Hommage ein übergreifendes Problem schildert, den Eindruck einer gewissen Austauschbarkeit aber nicht abschütteln kann.
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