Amok - Hansi geht's gut

Drama | Deutschland 2014 | 84 Minuten

Regie: Zoltan Paul

Einem leidenschaftslosen, menschenfeindlichen Buchhalter wird bei der profitorientierten Umstrukturierung seiner Firma ein anderer Posten zugeschoben. Unfähig, sich über die Beförderung zu freuen, irrt der einsame Mann durch die Stadt und betrinkt sich, bis seine lange unterdrückte Frustration gewaltsam ausbricht. Eine präzise entwickelte, herausragend gespielte Studie, die hautnah die klaustrophobische Beengung ihres Protagonisten vermittelt. Eindrücklich ist auch als exakte Darstellung eiskalten Kalküls bei der Praxis des Firmenabwickelns. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Nextfilm Filmprod.
Regie
Zoltan Paul
Buch
Zoltan Paul
Kamera
Jonas Schmager
Schnitt
Annette Kurzbach
Darsteller
Tilo Nest (Lorenz Fuchs) · Charly Hübner (Chef) · Anneke Kim Sarnau · Johann Fohl (Werner) · Heike Hanold-Lynch (Ex-Frau Andrea)
Länge
84 Minuten
Kinostart
28.05.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
daredo/Soulfood Music (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Bitterböse Studie über die Arbeitswelt

Diskussion
Freudlose Routine – so lässt sich der Alltag von Lorenz Fuchs wohl am besten beschreiben. Wir sehen ihn morgens vor der Arbeit beim Frühstück und im Bad. Seine Wohnung ist ungemütlich, muffig und voller Umzugskartons, die Jalousien sind stets heruntergelassen, die wenigen Grünpflanzen längst vertrocknet. Wenn Lorenz von einer Nachbarin vor dem Fahrstuhl angesprochen wird, verweigert er das Gespräch, wählt lieber die Treppe. Die Frau ist Luft für ihn. In der Firma hat er ein schmuckloses, durch nichts Persönliches geschmücktes Zimmer am Ende eines langen Ganges, auch dort sind die Jalousien geschlossen: der Betrieb wird gerade abgewickelt. „Amok – Hansi geht’s gut“ von Zoltan Paul eröffnet mit einem schönen Panoramaschwenk über die Dächer des alten West-Berlins und macht dann die Räume eng, indem die Kamera in langen und kunstvoll arrangierten Plansequenzen sich ganz auf den Protagonisten Lorenz Fuchs konzentriert, der leidenschaftslos seinen Alltag erledigt. Fuchs spricht nicht viel und kaum einmal scheint er persönlich von etwas affiziert, was dem Film rasch etwas Klaustrophobes verleiht. Der renommierte Theaterschauspieler Tilo Nest – im Fernsehen bislang eher in konventionellen Krimis zu sehen und in Robert Thalheims „Eltern“ (fd 42 029) in einer sehr schönen Nebenrolle als quengelig-ambitionierter Werktreue-Schauspieler besetzt – zeigt sich dieser erzählerischen Zumutung gewachsen und hält seine Figur konsequent unter Verschluss und geheimnisvoll. Durch die Plansequenzen und die Nähe zum wenig redefreudigen Protagonisten erhält der Zuschauer reichlich Gelegenheit, die Räumlichkeiten und das Gesicht von Fuchs zu studieren. Wie reagiert Fuchs, wenn er bei der Arbeit angesprochen wird? Wer ist die Frau, die ihn auf dem Weg zur Arbeit angesprochen hat? Wie reagiert Fuchs, wenn er bei der Arbeit einen Fehler gemacht hat? Mit welcher Haltung begibt er sich zum Chef, der ihn telefonisch zu sich einbestellt? Erstaunlicherweise ist es gerade diese Begegnung mit dem Chef Jörg – Charly Hübner mit einer glanzvollen Performance als zynisch-jovialer Abwickler voller Menschenverachtung –, die dem Zuschauer erste Hinweise zu Fuchsʼ Persönlichkeit liefert, hatte er dem Chef doch vor Jahren im Rahmen einer Betriebsfeier völlig betrunken sein Herz ausgeschüttet: Mutter ins Altersheim abgeschoben, in deren Wohnung gezogen, weil die Ehefrau ihn mit Wildfremden betrog – das passt ins Bild, so far. Ist das das Geheimnis von Fuchs, wie der Chef zu wissen glaubt? Gemäß der kapitalistischen Ethik des Chefs, die dieser in die Formel „Fressen, Zerstören, Ausscheißen“ fasst, sind die Kälte und Härte Fuchsʼ unabdingbare Qualitäten, die ihn für eine Führungsposition prädestinieren: „Wir sind Menschen, die andere Menschen zermalmen können.“ Folglich werde Fuchs auch nicht entlassen, sondern vielmehr befördert. Nämlich zum Chef der Personalabteilung in Hamburg. Es gebe also hinreichend Gründe zum Feiern und zum Kaufen eines neuen Anzugs. Irritiert sieht sich Fuchs plötzlich in die Freiheit eines Urlaubstages entlassen und driftet ziellos durch die Stadt. Die in Aussicht gestellte Perspektive scheint eine Bedrohung. Der Anzug sitzt, aber das Essen aus der Mikrowelle will nicht recht munden. Fuchsʼ Weg führt ihn in ein Waffengeschäft, wo er erfährt, dass er dort keine Waffe bekommen wird. Aber ein anderer Kunde zeigt sich hilfsbereit. In einem China-Restaurant sieht Fuchs, wie ein Paar sich offenbar gerade trennt und trinkt ein paar Bier. Fuchs ist ein trockener Alkoholiker, der jetzt rückfällig wird. Mit wem soll er seine Beförderung feiern? Seine Mutter weist ihn ein weiteres Mal zurück. Was dann geschieht, ist mitunter komisch, wird aber zunehmend bedrohlich. Schließlich bricht Fuchs auf, sein Recht auf Ruhe und Verantwortungslosigkeit offensiv einzufordern. Jetzt bekommt der Titel des Films seinen Sinn, wenngleich Fuchsʼ Aufbruch nach allem, was man bis dahin gesehen hat, durchaus konsequent und nicht etwa blindwütig ausfällt. Fuchs entscheidet sich gegen Hamburg und für Berlin-Charlottenburg, wo die Zeit irgendwie stehen geblieben zu sein scheint. Das kann beruhigend wirken in Zeiten selbstauferlegter Einsamkeit. Paul Schrader hat im Zusammenhang mit „Taxi Driver“ (fd 19 983) einmal darauf hingewiesen, dass sich in der westlichen Kultur die Gewalt nach außen richte, während sich in Japan die Gewalt gegen sich selbst richte. Woran sich wiederum Hans Noever erinnerte, als er seinen „Amok-Film“ „Der Preis fürs Überleben“ (fd 22 611) drehte. Lorenz Fuchs hätte der Gedanke sicher auch gefallen.
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