Dokumentarfilm | Großbritannien/Frankreich/Japan 2014 | 75 Minuten

Regie: Phil Cox

Dokumentarfilm über ein Stundenhotel in der japanischen Stadt Osaka, in dem Paare und einzelne Männer über sich und ihre intimen Leidenschaften sprechen. Dabei vermeidet er jeglichen Voyeurismus und stellt die Menschen sowie ihre Umstände ins Zentrum. Unterschwellig spielt er auf wirtschaftliche, politische und soziale Hintergründe der sexuellen Subkultur an: In einer Gesellschaft, deren soziales Miteinander streng reglementiert ist, erlauben Stundenhotels diskrete Freiräume, was der konservativen japanischen Regierung ein Dorn im Auge ist. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LOVE HOTEL
Produktionsland
Großbritannien/Frankreich/Japan
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Native Voice Films/Bonne Pioche
Regie
Phil Cox · Hikaru Toda
Buch
Phil Cox · Hikaru Toda
Kamera
Phil Cox · Hikaru Toda
Musik
Florencia Di Concilio
Schnitt
Esteban Uyarra
Länge
75 Minuten
Kinostart
11.06.2015
Fsk
ab 16 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 jap.)
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Dokumentarfilm

Diskussion
Love Hotel, Liebeshotel. Schon der Name klingt wie ein Versprechen, so als könnten hier Gefühle und Leidenschaften ausgelebt werden, unbeobachtet und ungehemmt. Doch so einfach ist es nicht. Love Hotels sind keine Bordelle. Sie sind vielmehr häufig der einzige Ort, an dem sich Liebespaare treffen können. Manchmal sind die Wohnungen zu klein, manchmal die Bedürfnisse zu speziell. In einer Gesellschaft, die das soziale Miteinander streng reglementiert und kaum Ausbrüche erlaubt, werden sie zu Fluchtpunkten, an denen sich Liebe, Fantasien und Obsessionen diskret und anonym ausleben lassen. 37.000 Love Hotels gibt es in Japan, die täglich von 2,8 Millionen Menschen besucht werden. Ein riesiger Markt also, ein Wirtschaftsfaktor, in dem Konkurrenz- und Arbeitsdruck herrschen. Der britische Regisseur Phil Cox und seine japanische Mitarbeiterin Hikaru Toda haben hinter die Kulissen des Angelo Hotel in Osaka geschaut – mit expliziten Szenen, aber ohne Voyeurismus, mit einem Blick auf Japans sexuelle Subkultur, aber ohne Verurteilung. Das Interesse für den einzelnen Menschen steht dabei immer im Mittelpunkt. Etwa für Mr. Yamada, einen 71-jährigen Pensionär, der alleine ins Love Hotel kommt. Der Grund: Seine Frau will angeblich nicht mehr mit ihm schlafen. Er schaut Pornos und blickt voll Bedauern auf seine Vergangenheit zurück, auf viele verpasste Chancen. Rika, eine Domina Ende 20, fesselt einen Gummifetischisten nach allen Regeln der Kunst und beruhigt ihn: Er müsse sich seiner Wünsche nicht schämen. Yuki, eine junge Büroangestellte, trifft sich mit einem verheirateten Mann. Ein Paar Mitte 40 nutzt das Love Hotel, um schüchtern und unbeholfen die Leidenschaft, die es einmal gefühlt hat, mit Rollenspielen wiederzubeleben. Ein älteres Paar besucht das Angelo nur, um zu tanzen. Und dann sind da noch Kazu und Fumi, zwei schwule Anwälte, die ihre Homosexualität niemals in der Öffentlichkeit bekunden, geschweige denn ausleben könnten. Das Love Hotel ist ihr einziges Versteck, nachdem sie woanders schon mehrfach abgewiesen wurden. Der Film entwickelt einen eigentümlichen Sog, der den Zuschauer förmlich in eine unbekannte, fremde Welt zieht. Cox und Toda haben über mehrere Jahre hinweg stundenlang auf der Lauer gelegen, um höchst bemerkenswerte Beobachtungen und offene Bekenntnisse einzufangen. Unterschiedliche Themenzimmer, von der lichtflackernden Disco bis zum arabischen Zimmer, entführen in andere Erfahrungsräume. Diese kleinen Fluchten aus dem Alltag sind ein wichtiges Thema des Films, das mit Sex nur am Rande zu tun hat. Hinter den Kulissen arbeiten unsichtbar die Angestellten, von den Putzfrauen über den Sicherheitsmann bis zum Manager. Der Konkurrenzdruck unter den einzelnen Hotels ist hoch, die Chefs treiben ihre Untergebenen zu verstärkter Arbeit an. Daran ändert auch eine innige Umarmung bei einer Betriebsfeier nichts, die die Mitarbeiter auf andere Gedanken bringen soll. Auch die politischen Hintergründe spart Cox nicht aus. Seit der Wahl der konservativen Regierung im Jahr 2012 sind die Gesetze strenger geworden. Beobachtung via Kamera, Automatenverkauf im Zimmer, ihre anrüchige Gestaltung – plötzlich ist alles verboten. So endet der Film fast ein wenig traurig mit der Entlassung des Personals und dem Zersägen des Mobiliars. Love Hotels begehren mit ihren Freiräumen auch gegen gesellschaftliche Zwänge und Anpassungsdruck auf. Sie sind Orte der unkontrollierten Lebenslust, und darum der Regierung ein Dorn im Auge.
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