Drama | Deutschland 2014 | 83 Minuten

Regie: Nadine Heinze

Eine junge Goldschmiedin gefällt sich darin, fremde Männer nach allen Regeln der Verführungskunst zu umgarnen, sie aber in dem Moment brüsk zurückzuweisen, in dem sie ihr Begehren geweckt hat. In vier sehr unterschiedlichen Varianten, die teilweise miteinander verschachtelt, teilweise auch parallel erzählt werden, spielt das Filmdebüt mit den Fassaden einer zutiefst traumatisierten Frau, ohne die großartig dargestellte Hauptfigur zu diskreditieren oder zu pathologisieren. Inszenatorisch setzt der Film eher auf Understatement und leise Töne. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
B8 Filmprod.
Regie
Nadine Heinze · Marc Dietschreit
Buch
Nadine Heinze · Marc Dietschreit
Kamera
Conrad Lobst
Musik
Matti Thölert · Bertolt Pohl
Schnitt
Andrea Schumacher
Darsteller
Sina Ebell · Rupert J. Seidl · Albert Bork · Alexander Steindorf · Carlota Luciani-Frieros
Länge
83 Minuten
Kinostart
25.06.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Beeindruckender Debütfilm

Diskussion
Grau gilt als unscheinbare Farbe. Ein wenig langweilig, aber zugleich auch als Signal dezenten Understatements, des Anstands und der Vermeidung jedweden Exzesses. Ein solches Untertreiben kennzeichnet auch den Debütfilm von Nadine Heinze und Marc Dietschreit, der sich nie zu groß macht, nie auftrumpfen will, obwohl er doch über ein Sujet und eine Hauptdarstellerin verfügt, die zum filmischen Auftrumpfen geradezu einladen. Das Fehlen der Grautöne in ihrem Leben ist genau das Problem der jungen Goldschmiedin, die hier im Zentrum steht. An ihrem Verhalten spürt man schnell, dass irgendetwas nicht stimmt, dass der Anschein gewaltig trügt. Sie, deren Name nie enthüllt wird, scheint souverän über alle möglichen Register weiblichen Verhaltens und der Kunst der Verführung zu verfügen. Sie liebt und braucht es offenkundig, Aufmerksamkeit zu erregen und mit dem Risiko zu spielen, wobei sie zu wissen scheint, was sie tut; Angst jedenfalls scheint sie keine zu haben. Zugleich aber ist ihre Verletzlichkeit deutlich zu sehen. Man könnte sogar von einem Selbstzerstörungstrieb sprechen. Denn die blonde Frau provoziert die Männer bis aufs Blut. Zunächst bietet sie sich als Projektionsfläche für heimliches Begehren und schnellen Sex an, doch im entscheidenden Moment versteht sie es, die fremden Männer hinzuhalten und zurückzuweisen, zunächst spielerisch, dann immer entschiedener, bis sie selbst Grenzen überschreitet, die Männer provoziert, demütigt und ihrerseits Aggressionen entfesselt. Dieses Schema variiert die Inszenierung souverän und in vier sehr unterschiedlichen Varianten, die miteinander verschachtelt, zum Teil aber auch parallel erzählt werden. Der Blick der Kamera ist dabei grundsätzlich auf die junge Frau gerichtet, von der man mehr wissen will, insbesondere über die Vorgeschichte ihres bizarren Verhaltens. Doch der Film hält sich bewusst zurück, er will seine Figur nicht ausschlachten, ihr Verhalten bewerten oder pädagogische Schlüsse daraus ziehen. Oft lacht man mit der jungen Frau über die Männer, die zu ihrem Opfer werden, mitunter aber hat man auch Mitleid mit ihnen. Die Qualität des Films verdankt sich zu einem erheblichen Teil der großartigen Hauptdarstellerin Sina Ebell, die den Film im besten Sinne beherrscht und nahezu alleine trägt. Sie zeigt Einsamkeit und innere Zerrissenheit, Trauer und Unglück, aber auch Lust und Humor. Ihre namenlose Hauptfigur fügt sich in den aktuellen Boom großer Frauenfiguren im deutschen Kino, ob in „Victoria“ (fd 43 142), „Hedi Schneider steckt fest“ (fd 43 058) oder „Die geliebten Schwestern“ (fd 42 491). „Das fehlende Grau“ ist ein kleiner, interessanter, aber keineswegs perfekter Film. Ein inhaltliches Problem besteht darin, dass der Film das Verhalten der Figuren trotz aller Vorsicht doch pathologisiert, indem er die krankhaften Züge ihres Verhaltens betont. Das muss man nicht akzeptieren. Oder steckt hinter jeder Lust an Verführung oder der Manipulation von Mitmenschen bereits ein grundsätzlicher Defekt? Hinter dem Wunsch nach bloßem Sex notwendig ein krankhaftes Verhalten? Zudem wirft der Film eine ästhetische Frage auf. Denn so sehr Understatement ein gutes Rezept fürs Kino sein kann, so deutlich fragt man sich hier gelegentlich, ob bei einem solchen Sujet schrillere Töne oder visuelle Exzesse nicht angemessener gewesen wären.
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