Historienfilm | Taiwan/VR China/Hongkong/Frankreich 2015 | 105 Minuten

Regie: Hou Hsiao-hsien

Die Tochter eines chinesischen Generals wird im 9. Jahrhundert von der Äbtissin einer Kampfkunstschule erzogen und zur Auftragskillerin ausgebildet. Als sie bei einem Auftrag versagt, schickt man die junge Kriegerin in ihre Heimat zurück, wo sie den Mann töten soll, dem sie einst versprochen wurde. Der elegant gefilmte Ausflug des taiwanesischen Regisseurs Hou Hsiao-hsien ins Wuxia-Genre erzählt mit erlesen schönen Bildern und hochästhetischen Schwertkampfsequenzen ein zutiefst moralisches und im Kern pazifistisches Drama. Dabei führt die Absage an genretypische Elemente zu mancher Irritation; auch ist das Porträt der Kriegerin nicht frei von Stereotypen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NIE YIN NIANG | THE ASSASSIN
Produktionsland
Taiwan/VR China/Hongkong/Frankreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Spotfilms/Sil-Metropole/Media Asia/CMPC
Regie
Hou Hsiao-hsien
Buch
Hou Hsiao-hsien · Chu Tien-Wen · Hsieh Hai-Meng · Zhong Acheng
Kamera
Mark Lee Ping-bin
Musik
Giong Lim
Schnitt
Huang Chih-Chia
Darsteller
Shu Qi (Nie Yinniang) · Chang Chen (Tian Ji'an, der Herrscher von Weibo) · Zhou Yun (Lady Tian) · Satoshi Tsumabuki (Spiegelmacher) · Juan Ching-tian (Xia Jing)
Länge
105 Minuten
Kinostart
30.06.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Historienfilm | Martial-Arts-Film
Externe Links
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Betörend schöne Elegie auf eine Wuxia-Kriegerin

Diskussion

Dies ist die Geschichte eines weiblichen Auftragskillers im 9. Jahrhundert, zur Zeit des Verfalls der Tang-Dynastie. In den Provinzen erheben sich lokale Fürsten. Die Hauptfigur heißt Nie Yinniang. Sie wurde von ihren Eltern einst im Wald ausgesetzt und von der Äbtissin einer Kampfkunstschule zur perfekten Kämpferin geschult. Als Nie zu Beginn einen Auftrag nicht ausführt, weil sie mitdenkt, anstatt einfach ihren Job zu tun, wird sie zur Strafe in ihre Heimat zurückgeschickt. Dort soll sie sich bewähren, indem sie den Anführer des rebellischen Weibo-Clans tötet, jenen Mann, der ihr einst als Gatte versprochen wurde. Dadurch soll sie vor allem eine Lektion lernen: ihr Herz stark, das heißt kalt zu machen.

Eine Frau steht also im Zentrum, die sich Zweifel und ein individuelles Urteil gestattet, aber gerade dadurch unfähig wird, in der Männerwelt zu bestehen. Im Actionkino bleiben Frauenfiguren, die mehr sein sollen, als schmückendes Beiwerk für männliche Helden, in aller Regel nur zwei Alternativen. Entweder sind sie Klone von Sarah Connor („Terminator“, (fd 25 019)), cool und hart, von einem emotionalen Panzer umgeben, der dann in irgendeinem Moment doch geknackt wird. Oder sie beglaubigen als dauerempörte Hysterikerinnen oder sanfte Grüblerinnen das Klischee, das in den Frauen das sensiblere, skrupulösere Geschlecht sieht. Der Taiwanese Hou Hsiao-hsien beschreitet in „The Assassin“ eindeutig den zweiten Weg. Je länger der Film dauert, desto mehr drängt sich die Frage auf, ob diese Erzählungen von Männern über Frauen nicht frauenfeindlich sind: Weil ihre Figuren immer „besonders“ sein müssen, aus der Art geschlagen. Weil sie den Frauen nicht gestatten, wie die Männer zu sein, „normal“ zu sein.

Formal betrachtet ist der Film durchweg wohlgestaltet, mit magnetisierenden Tableaus überaus statisch erzählt, langsam bis zum Stillstand, ein bleiern schwerer, mitunter sogar schwerfälliger Film, in dem vor allem nichts passiert, und manchmal das Nichts passiert. Zugleich aber voller wunderschöner, prachtvoller Bilder, insbesondere Naturaufnahmen. Man sieht zwei, drei Schwertkämpfe im Wald, stilisiert und hochästhetisch choreografiert. Das ist im Stil eher japanisch als chinesisch inszeniert: lakonisch-knapp statt opulent. „The Assassin“ ist damit ein gutes Beispiel für die ästhetisierende Seite des asiatischen Kampfkunst-Kinos. Im Kern aber ist er mehr ein typischer Hou-Hsiao-hsien-Film als ein Werk in der Nachfolge von „Tiger & Dragon“ (fd 34 652), „Hero“ (fd 35 972) oder „House of Flying Daggers“ (fd 36 861). Hous Ästhetik ist seit jeher eine Ästhetik der Verweigerung. Hou will das Nichts erzählen: die Stille, das Schweigen.

Doch bei aller Spiritualität, die sich einstellen mag, fehlt „The Assassin“ die glamouröse, überschüssige Seite des Martial-Arts-Genres, wie auch alles Heroische und Pathetische. Den Exzess lässt sich hier allenfalls in der Perfektion der Verweigerung finden. Doch dieser bewusste Bruch mit den Erwartungen ist unproduktiv. Man könnte dem Regisseur mangelnden Respekt vor dem Genre ankreiden, weil er nicht mit den Erwartungen spielt, sondern eher mit dem im Kunstkino schon selbst zum Stereotyp erhobenen Erwartungsbruch. Wie ein Regisseur die Erwartungen an ein Genre erfüllen kann, ohne seine eigenen ästhetischen Ansprüche aufzugeben, haben Ang Lee und Zhang Yimou in ihren „Wuxia“-Filmen gezeigt, mit Genrefilmen, die das Genre überschritten. Hou Hsiao-hsien ist das nicht geglückt, er hat sich diesem Genre der Aktivität einfach passiv verweigert. Auch inhaltlich: Pazifistisches Kampfkunstkino ist nicht nur ein Widerspruch in sich, es ist auch der mit Abstand moralisch billigste Ausweg.

Aktiv ist hier allein die Natur: Am Ende gibt es eine großartige Szene auf einem Berg. Die Heldin hat sich ein weiteres Mal eigene Ansichten gestattet und wird von ihrer Chefin mit den Worten verstoßen: „Der Weg des Schwerts ist gnadenlos.“ Dann hüllen binnen wenigen Sekunden die Wolken den Berg ein und tauchen alles in weiße Schwaden. Bald sieht man Nie wieder im Tal, wie sie zu ihrer Familie eilt, und dann wandern sie weiter nach Westen.

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