Mein Ein, mein Alles

Drama | Frankreich 2015 | 126 Minuten

Regie: Maïwenn

In Rückblenden erzählte „amour fou“ zwischen einer warmherzigen Anwältin und einem charismatischen Restaurant-Besitzer. Mit brillanten sprühenden Dialogen und einer vorwärtsdrängenden, zugleich aber feinfühligen Inszenierung vermögen die herausragenden Hauptdarsteller dem bekannten Sujet einer zunehmend (selbst-)zerstörerischen Liebesgeschichte Momente von großer emotionaler Wucht zu entlocken. Dadurch werden auch dramaturgische Schwächen und die Stereotypen in der Figurenzeichnung weitgehend aufgefangen. Im letzten Drittel büßt das großartige Schauspieler-Drama durch längliche Szenen allerdings an Intensität ein. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MON ROI
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Les Productions du Trésor/StudioCanal/France 2 Cinéma
Regie
Maïwenn
Buch
Maïwenn · Etienne Comar
Kamera
Claire Mathon
Musik
Stephen Warbeck
Schnitt
Simon Jacquet
Darsteller
Vincent Cassel (Georgio) · Emmanuelle Bercot (Tony) · Louis Garrel (Solal) · Isild Le Besco (Babath) · Chrystèle Saint-Louis Augustin (Agnès)
Länge
126 Minuten
Kinostart
24.03.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit 18 im Film nicht verwendeten Szenen (28 Min.).

Verleih DVD
StudioCanal (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
Verleih Blu-ray
StudioCanal (16:9, 2.35:1, dts-HDMA frz./dt.)
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Großartig gespieltes Drama einer zerstörerischen Liebe, erzählt in Rückblenden

Diskussion
Irgendwann zeichnet Tony mit Tränen in den Augen eine horizontale Linie in die Luft: So möchte sie leben, nicht immer dieses ewige Auf und Ab. Ihr große Liebe Georgio malt daraufhin imaginäre Zickzacklinien, vergleicht das Leben mit einem Elektrokardiogramm und sagt: „Wenn es eine Linie ist, ist man tot.“ „Mein Ein, mein Alles“ erzählt in Rückblenden die leidenschaftliche, zunehmend aber auch destruktive Liebesgeschichte zwischen der warmherzigen Anwältin Tony und dem charismatischen Restaurantbesitzer Georgio. Zu Beginn stürzt sich Tony beim Skifahren in die Tiefe. Schwarze Blende, dann Aufenthalt in der Rehaklinik: Das vordere Kreuzband ist gerissen, Tony zu wochenlanger Unbeweglichkeit verbannt. Und damit gewissermaßen zu der Ruhe, nach der sie sich sehnte. In dieser Situation erinnert sich Tony an den Beginn ihrer Liebesgeschichte mit Georgio, das Kennenlernen in einer Disco, das erste Date, die Leidenschaft, die beide verbindet, Hochzeit und Geburt des gemeinsamen Sohnes, die zunehmenden Streitereien, Unsicherheiten und Demütigungen, den Trennungsschmerz, der immer wieder mit neuer Nähe und dem Wiederaufflammen der Gefühle wechselt. Regisseurin Maïwenn erzählt mit großem Drive, vorwärts drängend und gefühlsgewaltig, was den Charakter der intensiven „Amour fou“ zwischen Tony und Georgio sehr gut trifft. Dennoch ist „Mein Ein, mein Alles“ im Kern ein Film, wie man ihn keinesfalls zum ersten Mal sieht: eine (selbst-)zerstörerische Love-Story, die aus denselben Gründen, aus denen sie begann, scheitern muss. Es sind ja gerade Georgios Unernst, seine mangelnde Reife und seine Gier nach Abenteuer und Spaß, die Tony zu ihm hinziehen, die ihn zu ihrem „König“ machen. Doch irgendwann kann sie die damit verbundene Sprunghaftigkeit nicht mehr ertragen. Die Rollenzuschreibungen des Liebesdramas funktionieren nicht ganz nach dem Mann-Frau-Klischee, männlicher Hallodri hier, weibliches Sicherheitsbedürfnis dort – schließlich hat auch Tony etwas Spielerisch-Ausgelassenes, und Giorgio ist derjenige, der sich sehr bald ein gemeinsames Kind wünscht. Dennoch ist der Film nicht frei von Stereotypen. Die Schwächen in der Figurenzeichnung werden jedoch weitgehend durch das herausragende Spiel von Emmanuelle Bercot und Vincent Cassel aufgefangen. Cassel fügt seinem Rollenrepertoire mit dem charismatisch schillernden, gelegentlich fast dämonischen Verführer zwar keine neue Facette hinzu, spielt aber auf überzeugende, „verführerisch“-temperamentvolle Weise. Bercot wiederum, die wie die Regisseurin Maïwenn sowohl Schauspielerin als auch Regisseurin ist, gibt Tony mit großer emotionaler Durchlässigkeit als jung gebliebene Frau in den Vierzigern, die ihr Glück kaum fassen kann, als sich der Traummann für sie entscheidet. Und die dann ebenso transparent und ohne Rücksicht auf Eitelkeiten leidet, als Georgio auf Abstand geht; in ihrer Pein grandios ist jene Sequenz, in der sie ihm bei einer Gartenparty stockbesoffen eine Szene macht. Die Beziehung, die Georgio und Tony aneinanderbindet, entfaltet der Film zwingend und mit großer emotionaler Wucht. Neben den Darstellern tragen dazu die klugen und präzise geschriebenen Dialoge viel bei, aber auch die feinfühlige, vor allem den weiblichen Blickwinkel einnehmende Regie, die es versteht, die Kraft der Emotionen ebenso mitreißend wie stimmig zu vermitteln. Doch aus den Szenen im Reha-Zentrum, mit denen die langen Rückblenden immer wieder unterbrochen werden, holt der Film überraschend wenig heraus. Welches Gegengewicht die länglichen Sequenzen, in denen Tony mit einer Gruppe junger Rekonvaleszenten abhängt, zur Liebesgeschichte bilden soll, bleibt nebulös. Auch hätte der Film die Anmerkung, die das verletzte Knie allzu plump mit dem Schmerz der Vergangenheit in Verbindung bringen möchte – schließlich lässt sich ein Kniegelenk nur nach hinten beugen –, gar nicht nötig. Generell hätten dem Drama, das sich im letzten Drittel nach dem x-ten Gefühls-Auf-und-Ab im Kreis zu drehen beginnt und darüber an Intensität einbüßt, ein paar beherzte Kürzungen gut getan. Nichtsdestotrotz ist „Mein Ein, mein Alles“ ein großer, emotional packender Schauspielerfilm.
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