Der serbische Anwalt - Verteidige das Unfassbare!

Dokumentarfilm | Deutschland/Serbien/Niederlande/Großbritannien 2014 | 86 Minuten

Regie: Aleksandar Nikolic

Dokumentarisches Porträt des Anwalts Marko Sladojević, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag den ehemaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić verteidigt. Der Film verbindet Studien über Sladojevićs Persönlichkeit, unterschiedliche Mentalitäten in den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens sowie Rückblicke auf den politisch-militärischen Konflikt zu einem differenzierten, betont ergebnisoffenen Mosaik, das als Skizze der mühevollen Detailarbeit eines Kriegsverbrecherprozesses überzeugt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Serbien/Niederlande/Großbritannien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Inselfilm Prod.
Regie
Aleksandar Nikolic
Buch
Aleksandar Nikolic
Kamera
Aleksandar Nikolic · Caspar Brink
Musik
Enrica Sciandrone
Schnitt
Aleksandar Nikolic · Andreas Preisner
Länge
86 Minuten
Kinostart
08.10.2015
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Dokumentarisches Porträt des Anwalts von Radovan Karadžić

Diskussion
Marko Sladojević dreht nervös am Ehering um seinen Finger. Es ist diese kleine Geste, die, wenn auch ein wenig zu gewollt und eindeutig sinnbildlich platziert, eine Klammer bildet um die Erkenntnisreise eines Mannes, der genauso um Erklärungen zu ringen scheint wie das Publikum des Dokumentarfilms von Aleksandar Nikoliç. Erst tönt der Anwalt Sladojević im niederländischen Radio selbstbewusst und wenig sympathisch, dass die Anschuldigungen gegen den bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić, den er vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verteidigt, doch nur westliche Propaganda seien. Am Ende des Films aber ist die Ehe des Advokaten zerrüttet, woran seine Arbeit für und mit Karadžić ihren Anteil haben mag, und es ist ein differenziertes, ergebnisoffenes Mosaik entstanden, dem eine stärkere Fokussierung, eine klarere Struktur und vielleicht auch ein wenig mehr Bescheidenheit allerdings noch zuträglicher gewesen wären. Nikoliç flicht Studien über Persönlichkeit, Mentalitäten und einem politischen wie militärischen Konflikt ineinander. Wie kommt einer dazu, sich dem Verteidigungsteam von Karadžić und davor schon dem von Slobodan Milošević anzuschließen, der früher ein glühender Gegner der Politik von Milošević war, der gegen den Mann auf die Straße gegangen und während des Krieges seine serbische Heimat Richtung Niederlande verlassen hatte? Die Natur des Menschen, sinniert Sladojević, sei nun einmal unergründlich. Es habe wohl damit zu tun, dass er sich immer für die Schwachen einsetzen wolle, zu denen die Angeklagten in ihrer Situation vor Gericht wurden. Ansonsten lässt Nikoliç den Protagonisten Spuren verfolgen, in der eigenen Familie – er ist mit einer Slowenin verheiratet, die er beim Milošević-Prozess kennenlernte –, bei Freunden in Belgrad, bei den Einwohnern von Sarajewo, wo Karadžić unter den Muslimen verhasst ist, während die bosnischen Serben ihn als Schutzheiligen feiern. Ruhige Totalen über befriedeten Städten zeigt Nikoliç, kontrastiert von historischen Fernsehbildern voller Chaos, Schüsse und Toter. Auf einem Zeitungsfoto des Markale-Marktplatzes in Sarajewo, wo 1994 und 1995 Mörsergranaten einschlugen und über 100 Menschen töteten, hängt der halbe Leichnam eines Menschen über dem Geländer. Die riesige Wunde an seiner Seite könne nicht von Granatsplittern stammen, sagt eine Mitstreiterin von Sladojević. Solche Einblicke in den Alltag eines Kriegsverbrecher-Prozesses zählen, so makaber dies auch sein mag, zu den besonderen Fundstücken des Films. Gegen das große Leid, gegen das Monster Krieg könne er nicht verteidigen, sagt Sladojević. Also geht es in die mühevolle Kleinarbeit, in ballistische Details und abstrakte Zahlen. Ein russischer Colonel, der für die UNO vor Ort war, wertet mit den Anwälten Berichte über die Anzahl der abgegebenen Schüsse aus: 20.000 von den Serben, 13.000 von den Bosniern, 8.000 ungeklärt. Als die Anklage wegen Völkermordes, die Karadžić schon erlassen schien, dann doch wieder bestätigt wird, wühlen sich die Anwälte durch elektronische Dokumente, finden einen Zeugen, ordnen ihn in ein weltanschauliches Raster ein und begründen so ihre Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit. In diesem Moment kommt eine ambivalente Dynamik in den Film, der sonst eher kontemplativ ist und körperliche Aktion fast nur als Aktion der Gewalt in historischen Aufnahmen kennt. Der Völkermord-Prozess wandelt sich beinahe in einen spannenden Gerichtsthriller, was allerdings eine geschmacklose Art der Rezeption wäre. Doch in diesen Augenblicken entsteht eine Ahnung von Authentizität, die bei der Recherche vor Ort, bei Gesprächen und Diskussionen allenfalls im Eingestehen des eigenen Scheiterns überzeugt: Sladojević wäre der erste, der zugibt zu wissen, dass er nichts weiß.
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