8 Sekunden - Ein Augenblick Unendlichkeit

Drama | Türkei/Deutschland 2015 | 121 Minuten

Regie: Ömer Faruk Sorak

Die widerspenstige Tochter einer türkischen Einwandererfamilie in Berlin begehrt gegen ihre patriarchal geprägte Umwelt auf. Dabei gerät sie auf Abwege und landet in der Psychiatrie, bis sie durch die Begegnung mit dem Mann ihrer Träume die ersehnte Freiheit findet. Nach Erfahrungen einer deutschtürkischen Schauspielerin beschreibt der Film mit viel Pathos den steinigen Weg der Emanzipation und lockert die sozialdramatischen Innenansichten mit verspielten Traumsequenzen und leichtfüßigen Liebesszenen auf. In der Zeichnung der Nebenfiguren zwar recht schematisch, überzeugt der Film dennoch als engagiertes Frauenporträt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
8 SANIYE
Produktionsland
Türkei/Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Barefoot Films/Neue Schönhauser Filmprod./Böcek Yapim/Galata Film
Regie
Ömer Faruk Sorak
Buch
Nuran Evren Sit · Esra Inal
Kamera
Manu Kadosh
Musik
Gustavo Farias
Schnitt
Erdinc Cözen · Levent Celebi
Darsteller
Esra Inal (Esra) · Mehmet Kurtulus (Sami) · Siir Eloglu (Hayat) · Fahri Yardim (Mo) · Leonie Benesch (Helen)
Länge
121 Minuten
Kinostart
29.10.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Engagiertes, etwas pathetisches Porträt einer Frauenemanzipation

Diskussion
Offenbar wächst hier zusammen, was zusammengehört: Der neue Spielfilm des türkischen Blockbuster-Regisseurs Ömer Faruk Sorak („G.O.R.A.“ (fd 36 813), „Ask Tesadüfleri Sever“ (fd 40 320) wurde in Deutschland von Til Schweiger koproduziert. Womit sich zwei der europaweit erfahrensten und erfolgreichsten Publikumsfilmer darauf geeinigt haben, die esoterisch angehauchte, authentisch geprägte Emanzipationsgeschichte einer deutschtürkischen Debüt-Schauspielerin zu verfilmen. Mutig und im Ergebnis nicht immer ganz rund, aber – Schweiger und Sorak eben – durchaus auf der Höhe des Zeitgeistes. Mit Esra Inal taucht eine Schauspielerin als Star auf, die vorher noch nie vor der Kamera stand. In „8 Sekunden“ spielt sie selbst ihr Leben. Die Spätgeborene zweier liebevoller Eltern sieht die Zukunft voraus und träumt von einem seltsamen Mann, der sie, zwischen Albdruck und Hoffnung, aus ihrem bisherigen Dasein erlöst. Dieser erscheint ihr am Ende des Films dann auch tatsächlich in Person des mexikanischen Schriftstellers Miguel Ángel Ruiz, der seit einer Nahtod-Erfahrung mit schamanistisch-esoterischen Bestsellern Anleitungen zu Selbstachtung, Seelenfrieden und einem würdigen zwischenmenschlichen Miteinander gibt. Ein Respekt, der der von Natur aus rebellischen Esra von ihrer Umwelt zunächst versagt bleibt. Bereits in der Schule als widerspenstig gebrandmarkt, hadert die Tochter einer türkischen Einwandererfamilie in Berlin mit den Ansprüchen ihrer patriarchal geprägten Umwelt. Sie verweigert sich der Zwangsheirat genauso konsequent wie den zunehmenden Besitzansprüchen ihres einst so liebevollen Ehemanns Tayfun und dem Gefühlschaos der Zufallsbekanntschaft Mo, einem Tagedieb, der ihr erst die grenzenlose Freiheit schenkt, um sie dann in die Abgründe von Spielsucht und Drogenhandel mitzunehmen. Ein von Inals tatsächlicher Biografie inspiriertes Schicksal, das nicht nur viele zwischen Deutschland und der Türkei aufgewachsene Frauen ansprechen dürfte: der steinige Weg der Emanzipation, der mit dem Verlust gesellschaftlicher Achtung verknüpft ist. Ein Weg, der Esra zwischen ihren emotionalen Höhenflügen – Unabhängigkeit verleiht genauso große Flügel wie Liebe – immer wieder in Selbstzweifel abstürzen lässt, bis sie sich in der Psychiatrie wiederfindet. Den Weg zurück zur Selbstachtung weist ihr der wirkliche Mann ihrer Träume, Don Miguel Ruiz, zu dem sie schließlich in dessen mexikanische Heimat reist. Mit seiner traumwandlerischen Auflösung entwickelt sich „8 Sekunden“ – der Titel referiert auf die in galaktischen Jahren gemessene Dauer eines Menschenlebens – zunehmend zum Lehrfilm, dessen schlussendliche „Vergebt-Euch-selbst“-Botschaft leicht als Schule der Toleranz gegenüber männlicher Willkür fehlinterpretiert werden könnte. Denn schließlich steht Sorak seinen ganzen Film über auf der Seite seiner weiblichen Heldin, begleitet sie mal mit bildstark verspielten Traumsequenzen, mal mit sozialdramatischen Innenansichten und mal mit leichtfüßig inszenierten Liebesszenen durch das emotionale Auf und Ab, mit dem sie durch ihr Leben hetzt. Langeweile kommt da für das Publikum nie auf, wenn auch die Dramaturgie – typisch bereits für „Ask Tesadüfleri Sever“, mit dem Sorak die rustikal pointierte Selbstironie seiner früheren Filme Richtung Melodram hinter sich ließ – oft auf überschwängliches Pathos zurückgreift und Esras allernächste Bezugspersonen zuweilen von augenhöhengleichen Partnern zu Hindernissen auf dem schicksalhaften Weg zur Erlösung reduziert. Damit trifft er aber offensichtlich den Nerv seines Zielpublikums. In der Türkei kommt der Film, der dort Ende Februar startete, auf inzwischen 420.000 Zuschauer. Fürs deutsche Kinopublikum hält „8 Sekunden“ einige Referenzen an die Filmgeschichte bereit, die das Pathos ins Faktische zurückrechnen. So wird Mehmet Kurtuluş, der im Hamburger „Tatort“ den ersten türkischstämmigen Fernsehkommissar gab, als gegen seinen wirklichen Willen sturer patriarchaler Prinzipienreiter querbesetzt, und Sema Poyraz, die als erste türkischstämmige Filmstudentin an der Berliner DFFB mit ihrem Abschlussfilm „Gölge – Zukunft der Liebe“ (1980) einen Ausgangspunkt für das sogenannte „deutsch-türkische Kino“ realisierte, gibt Esras Mutter. So wird, hinter dem geschmäcklerischen Pamphlet-Charakter der esoterischen letzten Viertelstunde, deutlich: Geschichte wird gemacht, hier von einer von Zweifeln geplagten, aber geradlinig agierenden Frau, und Unabhängigkeit ist genauso alternativlos wie unumkehrbar.
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