Drama | Island 2015 | 93 Minuten

Regie: Grímur Hákonarson

Als in einem abgelegenen Tal in Island die Schafseuche ausbricht, sollen alle Tiere getötet werden. Das betrifft auch die Herden zweier eigenbrötlerischer Brüder, die seit 40 Jahren kein Wort miteinander gesprochen haben und auch jetzt noch auf jeweils eigene Weise mit der Bedrohung ihrer Existenz fertigwerden wollen. Eine irrwitzige, von zarter Melancholie grundierte Tragikomödie über die Einsamkeit. Die Inszenierung mischt Poesie und Weltschmerz in die rauen Landschaftsbilder und rückt den sich aus der Ferne belauernden Brüdern mit starren Tableaus und frontalen Porträts auf den Leib. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HRÚTAR
Produktionsland
Island
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Netop Films/Profile Pic.
Regie
Grímur Hákonarson
Buch
Grímur Hákonarson
Kamera
Sturla Brandth Grøvlen
Musik
Atli Örvarsson
Schnitt
Kristján Lodmfjörd
Darsteller
Sigurdur Sigurjónsson (Gummi) · Theodór Júlíusson (Kiddi) · Charlotte Bøving (Katrin) · Jon Benonysson (Runólfur) · Gunnar Jónsson (Grímur)
Länge
93 Minuten
Kinostart
31.12.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Irrwitzige Tragikomödie um zwei starrköpfige isländische Brüder

Diskussion
„Sture Böcke“ also. Das Wortspiel des deutschen Verleihtitels ist nur allzu offensichtlich. Man kennt ja die Witze über Hunde und ihre Besitzer, die sich mit der Zeit angeblich immer ähnlicher sehen. Optisch inszeniert der isländische Regisseur Grímur Hákonarson mit seinem zottelbärtigen Bruderpaar Gummi und Kiddi den gleichen Gag. Nur dass es bei ihm nicht um Hunde, sondern um Schafe geht. Doch nicht nur mit ihrem struppigen Weißhaar und den langen, ungeschorenen Bärten erinnern die beiden Brüder an die Tiere, aus deren Wolle ihre Islandpullover gestrickt sind. Auch in ihrem Naturell gleichen sie den störrischen Schafsböcken, denen sie liebevoll die Schädel tätscheln. Gummi und Kiddi teilen sich zwar den elterlichen Hof und ein Stück Land in einem abgelegenen Tal im Norden Islands. Aber miteinander geredet haben sie schon seit 40 Jahren nicht mehr. Was sie derart entzweite, erfährt man nicht. Wahrscheinlich spielt das ohnehin längst keine Rolle mehr. Genüsslich zelebrieren die beiden Käuze ihre gegenseitige Abneigung. Und der Film zelebriert sie mit ihnen. Jahr für Jahr treten die Brüder im regionalen Schafzüchterwettbewerb gegeneinander an. Alte und Junge, Männer und auch ein paar Frauen stehen in ihren Schafwollpullovern vor dem Schiedsgericht. Ihre Prachtböcke bei den Hörnern gepackt. Nebeneinander aufgereiht wie Schulkinder. Bloß dass auf den Namensschildern, die sie sich um den Hals gehängt haben, nicht ihre eigenen Namen prangen, sondern die ihrer Schafe. Es gibt etliche solcher Bilderbuchszenen. Sorgfältig arrangiert. Ausgesucht komisch. Wenn Gummi seinem Bruder etwas sagen möchte, schreibt er es auf einen Zettel, rollt ihn zusammen und steckt ihn dem Hofhund ins Maul, der die Nachricht dann zu Kiddi trägt. Als dieser einmal sturzbetrunken im Schnee liegenbleibt, lädt Gummi ihn widerwillig auf den Schaufelbagger und legt ihn unsanft vor den Toren des Krankenhauses ab. Auch die Dramaturgie des Films entwickelt sich zunächst im Stile einer jener skurrilen Nordland-Komödien, die nicht immer so schräg sind, wie sie es eigentlich gerne wären. Beim Züchterwettbewerb lässt Gummi seinen eifersüchtigen Blick über Kiddis Siegerschaf streifen. Zu seinem Entsetzen entdeckt er Anzeichen einer hochinfektiösen Krankheit. Tatsächlich stellt sich heraus, dass die Herde mit Scrapie, einer Art Schaf-BSE, befallen ist. Die Behörden reagieren rigoros. Alle Schafe im Tal müssen geschlachtet werden. Zwei Jahre lang dürfen sich die Züchter keine neuen Tiere anschaffen. Nachdem sie von dem Beschluss erfahren haben, setzen sich die betroffenen Familien zusammen. Es herrscht eine kämpferische, aufwieglerische Stimmung. Man will sich das nicht gefallen lassen. Nicht nur die Schafe, auch ihre Besitzer können Sturköpfe sein. Und für einen Moment sieht es danach aus, als könne der Film in die Fußstapfen von „Kops“ (fd 36 210) und all den anderen Provinzkomödien treten, in denen eingeschworene Dorfgemeinschaften ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Es kommt jedoch anders. Die Wut ist schnell verdampft. Resignation macht sich breit. Die meisten fügen sich in das Unvermeidliche. Nach und nach ergreift eine zarte Melancholie von der Filmerzählung Besitz, die auch schon durch die eher plakativ angelegten Spaßszenen hindurchschimmerte. Denn von Anfang an mischt die Inszenierung eine ordentliche Portion Poesie und Weltschmerz in die weiten, schroffen Landschaftsbilder. Island ist hier ein raues, windiges Eiland. Draußen grau, drinnen dunkel. Je länger der Film dauert, desto deutlicher zeichnen sich diese ernsthaften, traurigschönen Töne ab. Und der Winter kommt erst noch. Immer wieder fotografiert der norwegische Kameramann Sturla Brandth Grøvlen durch Fensterscheiben hindurch. Der Schmutz, der auf den Scheiben klebt, das beschlagene Glas, die Lichtreflexionen akzentuieren die Distanz einer solchen Beobachterperspektive. Die Kamera legt gewissermaßen den Blickwinkel der von Sigurður Sigurjónsson und Theodór Júlíusson eindringlich, aber nie aufdringlich gespielten Brüder an, die sich wechselseitig aus der Ferne belauern. Nur scheinbar im Widerspruch dazu stehen die starren Tableaus und frontalen Porträts, mit denen die Kamera den Protagonisten an anderer Stelle auf den Leib rückt. Die beiden Brüder, die sich als die narrativen Pole dieser sanften, irrwitzigen, hoffnungsvollen Tragikomödie entpuppen, wirken darin wie ausgestellt. Deplatziert und verloren. „Sture Böcke“ ist ebenso ein Film über wie gegen die Einsamkeit, aber natürlich auch einer über blökende Schafe, schrullige Männer und Island.
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