Marvel's Jessica Jones

Action | USA 2015- | 670 (Staffel 1, 13 Episoden) 675 (Staffel 2, 13 Episoden) 660 (Staffel 3, 13 Episoden) Minuten

Regie: S. J. Clarkson

Eine junge Frau, die über besondere Kräfte verfügt und als Privatdetektivin in New York lebt, verbirgt hinter einer toughen, zynischen Fassade eine traumatische Vergangenheit, die sie indes einzuholen droht: Einst war sie das Opfer eines ebenfalls übernatürlich Begabten, der andere rücksichtslos und sadistisch seinem Willen unterwirft und sie geistig manipuliert. Ein spannender Erzählzweig des Marvel-Erzähluniversums um eine schillernde, alles andere als glanzvolle Heldin, der lustvoll erzählerische Haken schlägt und das klassische "Hardboiled"-Detektiv-Sujet samt seines düsteren Noir-Looks stimmig mit fantastischen Elementen anreichert. Dabei glänzt die Serie mit durchweg interessanten Charakterzeichnungen und fällt vor allem durch mehrere starke,widerständige Frauenfiguren positiv auf. Staffel 1 handelt vom erneuten Aufeinandertreffen von Jessica Jones und ihrem einstigen Peiniger Kilgrave, der sie in ein sinisteres Katz-und-Maus-Spiel verwickelt, von dem auch Jessica Jones' beste Freundin Trish und ihre neue Liebe Luke Cage, ebenfalls ein mit übernatürlichen Kräften begabter New Yorker, nicht unberührt bleiben. In Staffel 2 versucht Trish Jessica dazu zu animieren, mehr über die genaue Herkunft ihrer Kräfte heraus zu finden, und stößt auf dubiose Experimente, denen Jessica als Teenager nach einem schweren Unfall ausgesetzt war, bei dem ihre Familie ums Leben kam. Dies führt Jessica zur Konfrontation mit einem neuen, mit ähnlichen Kräften wie sie begabten Gegner, der sich auf tragische Weise als "missing link" zu ihrer Vergangenheit entpuppt und durch den sich zunehmend Brüche in ihrer Freundschaft zu Trish auftun. In Staffel 3 ringen Jessica und Trish weiter mit den Konflikten, die in Staffel 2 zwischen ihnen aufgebrochen sind und durch Trishs Entwicklung am Ende der Staffel nun noch verschärft werden. Trotz Versuchen, sich wieder zusammen zu raufen, erweisen sich die unterschiedlichen Auffassungen der Frauen von dem, was mit übermenschlichen Kräften begabte Individuen bei der Verbrechensbekämpfung jenseits von staatlicher Strafverfolgung tun dürfen und sollen, als kaum vereinbar, auch wenn der Kampf gegen einen hochintelligenten Serienkiller, auf den die beiden durch einen weiteren "Superhuman" aufmerksam geworden sind, ihnen einen diabolischen gemeinsamen Gegner liefert. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
JESSICA JONES
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2015-
Produktionsfirma
ABC Studios/Marvel Studios/Netflix/Tall Girls Prod.
Regie
S. J. Clarkson · David Petrarca · Stephen Surjik · Simon Cellan Jones · John Dahl
Buch
Melissa Rosenberg · Micah Schraft · Liz Friedman · Scott Reynolds · Hilly Hicks Jr.
Kamera
Manuel Billeter · Petr Hlinomaz
Musik
Sean Callery
Schnitt
Jonathan Chibnall · Tirsa Hackshaw · Michael N. Knue · Jennifer Barbot · Trey Ordonez
Darsteller
Krysten Ritter (Jessica Jones) · David Tennant (Kilgrave) · Rachael Taylor (Trish Walker) · Eka Darville (Malcolm Ducasse) · Mike Colter (Luke Cage)
Länge
670 (Staffel 1, 13 Episoden) 675 (Staffel 2, 13 Episoden) 660 (Staffel 3, 13 Episoden) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Action | Comicverfilmung | Krimi | Serie

Das »Marvel Cinematic Universe« wächst und wächst: Während nahezu täglich Gerüchte über neue Kinofilm- und Serienprojekte kursieren und 2016 der nächste Captain-America-Kinofilm ansteht, kämpfen die »Agents of S.H.I.E.L.D.« (als Ableger der »Avengers«-Kinofilme) in der dritten Fernsehstaffel, in deren Winterpause sich die zweite Staffel von »Marvel's Agent Carter« schiebt; darüber hinaus gibt es mit »The Defenders« bereits eine weitere Erzählwelt, die sich in gleich vier Einzelreihen aufteilt (die dann gerüchteweise in »The Avengers 3: Infinity War Part 1« zusammenkommen sollen): »Daredevil«, »Luke Cage«, »Iron Fist« und – »Jessica Jones«.

Diskussion

Staffel 1

Auftakt einer Marvel-Serie um eine Superheldin, die im Stil der "Hard Boiled Detectives" des Film noir als Privatdektektivin arbeitet und hinter einer zynischen Fassade erlittene Traumata mit sich rumschleppt.

Das »Marvel Cinematic Universe« wächst und wächst: Während nahezu täglich Gerüchte über neue Kinofilm- und Serienprojekte kursieren und 2016 der nächste Captain-America-Kinofilm ansteht, kämpfen die »Agents of S.H.I.E.L.D.« (als Ableger der »Avengers«-Kinofilme) in der dritten Fernsehstaffel, in deren Winterpause sich die zweite Staffel von »Marvel's Agent Carter« schiebt; darüber hinaus gibt es mit »The Defenders« bereits eine weitere Erzählwelt, die sich in gleich vier Einzelreihen aufteilt (die dann gerüchteweise in »The Avengers 3: Infinity War Part 1« zusammenkommen sollen): »Daredevil«, »Luke Cage«, »Iron Fist« und – »Jessica Jones«.

Uneingeweihte dürften angesichts solch komplizierter Zusammenhänge resigniert abwinken, während eingefleischte Marvel-Fans längst süchtig sind nach den raffiniert miteinander verzahnten Erzählungen und Figuren, die durch die Kinofilme und Serien mäandern. Oft schon wurde angesichts solch narrativer Technik der Vergleich mit Balzac und seinem (immerhin an die 90 Titel umfassenden) Romanzyklus »Die menschliche Komödie« bemüht, was in mancherlei Hinsicht gar nicht so abwegig ist: Auch Balzac wollte mit seinen Romanen und Erzählungen vor allem (anspruchsvoll) unterhalten und zugleich das gesellschaftliche Gesamtbild seiner Epoche entwerfen, in dem immer wieder vertraute Figuren auftauchen.

Eine aus den Fugen geratene Welt

Dies ist auch den Marvel-Filmen eingeschrieben: Über Zeiten und Räume, Genres und Atmosphären hinweg vermittelt sich der fantastische Gesamtentwurf einer aus den Fugen geratenden Welt, in der es angesichts immer komplexerer Zusammenhänge zu Radikalisierungen, zu Ressentiments und Vorurteilen, auch zu Hass und Ausgrenzung von »Anderartigen« kommt. Eine dieser »Anderen« ist Jessica Jones (Krysten Ritter), die ihre Vergangenheit wie auch ihre übermenschliche (Superhelden-)Kraft hinter der Fassade einer trinkfesten, lässigen, abweisenden und zynischen Privatdetektivin im New Yorker Stadtteil »Hell's Kitchen« verbirgt. Und doch ihrer Vergangenheit nicht zu entfliehen vermag: Einst war sie in die Fänge eines ebenso machtvollen wie sadistischen Mannes geraten, der kraft seiner Gedanken die Menschen beherrscht und sie sich grausam verfügbar macht, sie missbraucht, sie zu (Selbst-)Mord und Totschlag anstiftet. Diese fatale Beziehung zwischen Jessica und Kilgrave (David Tennant) offenbart sich nur schrittweise in komplexen Rückblicken und weitet sich zugleich zum immer weniger vorhersehbaren Katz-und-Maus-Spiel um Abhängigkeiten und Kontrolle, auch um Schuld und Vergebung, in das immer mehr Menschen hineingezogen werden.

Das klassische »Hardboiled«-Sujets des Detektivfilms mit fantastischen Elementen

Die höchst spannende, lustvoll erzählerische Haken schlagende Serie verbindet klassische »Hardboiled«-Sujets des Detektivfilms mit fantastischen Elementen, wobei sich der Bezug zum Marvel-Kosmos eher sporadisch andeutet: Mal läuft ein Junge mit Captain-America-Schild durch die Straßen, und am Ende taucht eine zentrale Figur aus »Daredevil« auf, während die Serie ansonsten durch ihre ganz eigene spezifische Dichte und Originalität punktet. Dabei ändert die urbane Kulisse je nach Erzählstimmung gerne auch mal die Jahreszeiten, während sich das Arsenal prägnanter Figuren überwiegend aus Frauen speist: aus übermächtigen Müttern, fremdbestimmten, mal verzweifelten, mal hysterischen Opfer-Figuren, starken Verbündeten, Frauen an den Schaltstellen der (juristischen) Macht, die sich in lesbischen Liebesbeziehungen verfangen haben. Über allem aber regiert ein infamer, diabolischer männlicher Bösewicht, der mit seinen Gedankenmanipulationen die Welt gefährdet. David Tennant verleiht ihm ein intensives »Flair«, mit dem er spielend zu Andrew Scotts Moriarty in »Sherlock« aufschließt. Horst-Peter Koll

Staffel 3

Die dritte Staffel der Marvel-Serie um die zynische Privatdetektivin mit Superkräften dreht sich um einen sinistren Serienkiller und den Konflikt Jessicas mit ihrer besten Freundin über ihre Rolle als "super".

Stehen Superhelden über dem Gesetz? Kann eine demokratische Gesellschaft akzeptieren, dass mit übermenschlichen Kräften begabte Individuen jenseits von Justiz und Exekutive für das kämpfen, was sie für Recht und Ordnung halten? Superhelden mögen im Kino nach wie vor zu den stärksten Zugpferden gehören, doch ihr popkulturelles Image ist schon lange mit Brüchen und Ambivalenzen durchsetzt. Im Kinozweig des „Marvel Cinematic Universe“ allerdings wurden die Fragen über die Legitimität der Helden oder ihr zwiespältiges Verhältnis zur Gesellschaft, wie sie in Captain America: Civil War die Avengers noch zerrissen, in den letzten Filmen immer mehr unter den Tisch gekehrt; für die Großprojekte setzen die Macher lieber aufs klassische Superschurken-Bändigen, statt das Publikum mit unbequemen, moralisch komplexeren Problemen herauszufordern.

Superhelden im Kreuzfeuer gesellschaftlicher Debatten

In den Marvel-Serien sieht das etwas anders aus; dort wird das Thema immer wieder aufgegriffen. So stehen sich die Agents of S.H.I.E.L.D. schon seit mehreren Staffeln im Kreuzfeuer gesellschaftlicher Debatten um die Sozialverträglichkeit von und den Umgang mit den sogenannten „Inhumans“; und in Jessica Jones – als Noir-Krimistoff ohnehin bodenständiger als die „Avengers“-Filme – kulminiert das Ringen um Verantwortlichkeit und gesellschaftliche Verpflichtung der „supers“ in Staffel 3 in einem spannenden, hochdramatischen Konflikt der beiden weiblichen Hauptfiguren.

Die Privatdetektivin Jessica Jones (Krysten Ritter), die knallharte, aber seelisch lädierte Titelheldin, hat selbst äußerst schmerzhafte Erfahrungen mit „supers“ gemacht, die ihre Macht rücksichts- und gesetzlos einsetzen. Ihre eigene besondere Körperkraft, die das Resultat ethisch fragwürdiger Experimente ist, empfindet sie nicht als Berufung und sieht sich dementsprechend auch nicht als Heldin; statt im Cape auf Straßen altruistisch gegen das Böse zu kämpfen, erledigt sie ihren Job im Stil der „Hard boiled“- Detektive aus den Noir-Krimis mit einer guten Portion Abgebrühtheit und gegen Bezahlung.

Ihre engste, schwesterliche Vertraute Trish (Rachael Taylor) betrachtet dies, das hat sich in Staffel 2 heraus kristallisiert und wird nun zum erzählerischen Katalysator der neuen Staffel, als geradezu sträfliche Verschwendung: Wenn man wie Jessica die Fähigkeit hat, sich den Übertätern dieser Welt entgegenzustellen, ist es moralische Pflicht, dies auch zu tun – auch und gerade dann, wenn den Bösewichtern mit legalen Mitteln nicht beizukommen ist.

Zwei zerstrittene Heldinnen gegen einen Serienkiller

Seit sich Trish in Staffel 2 selbst diese Fähigkeiten verschafft hat (mit einer freiwilligen Wiederholung jener Experimente, denen Jessica einst unwillentlich zum Opfer fiel), fängt sie nun ihrerseits an, einen klassischen Superhelden-Lebensstil zu führen: Zum Schein hält sie ihre Existenz als prominente Showbiz-Lady aufrecht, um zu später Stunde heimlich ihre Kräfte zu trainieren und diese schließlich maskiert zum Einsatz zu bringen.

Trishs Wunsch, dies im Team mit Jessica zu tun, scheint wegen Jessicas Groll gegen sie unerfüllbar – bis Jessica ihre  Hilfe gegen einen neuen, höchst sinistren Gegner braucht: Durch einen weiteren „super“, der die Fähigkeit besitzt, die dunklen Flecken auf den Seelen seiner Mitmenschen zu sehen, ist die Privatdetektivin mit einem zwar normal menschlichen, aber ebenso intelligenten wie bösartigen Serienkiller aneinander geraten, den sie nicht alleine dingfest machen kann. Trish ist nur zu gerne bereit, ihr zu helfen; doch je tiefer sich die Frauen ins Katz-und-Maus-Spiel mit dem Killer verstricken, umso unüberbrückbarer erweisen sich beider Auffassungen von dem, was ihre Rolle als „supers“ und was ethisch richtig ist.

Aus Sorge um die eigene (Urteils-)Schwäche

Noch radikaler als in den ersten Staffeln hinterfragt die dritte Staffel von „Jessica Jones“ die moralischen Parameter des Superhelden-Genres und erzählt von Menschen und Umständen, die sich in den Grauzonen von Gut und Böse bewegen. So edel und gut begründet Trishs Anspruch an sich selbst und an Jessica auch klingen mag, so viel mehr humanes Augenmaß beweist Jessica, wenn sie sich weigert, als Vollstreckerin das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen und stattdessen immer wieder versucht, mit Polizei und Justiz zusammenzuarbeiten. Ihrer körperlichen Stärke zum Trotz kalkuliert sie ihre eigene, sehr menschliche (Urteils-)Schwäche mit ein.

Während sich das Ringen zwischen ihr und Trish ebenso spannend wie melodramatisch hochschaukelt, sorgen Nebenfiguren wie die gewiefte Staranwältin Jeri Hogarth (Carrie-Anne Moss) und Jessicas Nachbar Malcolm (Eka Draville), der mittlerweile für Hogarth arbeitet, dafür, dass die Grundsatzfragen der Serie über das Verhältnis von Recht, Gesetz und persönlicher moralischer Verantwortung auf interessante Weise gespiegelt und variiert werden. Felicitas Kleiner

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