Gestrandet (2016)

Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 78 Minuten

Regie: Lisei Caspers

Anfang 2014 verschlägt es eine kleine Gruppe eritreischer Flüchtlinge in ein ostfriesisches Dorf nahe Aurich, wo sie auf den Ausgang ihrer Anerkennung als Asylsuchende harren. Der Dokumentarfilm begleitet ein Jahr lang fünf Flüchtlinge und zwei ehrenamtliche Helfer, wobei er genau hinschaut und nachfragt, was die einen von den anderen denken und umgekehrt. Eindringlich legt die puristische Studie dabei die Dynamik bloß, wie sich die anfängliche Offenheit durch eine langwierige Asyl-Prozedur in Frustration und Bedrückung wandelt. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Rommel Film/NDR
Regie
Lisei Caspers
Buch
Lisei Caspers
Kamera
Fabian Klein
Schnitt
Jamin Benazzouz
Länge
78 Minuten
Kinostart
07.04.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Pandora (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Der Film begleitet fünf eritreische Flüchtlinge und zwei Helfer ein Jahr lang in einem 1500-Seelen-Dorf in Ostfriesland.

Diskussion
Sie kommen nicht erst, seitdem Angela Merkel sie in spontaner Weitherzigkeit willkommen hieß. Sie kamen schon früher. Und sie werden, solange die Welt ungerecht ist, immer irgendwohin gehen und dort ankommen: Menschen, für die es in der Heimat, am Ort ihrer Geburt, kein Auskommen, kein menschenwürdiges Dasein mehr gibt. Oft sind es junge Männer, die zuerst aufbrechen, um für ihre Familien, Frauen und Kinder, in einem anderen Land eine Zukunft in Frieden und Freiheit zu suchen. So wie Aman, Mohammed, Ali, Hassan und Osman aus Eritrea, die sich in dem Dokumentarfilm von Lisei Caspers unverhofft in der ostfriesischen Provinz wiederfinden, im 1500-Seelendorf Strackholt, rund 20 Kilometer von der Kreisstadt Aurich entfernt. „Gestrandet“, heißt der Film und beginnt für eine sich zeitgeschichtlicher Ereignisse annehmenden, beobachtenden Studie eher ungewöhnlich: mit der unspezifischen Angabe „Neujahr“ sowie einigen Einheimischen, die den fünf Männern aus Afrika radebrechend die Regeln eines traditionellen Wurfspiels erklären. Es folgt die Rede eines Mannes, der von schwierigen Zeiten, von Schlagzeilen aus kriegsgeschüttelten Regionen spricht und mit Verweis aufs Gebot der Mitmenschlichkeit zu helfen auffordert. Später erfährt man, dass dieser Mann eine Baufirma besitzt; vielleicht hat er in der Gemeinde auch ein Amt inne. Die Regisseurin scheint das im Detail nicht zu kümmern; oder sie lässt es weg, um ihrem Film eine gewisse Allgemeingültigkeit zu verpassen. Ihr Film zielt elegant an gängigen Erwartungen vorbei, und das kommt ihm zugute: die Fluchtgeschichten werden zwar paraphrasiert, aber nicht mitleidheischend ausgebreitet; auch werden keine heldenhaften Märchen um einheimische Helfer erzählt. Die Inszenierung schaut bloß genau hin und fragt nach, was die einen von den anderen denken und wie sie miteinander umgehen, als von Zeit und Schicksal sozusagen ins gleiche Boot Geworfene, die sich miteinander arrangieren müssen. Es ist auf der einen Seite vorerst viel guter Wille da, auch zur Selbstüberwindung. An dunkle Haut im Hallenschwimmbad muss man sich gewöhnen; die Neugier aufs Fremde mischt sich mit der Unsicherheit, wie damit umzugehen sei. Auf der anderen Seite herrscht zunächst viel Enthusiasmus und Hoffnung: Endlich scheint man angekommen, an einem Ort, an dem das Leben lebenswert erscheint. Die Männer sind in Sicherheit, haben ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Nahrung, nach einer Weile sogar einen Ein-Euro-Job. Zwei Freiwillige, die sich um die Angekommen kümmern, zieht Caspers dann doch vor: den pensionierten Schulleiter Helmut Wendt, der den Flüchtlingen Deutsch beibringt, und die Journalistin Christiane Norda, die die Eritreer zwei- bis dreimal in der Woche besucht, einen Kuchen mitbringt und ihnen im Alltag wie auch bei Behördengängen sowie beim Lesen der in Beamtendeutsch verfassten Briefe hilft. Einmal lässt Norda sich auf einer Landkarte die Fluchtroute erläutern: 33 brachen auf; doch nur 11 haben es übers Meer geschafft. Einer der fünf in Strackholt spricht Englisch, einer von ihnen ist gehörlos und kommuniziert in Gebärden. Er scheint der Offenherzigste des Quintetts zu sein, doch das begründet sich eventuell allein in der Wahrnehmung der Regisseurin. Über ein Jahr hat Caspers die Migranten, Wendt und Norda begleitet, sie immer wieder aufs Neue befragt. Die (lange) Dauer und die Gegenwart, in der sie spielt, verleihen dieser puristisch beobachtenden Studie ihre eigenwillige Dynamik und bestimmen die darin auftauchenden Themen. Wird erst noch neugierig nach Herkunft gefragt, nach Unterschieden geforscht und gutgemeint Integration geübt, lässt die Langwierigkeit der sich hinziehenden Asylgesuche immer mehr Bedrückung, Frustration und Hoffnungslosigkeit aufkommen. Nicht nur bei den Flüchtlingen, sondern auch bei denen, die sie unterstützen. Das sei so nicht auszuhalten, donnert Norda irgendwann burschikos, und Wendt meint erschöpft, er sei die Sache mit völlig falschen Erwartungen angegangen. Auf dem Höhepunkt der Resignation bricht Caspers’ Film ab. Um im Nachklapp, der ein halbes Jahr später aufgenommen wurde, wieder hoffnungsvollere Töne anzustimmen: Es geht ja doch, irgendwie, und vielleicht klappt es auch mit den 80 Flüchtlingen, die der Kreis Aurich danach aufnehmen musste. Caspers macht vieles richtig in ihrem Film. Allerdings hätte man sich „Gestrandet“ ein wenig präziser datiert und eine Spur näher an den fünf Flüchtlingen gewünscht. Denn obwohl die Regisseurin offensichtlich weniger das einzelne Schicksal als vielmehr das Exemplarische sucht, ist jeder, der irgendwo landet, ein Mensch mit seiner ganz eigenen Biografie.
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