Drama | Dänemark 2015 | 120 Minuten

Regie: Tobias Lindholm

Während eines Afghanistan-Einsatzes will ein dänischer ISAF-Kommandant in einer Kampfsituation seine Soldaten schützen und ordnet das Bombardement eines Gebäudes an, in dem dann elf Frauen und Kinder umkommen. Dafür wird er in Dänemark vor Gericht gestellt. Vielschichtiges Kriegs- und Gerichtsdrama über die „Kollateralschäden“ des Krieges, das zwischen Kampfeinsatz und der in der Heimat zurückgelassenen Familie des Kommandanten wechselt und dabei Fragen nach Schuld, Recht und Gerechtigkeit aufwirft. Die Inszenierung stellt sorgsam entwickelte Standpunkte einander gegenüber, ohne selbst Partei zu nehmen, was die Dilemmata der Figuren sowie der Situation nachhaltig veranschaulicht. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KRIGEN
Produktionsland
Dänemark
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
AZ Celtic Films/Nordisk Film Prod.
Regie
Tobias Lindholm
Buch
Tobias Lindholm
Kamera
Magnus Nordenhof Jønck
Musik
Sune Wagner
Schnitt
Adam Nielsen
Darsteller
Pilou Asbæk (Claus Michael Pedersen) · Tuva Novotny (Maria Pedersen) · Søren Malling (Martin R. Olsen) · Charlotte Munck (Kajsa Danning) · Dar Salim (Najib Bisma)
Länge
120 Minuten
Kinostart
14.04.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Kriegsfilm
Externe Links
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Vielschichtiges Drama von Tobias Lindholm über „Kollateralschäden“ des Afghanistankrieges

Diskussion
Wie aufgespießt hängt der rote Papierdrache im Baum, als sich der kleine dänische Trupp der afghanischen Siedlung nähert. Ohne Not hätten die Jungs den Drachen nicht zurückgelassen, den sie ein paar Tage zuvor mit den schwerbewaffneten Soldaten steigen ließen. Im Lehmhaus stoßen die Männer auf den Grund für das verwaiste Spielzeug: Alle Bewohner, Vater, Mutter, Kinder, sind tot, ermordet von den Taliban. Die dänischen Militärs sollen in Afghanistan Brunnen reparieren und Minen entschärfen. Ab und an erschießen sie auch einen Taliban. Jetzt aber geraten sie im Hof der ermordeten Familie selbst unter heftigen Artillerie-Beschuss. Einer ihrer Männer droht zu verbluten. Der Kommandant fordert einen Luftschlag auf ein benachbartes Gebäude an, in dem sich die Angreifer befinden sollen. Tatsächlich aber harren dort elf Frauen und Kinder aus. „A War“, im Original: „Krigen“, ein Krieg, lautet der Titel von Tobias Lindholms packendem Drama, als bräuchte es für die vielgestaltigen Schrecken dieses Zustands keine genauere Beschreibung. Mit dem Hauptdarsteller Pilou Asbaek inszenierte Lindholm bereits das Gefängnisdrama „R“ (fd 43 217) sowie „Hijacking“ (fd 42 424), einen Thriller über die Kaperung eines dänischen Frachters durch somalische Piraten. Die Filmtitel sind dabei so pointiert wie Lindholms Umgang mit den Themen, der von einer großen, auch formalen Unmittelbarkeit bestimmt ist. Kamera, Ton und Schnitt tragen den Terror der Detonationen, das Pfeifen der Kugeln und die Hektik der Männer in den Kinosaal, wenn zu Beginn einer der Soldaten von einer Mine zerfetzt wird. Orientierungslos reißt die Kamera den Blick von einem Soldaten zum anderen, tastet die Landschaft ab, beobachtet den zunehmend in sich gekehrten Befehlshaber aus Schießscharten heraus, bereit zum Abschuss. Mit Claus Michael Pedersen, dessen Namen erst fällt, als er und seine Soldaten zu dem Vorfall befragt werden, besitzt die Schuld ein Gesicht. Zu Hause in Dänemark wartet eine vierköpfige Familie auf ihn, zu der die Handlung lange vorher immer wieder springt, ehe Pedersen endgültig heimkehrt. Zwei Lebenswelten werden hier ineinander gespiegelt, konterkariert durch die Erfahrungen der Kinder. Pedersens ältester Sohn beißt und schlägt sich in der Schule seine Frustration über den abwesenden Vaters von der Seele, dem Jüngsten wird nach ein paar Paracetamol-Tabletten der Magen ausgepumpt. In Afghanistan hingegen lauern beim Spielen die Minen, und ein kleines Mädchen droht an den Verbrennungen ihres Arms zu sterben. Auch in „Hijacking“ wurde die Bedrohung in der Fremde dem Wohlstand in der Heimat entgegengesetzt, für den alle Gefahren auf sich genommen werden. Nur dass es dort der Firmenchef war, der zwischen dem Flehen der entführten Mitarbeiter und den Verhandlungen um das Lösegeld zerrissen wurde. Wie viel wiegt ein Menschenleben? Auch in „A War“ werden Menschenleben abgewogen, nicht gegen Geld, sondern gegen das Leben „der anderen“. Das Besondere an den Filmen von Lindholm ist, dass sie sich als fast schon dokumentarische Beobachter auf keine Seite schlagen, sondern mehrere Seiten derselben Medaille präsentieren, mit der der Westen seine Sicherheit zu erkaufen und sein Gewissen zu beruhigen versucht. Vom staubigen Beige des afghanischen Hügellandes geht es in den sterilen Gerichtssaal in Dänemark, wo sich die Standpunkte verkeilen: der eines Befehlsgebers, der seine Soldaten beschützen will, die der afghanischen Zivilisten, die den selbsternannten Friedensstiftern zum Opfer fallen, der des Rechtsstaates, der jedes Vergehen verfolgen muss, und der eines Mannes, der zuhause bei seine Familie gebraucht wird, nicht im Gefängnis. Richtige Antworten gibt es in dieser Welt nicht, sondern nur Bewältigungsstrategien: „T wie tot“, witzeln die Soldaten über der Leiche eines soeben erschossenen Taliban-Kämpfers beim Gedanken, wie sie ihren Kindern das Alphabet beibringen könnten. Später erinnert sich Pedersen angesichts der von der Bettdecke unbedeckten Füße seines Sohnes unwillkürlich an die der toten Kinder in Afghanistan. Geschickt wandelt sich „A War“ vom äußeren Krieg zum inneren Kampf eines Menschen, der eine hilfesuchende afghanische Familie regelkonform aus dem Lager verwies, die dann getötet wurde, und der später den Tod vieler Unschuldiger verursachte: Er würde gerne dafür büßen, wenn seine Liebsten ihn denn ließen.
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