Drama | Deutschland 2016 | 122 Minuten

Regie: Adolf Winkelmann

Anfang der 1960er-Jahre durchlebt ein sensibler zwölfjähriger Bergmannssohn im Ruhrgebiet Höhen und Tiefen seines beengenden Familien- und Alltagslebens, wobei ihn vor allem seine aufkeimende Sexualität ebenso neugierig wie ratlos macht. Einfühlsame Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ralf Rothmann, in der sich mehr oder weniger normale Alltagskatastrophen zu mal komödiantisch-amüsanten, mal anrührend-melodramatischen Momentaufnahmen verdichten. Getragen von vorzüglichen Darstellern, reich an subtilen Ausstattungsdetails, entwickelt sich im Wechsel des Bildformats sowie von farbigen und schwarz-weißen Szenen eine Ruhrgebietschronik, die als Mentalitätsbeschreibung einer Region, aber auch als sensible Leidens- und Aufbruchsgeschichte einer Kindheit überzeugt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
FFP New Media/Winkelmann Filmprod.
Regie
Adolf Winkelmann
Buch
Nils Beckmann · Till Beckmann · Adolf Winkelmann
Kamera
David Slama
Musik
Tommy Finke
Schnitt
Rudi Heinen · Adolf Winkelmann
Darsteller
Oscar Brose (Julian Collien) · Charly Hübner (Walter Collien) · Lina Beckmann (Liesel Collien) · Peter Lohmeyer (Herr Gorny) · Stephan Kampwirth (Herbert Lippek)
Länge
122 Minuten
Kinostart
12.05.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Extras (DVD & BD) umfasssen u.a. ein ausführliches, erhellendes "Making Of" (45 Min.).

Verleih DVD
Weltkino/Universum (16:9, FF & 1.85:1 & 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Weltkino/Universum (16:9, FF & 1.85:1 & 2.35:1, dts-HDMA dt.)
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Adolf Winkelmann erweitert mit der Romanverfilmung nach Ralf Rothmann seine Ruhrgebiets-Trilogie.

Diskussion
Nach langer Zeit ist Adolf Winkelmann zurück im Kino. Nachdem er mit Fernsehstoffen wie „Contergan“ (2006) oder „Engelchen flieg“ (2003) und dessen Fortsetzung „Das Leuchten der Sterne“ (2007) über eine Künstlerfamilie mit körperlich schwerstbehinderter Tochter bewegende Akzente setzte, lockte ihn nun offenbar das Ruhrgebiet wieder auf die große Leinwand. Ein wenig erinnert der Beginn von „Junges Licht“ an seine großartige Pott-Komödie „Jede Menge Kohle“ (fd 22 968): Tief unter Tage arbeitet eine vom Kohlenstaub geschwärzte Gestalt, der Lärm seines Presslufthammers ist ohrenbetäubend, die langwierige Rückkehr ans Tageslicht nach getaner Schicht geradezu „bombastisch“: In Zeitlupe schreiten die Bergleute als „Helden der Arbeit“ zu Bigband-Jazzklängen daher, wobei die Inszenierung emphatisches Programm ist: Ungebrochener Respekt vor der Leistung der Bergleute paart sich mit spürbarer Zuneigung zu den Menschen, ohne dass diese überhöht, sondern mit lakonischem Humor vielmehr geerdet werden. Erstmals setzte Winkelmann keinen Originalstoff, sondern eine Literaturvorlage um. Der sprachlich brillante Roman des „Pott-Poeten“ Ralf Rothmann führt zurück in die frühen 1960er-Jahre zwischen Zeche und Arbeitersiedlung. Es ist eine schonungslose Mentalitätsbeschreibung einer Region und zugleich die sensible Leidens- und Aufbruchsgeschichte einer Kindheit: Der zwölfjährige Bergmannssohn Julian sucht seinen Weg aus einengenden, ihn körperlich wie seelisch bedrohenden Lebensumständen, um „hemmungslos frei“ sein zu können. Was die thematisch nahezu perfekte Steilvorlage für Adolf Winkelmann ist. Für Rothmanns mehr oder weniger normale Alltagskatstrophen findet er einfühlsame dramaturgische wie optische Verdichtungen, mal komödiantisch amüsante, mal zutiefst anrührende melodramatische Momentaufnahmen, getragen von einem staunenswert souverän agierenden Darsteller-Ensemble. Dreh- und Angelpunkt ist dabei stets Julian: Durch seine Augen erlebt man das Ruhrgebiet als Abenteuerspielplatz zwischen Rauchschloten, Hinterhöfen, parzellierten Wiesen zum Wäschetrocknen, dem Flussufer für geheime Treffen der größeren Jungs, die Julian anhimmelt, die ihn aber nicht teilhaben lassen, sondern ausnutzen und ihn zu gehässig-gemeinen, erschreckend herzlosen Aktionen provozieren. Doch der sensible Julian ist ebenso leidensfähig wie zu Mitleid fähig. Während er den körperlich zerbrechenden Vater verehrt, von der überforderten, still an ihrem tristen Leben leidenden Mutter ausgeschimpft und mit dem Holzkochlöffel „versohlt“ wird, kümmert er sich liebevoll um die jüngere Schwester – und beobachtet, wie sich seine kleine Welt sexuell aufzuladen beginnt. Der Blick auf die putzende, im Treppenhaus kniende Nachbarin wird ihm unwillkürlich peinlich, derweil Marusha, die frühreife, lolitahafte Nachbarstochter, seinen Blick regelrecht ansaugt. Vieles versteht Julian nicht, erst recht nicht das rätselhafte, subkutan ablaufende Leben der Erwachsenen; die gebrochene Mutter, den schwadronierenden Nachbarn mit seinen verbalen Anzüglichkeiten, den stillen Vater, den Julian schließlich beim Fremdgehen ertappt – peinigender Höhepunkt seiner Ängste und Seelennöte. Für die es aber Trost und Erlösung gibt, nicht allein vom pragmatischen Pfarrer, sondern gerade auch vom Vater: „Abhauen gibt’s nicht. Wäre schön, geht aber nicht. Ab nach Hause.“ Winkelmann ist sich sehr bewusst, dass er ein durchweg nostalgisches Ruhrgebietsleben nachzeichnet. Er schwelgt in subtilen Ausstattungsdetails, filmt „magisch“ die noch vorhandenen Zechen, durchschreitet Siedlungsgassen und liebt es uneingeschränkt, unter Tage zu filmen. Nicht minder bewusst aber argumentiert er mit seinen Bildern, die er als die Realität „filternde“ Abbilder verdeutlicht. Ständig wechselt er das Bildformat zwischen Scope und altmodischem 4:3, springt, nur scheinbar willkürlich, zwischen Farbe und Schwarz-weiß. Die Wirkung ist frappant: Mal erscheint das Geschehen historisch und „museal“, dann wieder sinnlich und intensiv, ganz nah an den Personen, ihren Gefühlen, ihrem Realitätssinn wie ihrer Sehnsucht. Wohl nicht von ungefähr stiehlt Winkelmann einen zentralen Satz aus Rothmanns Roman dem Vater und legt ihn der temperamentvollen Marusha in den Mund, die sich verschwörerisch an Julian wendet: „Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir gar nichts passieren. Nie.“
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