Dokumentarfilm | Türkei 2015 | 92 Minuten

Regie: Çayan Demirel

Dokumentarfilm über Guerillakämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die sich in den Bergen im Südosten der Türkei für militärische Auseinandersetzungen vorbereiten. Er porträtiert den Alltag und das Selbstverständnis der Soldaten, unter denen strikte Geschlechtergleichheit herrscht. Obwohl die Inszenierung mitunter propagandistische Züge trägt, abweichende Positionen ausblendet und ohne erkennbare Distanz das Leben der kurdischen Kämpfer romantisiert und heroisiert, vermittelt sich doch eine ungewöhnliche Innensicht der PKK. Der Film füllt damit eine wichtige Lücke, gerade auch, weil er in der Türkei zensiert ist. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BAKUR
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Surela Film
Regie
Çayan Demirel · Ertugrul Mavioglu
Buch
Çayan Demirel · Ertugrul Mavioglu
Kamera
Koray Kesik
Schnitt
Burak Dal
Länge
92 Minuten
Kinostart
19.05.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarfilm über Guerillakämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Diskussion
Die Morgensonne wird von der mächtigen Felsenlandschaft leuchtend rot reflektiert, man hört zunächst nichts als das Zirpen der Grillen und den Wind. Doch der Schein trügt. Schon eingangs hatte man die geisterhaft schwarzen Schattenrisse junger Kämpfer beiderlei Geschlechts gesehen, die laut von Landminen und Maschinengewehren redeten. Dann sieht man junge Erwachsene in feldgrüner Militäruniform bei einer Art Fangspiel. Es wird viel gelacht und gejauchzt, Übermut prägt die Szene. Die jungen Leute sind allerdings von Ausbildern umringt, die mit großer Ernsthaftigkeit und strenger Ausstrahlung in die Kamera erklären, warum es sich um ein „militärisches Spiel“ handle, und die ihnen Anvertrauten sich nicht beim Namen nennen, sondern mit „Kamerad“ anreden. Bei der Gruppe handelt es sich um junge Partisanen in den Bergen der Türkei, die in einem Ausbildungscamp der PKK für den Guerillaeinsatz gedrillt werden. „Bakur“ ist ein kurdisches Wort und bedeutet „Norden“; es steht aber vor allem für den kurdischen Teil der Türkei im Südosten des Landes, der in den Separatistenträumen zugleich den Nordteil eines unabhängigen kurdischen Staates bildet. Diesen „Norden“ zeigt der Film in seiner atemberaubenden Schönheit: eine Berglandschaft, die teilweise von Wäldern und grüner Steppe bedeckt ist, teilweise aus kargen Felsen besteht, die bizarre Riesenformationen bilden. Der Film begleitet die Soldaten auf ihren Wanderungen durch die Berge, wobei viele zu Wort kommen, auch erfahrene Kämpfer und Funktionäre der PKK. Sie schildern ihre persönlichen Geschichten, berichten vom Schicksal ihrer Familien, sprechen aber auch über den Konflikt mit der Türkei und die Kurdenfrage. Damit füllt „Bakur“ eine wichtige Lücke. Man muss sich nur klar machen, dass viele dieser Kommentare und Ansichten in der Türkei nicht öffentlich geäußert werden dürfen, ohne Leib und Leben zu gefährden. Der Film entstand vor der neuesten Zuspitzung des Konflikts, der inzwischen einem heißen Bürgerkrieg gleicht. Regisseur Cayan Demirel und dem Journalisten Ertugrul Mavioglu war dafür Zutritt zu Trainingslagern der PKK gewährt worden. Demirel ist für einschlägige Dokumentarfilme bekannt: für „38“ (2006), dessen Titel auf die gewaltsame Eskalation des Kurdenkonflikts im Jahr 1938 anspielt, und der dem Massaker von Dersin auf den Grund geht; ein anderer Film untersuchte die militärischen Interventionen der 1980er-Jahre. Das verschaffte Demirel und Mavioglu einen privilegierten Zugang. Das Resultat ihres Kontaktes trägt mitunter propagandistische Züge. Immerzu lachen die künftigen Kurdenkrieger, alles ähnelt eher einem Ferienlager als der Vorbereitung auf den Heldentod, die Natur ist prachtvoll, die Menschen guter Dinge und sehr patriotisch. Nur ein paar „Spione“ und „Verräter“ sitzen „zum Nachdenken“ in primitiven Felslöchern. Dann wieder sieht man Offiziere, die darüber debattieren, ob die PKK der Gewalt abschwören könne. Überraschend ist der Umstand, dass in der PKK strikte Geschlechtergleichheit herrscht und die Organisation mehrheitlich von Frauen geführt wird. „Nur Frauen können ein freies und gerechtes System schaffen“, sagen die Männer. Es bleibt ein Nachgeschmack. „Bakur“ stellt eine parteiische, politisch einseitige Sicht der Dinge dar; im Bestreben, Positionen zur Wort kommen zu lassen, die in der Türkei zensiert sind, werden andere, durchaus legitime Einstellungen zur Kurdenfrage ausgeblendet. Das gilt nicht nur für die Oppositionsparteien im türkischen Parlament, sondern auch für die vielen Kritiker der PKK, die in ihr eine Terrorbande mit Mafia-ähnlichen Zügen sehen. Auch finden kurdische Stimmen, die gemäßigtere Ansichten vertreten, keinen Platz. Das alles macht die Zensureingriffe der türkischen Regierung, durch die es 2015 bei der Premiere des Films auf dem Istanbul Filmfestival zum Eklat kam, nicht besser, sondern schlimmer: Sie werten einen Film auf, über den man sich streiten kann. Fast zwangsläufig fällt einem der Spielfilm „Jin“ (2013) des türkischen Regisseurs Reha Erdem ein, der von einer jungen Frau erzählt, die aus einem PKK-Lager flieht und sich wochenlang durch eine ähnlich prachtvolle Natur schlägt, verfolgt von ihren einstigen Mitkämpfern und bedroht von den Attacken der türkischen Armee. „Jin“ zeigt die andere, weniger idyllische Seite des Bürgerkriegs in Kurdistan, zu der auch innere Repression der PKK zählt. Spannend und unbedingt sehenswert wird „Bakur“ aber gerade aufgrund seiner Einseitigkeiten: Weil er eine Innensicht der PKK zeigt. Und den Heroismus, von dem jeder Partisanenkrieg lebt. Es sind mutige Kämpfer, die sich unter großen Entbehrungen einer Sache verpflichten und dafür ihr Leben einsetzen. In den prachtvollen Bildern von „Bakur“ wirken sie nicht wie Menschen aus unserer Zeit, sondern erinnern eher an heldenhafte Figuren aus einer ferner Zeit.
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