Dokumentarfilm | Schweiz 2016 | 90 Minuten

Regie: Susanne Regina Meures

Die Techno-DJs Anoosh und Arash leiden darunter, dass elektronische Musik in ihrer Heimat Iran verboten ist. Jeder ihrer illegalen Auftritte kann mit einer Verhaftung enden. Der Dokumentarfilm begleitet die beiden Musiker bei einem schwierigen Entscheidungsprozess bis ins Schweizer Exil. Er zeigt auf, wie junge Menschen im Iran zwischen staatlichen Restriktionen und der Sehnsucht nach individueller Entfaltung nach Wegen suchen. Die mit versteckten Kameras aufgenommenen Szenen vermitteln hautnahe Einblicke in den Alltag eines repressiven Regimes. Das intime Porträt der Musiker belegt so aber auch die Doppelmoral einer Welt, in der bestimmte Phänomene wie etwa Techno verboten sind, unter der Hand aber gleichzeitig geduldet werden. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RAVING IRAN
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Christian Frei Filmprod./Zürcher Hochschule der Künste/SRF/3sat Schweiz
Regie
Susanne Regina Meures
Buch
Susanne Regina Meures
Kamera
Gabriel Lobos · Susanne Regina Meures
Musik
Blade & Beard · Ghazal Shakeri · Roland Widmer · Stefan Willenegger
Schnitt
Rebecca Trösch
Länge
90 Minuten
Kinostart
29.09.2016
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Schröder-Media (16:9, 1.78:1, DD5.1 Farsi & engl. & dt.)
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Zwei iranische DJs und ihre (illegalen) Versuche, in ihrer Heimat elektronische Musik zu machen

Diskussion
Irgendwo mitten in der Wüste in Iran. Dort, wo andere einen nicht sehen, nicht hören. Die ganze Nacht über haben die Techno-DJs Anoosh und Arash mit ein paar handverlesenen Anhängern getanzt und gefeiert, bis zum Sonnenaufgang. Jetzt liegen sie im heißen Sand, glücklich, erschöpft und schlafend. Ein Lautsprecher, der auf seinem Ständer im Wind knirscht, ist als Zeuge der Party übriggeblieben. Eine Nacht lang tun und lassen, wofür man brennt: das ist der Lohn für die umständliche Planung dieses Raves. Weil elektronische Musik im Iran verboten ist, können die beiden nur illegal im Untergrund wirken, in ständiger Angst vor Entdeckung und Verhaftung. Alles muss im Vorfeld genau durchdacht und organisiert werden. Die Regisseurin Susanne Regina Meures hat durch Zufall in einer Zeitschrift von solchen Raves gelesen. Sie reiste nach Teheran, lernte die beiden Freunde kennen und dokumentierte deren mühsamen Alltag als DJ-Duo „Blade & Beard“. An ihrer Seite entdeckt sie Facetten des Lebens junger Menschen in der Islamischen Republik, die in europäischen Medien sonst selten sichtbar sind. Anoosh, Arash und ihre Freunde unterscheiden sich kaum von Altersgenossen anderswo in der Welt: sie wollen ausgelassen sein, ihre Leidenschaften ausleben und eigene Entscheidungen treffen. Doch in einem Land, wo vorgeschrieben ist, was man zu tun und zu mögen hat, geht das nicht ohne Risiko. Für den Wüsten-Rave müssen die richtigen Personen geschmiert und das Equipment dort gemietet werden, wo man nicht verraten wird. Als die beiden ihr nonkonformes CD-Cover und das dazugehörige Poster zur Genehmigung in der Kulturbehörde präsentieren, spielen sie mit dem Feuer. Sobald die Unterhaltung zu heikel wird, brechen sie das Gespräch ab. Im Gegensatz dazu verlaufen die Besuche in Musikläden regelrecht entspannt, in denen sie ihr Album unter der Hand verkaufen wollen. Zwar will keiner die Platte haben, aber Anoosh und Arash erfahren dennoch, wo und wie mit nichtautorisierter Musik gehandelt wird. Egal, wohin die beiden sich auch wenden: die Doppelmoral des Alltaglebens in einem repressiven Staat leuchtet überall durch. Die staatliche Beschneidung von Freiheitsrechten geht Hand in Hand mit dem Entstehen inoffizieller Handlungsräume, in denen Subversion bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Jeder weiß um diese Kehrseite, alle reden darüber, aber der Schein wird stets gewahrt. „Die Iraner lieben es, belogen zu werden“, heißt es pointiert an einer Stelle im Film. Es versteht sich von selbst, dass die Aufzeichnung solcher Szenen und Aussagen ebenfalls ein riskantes Unterfangen war. Denn so verboten das Komponieren, Verbreiten und Hören elektronischer Musik im Iran ist, so unerlaubt ist Meures’ Film, den sie nur heimlich drehen und auf mehrere Festplatten und Personen verteilt aus dem Land schmuggeln konnte. Mit zum Teil in der Kleidung versteckten Hand-, Foto- und Handykameras nahm sie unauffällig auf, was Anoosh und Arash erleben, fühlen und denken. Viele weitere Mitwirkende wurden zu ihrem Schutz unkenntlich gemacht. Die verwackelten, unscharfen Bilder, schrägen Perspektiven und Nachtaufnahmen sind Zeugnisse der Schwierigkeiten und Gefahren des Drehs und zugleich eine aus der Not geborene ästhetische Strategie. Ebendiese „Makel“ vermitteln Authentizität und Nähe. Quasi aus der Hemdtasche heraus erhält das Publikum Einblicke in eine verborgene Welt und erlebt Anooshs und Arashs Entwicklung mit. Zunehmend desillusioniert, beginnen sie vom Exil zu träumen. Als sie von einem Techno-Festival nach Zürich eingeladen werden, wird dieser Traum plötzlich greifbar. In diesem letzten Teil des Films begleitet Meures das Duo auf ihrer Entdeckungsreise in die unbekannte Freiheit. Aufnahmen entstehen, die im Vergleich zu den Bildern aus Teheran meist bei Tageslicht gedreht, ruhiger und schärfer sind. Ihre Qualität kündet von „Legalität“. Nicht mehr die Organisation des DJ-Daseins steht im Fokus, sondern die quälende Frage, die ihnen keiner abnehmen kann: Hier bleiben oder in den Iran zurückkehren? Was wiegt mehr: Familie, Freunde, Heimat – oder doch Selbstbestimmung? Anoosh und Arash tanzen ausgelassen durch die Menschenmassen des Festivals, brüten und zweifeln im Hotelzimmer, sprechen über sich in Radio-Interviews. Sie werden gefragt, ob sie an eine Zukunft im Iran glauben, und finden keine Antwort. Nach und nach fächert sich „Raving Iran“ so zu einem eindrücklich intimen Dokument eines schwierigen Entscheidungsprozesses auf. Inmitten der verwirrenden Lage der beiden Freunde in Zürich, zwischen Freudentaumel, Orientierungslosigkeit und Entwurzelung, werden die widerstreitenden Gedanken und Gefühle, die junge Migranten bewegen, ein Stück weit greifbar.
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