Das kalte Herz (2016)

Märchenfilm | Deutschland 2016 | 119 Minuten

Regie: Johannes Naber

Anfang des 19. Jahrhunderts erleidet ein junger Köhler im Schwarzwald durch die Erniedrigungen reicher Bürger sowie seine unerfüllte Liebe zur schönen Tochter eines Glasmachers große Qualen. Als ihm ein Waldgeist seine Wünsche erfüllt, mit denen er so gedankenlos umgeht, dass ihm das neu gewonnene Glück wieder aus den Händen rinnt, verfällt er einem anderen bösen Geist, dem er sein Herz gegen einen Stein verpfändet. Ein bild- und klanggewaltiger Genrefilm, der die Vorlage von Wilhelm Hauff konsequent zur sozialkritischen Auseinandersetzung mit "Zeiterscheinungen" wie ungehemmter Profitgier nutzt. Fantasy-Elemente und historisch genaue Beobachtungen verbinden sich zu einem spannenden, grimmig-düsteren Kino-Märchen. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Schmidtz Katze Filmkollektiv/Studio Babelsberg/Philipp Filmprod./mdr/ARD Degeto/SWR
Regie
Johannes Naber
Buch
Johannes Naber · Christian Zipperle · Steffen Reuter · Andreas Marschall
Kamera
Pascal Schmit
Musik
Oli Biehler
Schnitt
Ben von Grafenstein
Darsteller
Frederick Lau (Peter Munk) · Henriette Confurius (Lisbeth) · Moritz Bleibtreu (Holländer-Michel) · Milan Peschel (Glasmännchen) · David Schütter (Bastian)
Länge
119 Minuten
Kinostart
20.10.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Märchenfilm
Externe Links
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Reizvoll ausgeweitete Verfilmung des Märchens von Wilhelm Hauff

Diskussion
„Menschen…“ Ebenso verächtlich wie verbittert spuckt das Glasmännchen gleich zu Beginn dieses Wort aus. Der uralte Waldgeist, mystischer Beschützer des Schwarzwaldes, spürt seine Kräfte schwinden, weil die Menschen nicht mehr an ihn und seinesgleichen glauben. Das Leben im Einklang mit der Natur(magie) ist zutiefst gestört, der Mensch hat Verstand und Herz gegen Reichtum, Gier und Macht eingetauscht, stellt sich gegen den Wald, den er nur noch als Ware betrachtet, ihn rücksichtslos abholzt. Johannes Naber verdeutlicht in seiner fulminanten Neuverfilmung von Wilhelm Hauffs Kunstmärchen die verhärteten Gegensätze bereits an den Figuren: hier das Glasmännchen, dieser archaische „Wilde“ mit Zottelbart und greller Gesichtsbemalung, dort die „neuen“ Bürger, die viel Wert auf ihr gepflegtes Äußeres legen, auf Kleidung, Häuser, Festivitäten, protzig zur Schau gestellten Reichtum – eitel sich selbst feiernd, den Schwächeren und Armen ausgrenzend, ihn der Häme preisgebend, kübelweise mit Verachtung und Hass überschüttend. Nichts ist in Balance. Was einst zusammengehörte, driftet in Extreme. Statt eines funktionierenden sozialen Gefüges, getragen von Solidarität, Toleranz und Empathie, dominieren Gleichgültigkeit und rohe Gewalt. Wohlgemerkt: Wir befinden uns am Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Ära der Industrialisierung und Ökonomisierung gerade erst begann, und doch muten die daraus erwachsenen sozialen Verwerfungen alles andere als „historisch“ an. Wer von Nabers Märchenverfilmung lediglich einen Kinoableger der liebenswürdig-besinnlichen Fernsehfilme erwartet, die jeweils zu Weihnachten so angenehm leicht unterhalten, der wird positiv überrascht. Das neue „Kalte Herz“ ist ein bild- und klanggewaltiger, atmosphärisch dichter Genrefilm, der die „Gesetze“ des Märchens durchaus (be-)achtet, dabei aber besonders intensiv dessen bedrohliche, düster-fantastische Seiten herausstellt, zugleich eine reizvolle ethnografische Genauigkeit – in Kostümen und Masken, Tänzen und dörflichen Ritualen – walten lässt, vor allem aber eines hat: eine „politische“ Haltung, die ungehemmte Profitgier und rücksichtloses Durchsetzungsvermögen als zeitlose, womöglich gar höchst aktuelle Erscheinungen attackiert. Entsprechend dunkel, roh, kraftvoll und illusionslos kommt die Fabel daher, die der Vorlage in den meisten Wendungen folgt, einige der Figuren indes vielsagend ausbaut. Der junge Köhler Peter Munk ist eine wahrhaft zerrissene, tragische Gestalt, die das Unrecht, das sie tagtäglich erleidet, ebenso wenig verkraftet wie die tiefe, ihn schmerzhaft aufzehrende Liebe zur Glasmachertochter Lisbeth. Peters aussichtsloses Ankämpfen gegen die arroganten Söhne der neureichen Flößer-Kaste, die ihn und seinen Berufsstand wortwörtlich mit Füßen treten, führt zu Auflehnung und Rebellion aus Trotz, Widerstands- und Überlebenswillen – aber auch zur leichten Verführbarkeit des noch unfertigen, naiven Charakters, der durch den „Geschmack“ des (gewonnenen und wieder verlorenen) Reichtums selbst verdorben, hartherzig und grausam wird. Während das Glasmännchen die Wünsche, die Peter äußert, eher widerwillig erfüllt (und einen gar zurückhält), erliegt Peter den zynischen Einflüsterungen des bösen Geistes Holländer-Michel: So tauscht er sein Herz gegen einen Stein und wird wie jene, die er eigentlich verabscheut. Naber inszeniert dies mit grimmiger Konsequenz bis zum Äußersten – und darüber hinaus bis zur utopischen Katharsis: Lisbeth wird zur quasi überirdischen Lichtgestalt, die ihren eigenen Tod (wie auch den eines treuen Hundes) erdulden muss, um das Gute triumphieren zu lassen – und das nicht allein durch die märchenhafte Macht der Liebe, vielmehr durch ihren dieser Liebe gleichgestellten „gesunden Menschenverstand“. Die schöne junge Frau stellt den verheerenden Veränderungen und Entfremdungen ihre emotionale wie auch rationale Kraft entgegen, die den Makel der unsicheren, schwachen und grausamen Männer(-welt) mühelos überstrahlt.
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