In »Cäsar muss sterben« (2011) haben sich die Brüder Vittorio und Paolo Taviani auf spannende Art mit einem Shakespeare-Klassiker auseinandergesetzt. Der Film präsentiert semidokumentarisch eine »Julius Cäsar«-Aufführung in einer römischen Haftanstalt und entfaltet ein faszinierendes Wechselspiel von Gefängnisrealität, Theaterdrama und Film. Die Erwartungen waren deshalb hoch, als sich die Regisseure einen weiteren Klassiker der Renaissance-Literatur erkoren, der sein cineastisches Potenzial überdies schon bewiesen hatte: Die italienischen Adaptionen von Boccaccios »Decamerone«, 1961 als »Omnibusfilm« »Boccaccio 70«, an dem Mario Monicelli, Federico Fellini, Luchino Visconti und Vittorio de Sica mitwirkten, und 1971 in Gestalt von Pier Paolo Pasolinis »Decameron«, besitzen inzwischen selbst Klassikerstatus.
Den Tavianis allerdings misslingt, was die Vorgänger auszeichnet: den Stoff so zu adaptieren, dass er sich nicht nach »period piece« anfühlt, sondern zeitlos und lebensprall. »Giovanni Boccaccio – Das Dekameron« wirkt seltsam entrückt; die aufgeräumten Toskana-Kulissen und die hübsch kostümierten Jungschauspieler treiben dem Stoff alles Provokante und Sinnliche aus, fast so, als hätten die Brüder nicht das »Dekameron« verfilmt, sondern John William Waterhouses berühmtes Gemälde »A Tale From the Decameron« (1916), in dem es um eine von Nostalgie gespeiste Verklärung der Renaissance geht. Dabei ist Verklärung das letzte, was Boccaccios derber, satirischer Stoff brauchen kann.
Im Gegensatz zur raffinierten Semi-Dokumentation von »Julius Cäsar« gehen die Regisseure den Stoff (allzu) schlicht und ohne Brechungen an. Eine Rahmenhandlung führt ins Florenz des Jahres 1348 ein, wo der Schwarze Tod umgeht (auch das ohne jede Drastik) und eine Gruppe adliger Damen und ihre männlichen Freunde nötigt, die Stadt zu verlassen und auf einem Landgut Zuflucht zu suchen. Dort erzählen sie sich Geschichten, um die Langeweile zu vertreiben, von denen der Film fünf als »Film im Film« umsetzt, wobei mal burleske, mal tragische Töne angeschlagen und meist in irgendeiner Form die Themen Liebe und Tod gestreift werden. Die Emotionen und Konflikte, um die es dabei geht, bleiben allerdings ebenso unterentwickelt wie in der Rahmenhandlung. Man spürt weder die Angst der jungen Leute vor der Pest, noch vermittelt sich viel von ihrem Versuch, durch die Fiktion ihre Lebensfreude zurückzuerobern. Der Film ist eine Art filmische »Pflichtlektüre«, so als hätten die Regisseure sich die Aufgabe gestellt, einen jugendfreien, entschärften Einblick in den literarischen Klassiker zu geben.