Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2016 | 98 Minuten

Regie: Stefan Ludwig

Um der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Roma in Ungarn entgegenzuwirken, haben an buddhistischen Prinzipien orientierte Pädagogen Schulen gegründet, um jungen Roma das Abitur zu ermöglichen. Über drei Jahre hinweg verfolgt der vielschichtige Dokumentarfilm zurückhaltend die Bemühungen zweier Lehrer, Jugendliche aus einem Dorf für ihren Unterricht zu gewinnen. Der Widerstand mancher Schüler gegen Disziplin und die minderheitenfeindliche ungarische Politik legen ihnen immer wieder Steine in den Weg. Der Film über das pädagogische Experiment vermittelt viel vom Mut und von den Hoffnungen der Protagonisten. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
DER ZORNIGE BUDDHA
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Tellux-Film/Metafilm/ZDF/Das kleine Fernsehspiel/ORF
Regie
Stefan Ludwig
Buch
Stefan Ludwig
Kamera
Thomas Beckmann · Stefan Ludwig
Musik
Martina Eisenreich
Schnitt
Alexandra Schneider
Länge
98 Minuten
Kinostart
20.10.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | JustWatch

Dokumentarfilm über zwei ungarische Lehrer, die jugendliche Roma auf einer buddhistisch orientierten Schule zum Abitur führen wollen.

Diskussion
Eine unsichtbare Mauer führt durch das Dorf in Ost-Ungarn. Hier ist die Welt noch eindeutig schwarz-weiß: zwei Bevölkerungsgruppen leben getrennt voneinander, die etwa 1000 Roma werden von den doppelt so vielen anderen Dorfbewohner nur scheel angeschaut; wer nur mit ihnen spricht, gilt fortan selbst als Fremder. Wenn die Pädagogen János Orsós und Tibor Derdák durch das Dorf ziehen, um bei den Roma für ihre Schule zu werben, schlägt ihnen zunächst breites Misstrauen entgegen. Auch von den Ausgegrenzten. Denn wozu sollen junge Roma Abitur machen, wenn sie später keinen adäquaten Job bekommen? Ganz zu schweigen davon, dass die Schule unter der Flagge des Buddhismus segelt, was vielen im Dorf erst mal gar nichts sagt. Welten miteinander zu konfrontieren, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenzupassen scheinen, ist ein ebenso vertrautes wie effektives Prinzip des Kinos. Das ist auch in dem Dokumentarfilm „Der zornige Buddha“ von Stefan Ludwig nicht anders, der sanften Humor entfaltet, wenn die Jugendlichen mit dem Gong zum Unterricht gerufen werden oder zwischen den Unterrichtsstunden Meditationseinheiten stattfinden und die lebhaften Schüler in die stillen Andachtsübungen einbezogen werden. Der Buddhismus ist für die Pädagogen nicht nur Glaubens-, sondern auch politisches Bekenntnis, nach indischem Vorbild: So wie dort Millionen der „Unberührbaren“ konvertierten, um mit der auf der Vorstellung der Gleichheit aller Menschen beruhenden Religion das Kastensystem zu überwinden, könnte der Buddhismus auch für die Roma eine Chance sein. Zumindest im Kleinen; denn die Lehrer sind weniger missionarisch denn pragmatisch: „Die Schüler sind oft zornig. Und Menschen, die zornig sind, kann man nicht sagen, dass sie nur zu meditieren brauchen.“ Im Vordergrund der ruhig beobachtenden Dokumentation stehen daher die unterprivilegierten Schüler mit ihren Persönlichkeiten, kühnen Träumen und oft auch enttäuschten Erwartungen. Vier von ihnen rückt die Kamera besonders nahe auf den Leib und beobachtet drei Jahre lang, zwischen 2012 und 2014, ihren individuellen Umgang mit einem Schulalltag, der für die meisten ungarischen Roma nach der 8. Klasse beendet ist. Zwei Jugendliche entpuppen sich als natürliche Rebellen, die aber unterschiedlich auf die ungewohnte Disziplin reagieren: Ferenc gibt die Schule schnell wieder auf und schlägt sich als „lebende Statue“ in deutschen Fußgängerzonen durch. Amál dagegen, ein anfangs zappeliges Mädchen, findet im Lernen schließlich ein Ventil für ihre überschüssige Energie. Ruhiger lassen es András angehen, der die Schule eher mit philosophischer Gleichmut hinnimmt, sowie vor allem die Musterschülerin Mónika. An ihrem Beispiel werden allerdings auch die Grenzen des Schulexperiments deutlich: Hat die mollige 18-Jährige anfangs noch von einer Karriere als Anwältin geträumt, kommt nach dem bestandenen Abitur das böse Erwachen. Selbst für einen Job im Supermarkt müsste sie Geld aufbringen. Ein einfacheres Leben ist auch mit einer besseren Ausbildung keine Selbstverständlichkeit, daran können auch die Anstrengungen der Lehrer nicht viel ändern. Die sonnig-warmen, überwiegend im Sommer gefilmten Dorfszenen konfrontiert die Inszenierung mit beunruhigendem Bildmaterial aus der braungetönten ungarischen Gegenwart. Auf Versammlungen der rechtsextremen Jobbik-Partei wird gegen alles Fremde, „Nicht-Ungarische“ gehetzt. Nach dem Wahlerfolg werden im Parlament Anträge gegen die buddhistischen Lehrinstitutionen gestellt, die auf fruchtbaren Boden stoßen: Staatlicher Druck zwingt drei von fünf Schulen zur Schließung. Trotzdem lässt sich der Film seine optimistische Haltung nicht rauben, so wenig wie sein Protagonist János Orsós. Immer wieder tankt der Lehrer Kraft in der freien Natur, und wenn der leicht korpulente Mann sich an einen See setzt und ruhig in die Ferne schaut, ähnelt er markant der Buddha-Figur im Vorgarten seiner Schule. Ein Bild wie zum Beweis, dass beide an diesen Ort gehören und bleiben werden.
Kommentar verfassen

Kommentieren