Einer von uns (2015)

Drama | Österreich 2015 | 89 Minuten

Regie: Stephan Richter

In einer österreichischen Provinzstadt schlagen die gegenseitig um Anerkennung buhlenden Jugendlichen auf dem Parkplatz eines Supermarkts ihre Zeit mit Kiffen und Alkohol tot, bis drei von ihnen etwas anderes erleben wollen und darüber in eine Katastrophe rutschen. Der zwischen Hyperrealismus und stilvoll unterkühlter Bedrohung schillernde Debütfilm wurde von einer wahren Begebenheit inspiriert, verwandelt das Adoleszenz-Drama aber in eine bis ins Detail durchdachte und beeindruckend fotografierte Studie über die Folgen gesellschaftlicher Perspektivlosigkeit. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EINER VON UNS
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Golden Girls Filmprod.
Regie
Stephan Richter
Buch
Stephan Richter
Kamera
Enzo Brandner
Musik
Maja Osojnik · Matija Schellander
Schnitt
Andreas Wodraschke · Julia Drack
Darsteller
Jack Hofer (Julian) · Simon Morzé (Marko) · Christopher Schärf (Victor) · Dominic Marcus Singer (Michael Zehetbauer) · Markus Schleinzer (Joseph Winkler)
Länge
89 Minuten
Kinostart
24.11.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Little Dream
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Stilistisch ambitioniertes Adoleszenz-Drama um Jugendliche in der österreichischen Provinz

Diskussion
Dank einer suggestiven Kamerafahrt zwischen endlosen Supermarktregalen wähnt man sich schon in der Eingangssequenz an einem Tatort. Als auf dem Boden tatsächlich die Leiche eines Jugendlichen neben einer riesigen blauen Pfütze auftaucht und eine Rückblende ansetzt, die Vorgeschichte zu erzählen, wundert man sich, dass man sich trotz der in Deutschland grotesk wuchernden Fernsehkrimi-Monokultur innerlich nicht abwendet. Das könnte an der seltsam distanzierten Atmosphäre liegen, die diese österreichische Filmperle von der ersten Minute an verbreitet. Die Welt des „White Trash“, die man von den Fotos und Filmen eines Larry Clark oder Tobias Zielony kennt, trifft hier auf eine ordentlich sortierte Konsum-Ödnis, die den entlarvenden Fotografien eines Andreas Gursky entstammen könnte. Für eine in einem Gewerbegebiet lebende Gruppe von Jugendlichen, überwiegend von Laien verkörpert, ist dieser Tempel des kapitalistischen Überflusses zum einzigen Referenzrahmen ihres prekären Lebens geworden. Auf dem Parkplatz des Supermarkts schlagen sie die Zeit mit Kiffen und Alkohol tot, legen sich mit Polizisten an, die ihre eigene Frustration an den eigentlich harmlosen „Abhängern“ abreagieren, und finden in Klein-Dealern und desorientierten Gefängnisrückkehrern Vorbilder, die sich „nichts gefallen lassen.“ Auf dem Dach des Warenhauses erleben manche ihre ersten Rendezvous. Einer von ihnen findet sogar den Weg ins „System“ und schafft es trotz Schulabbruch, zum Mitarbeiter des Filialleiters aufzusteigen, der mit Überwachungskameras und freundlich abweisenden Ansprachen vergeblich versucht, die klauenden Teenager von seiner bescheidenen Existenzgrundlage fernzuhalten. Natürlich kommt es in diesem absurd den Horizont einengenden Mikrokosmos zu einem Drama. Die Gruppendynamik aus Kapuzenpulli-Coolness, Hip-Hop-Mantra und „Du Opfer“-Provokationen peitscht drei dieser perspektivlosen, um gegenseitige Anerkennung buhlenden Jungs im Alter von 14 bis 18 Jahren dazu an, nachts mit dem Auto im Vollrausch durch den menschenleeren Asphalt-Vorort zu rasen, ehe sie auf der Suche nach nicht-alkoholischen Getränken in den Supermarkt einzubrechen. Es dauert nicht lange, bis eine Polizeistreife auf den in den Geschäftsräumen nicht hörbaren Alarm reagiert und beim Kontrollgang einen der Jungs erschießt. Der 1980 in Dresden geborene Regisseur Stephan Richter, der in Wien an der Universität für angewandte Kunst studiert hatte, ließ sich für seinen zwischen Hyperrealismus und einer latent künstlichen Bedrohlichkeit changierenden Debütfilm von einem tatsächlichen Fall in Krems inspirieren. Sein formal bis ins Detail kunstvoll durchdachtes, mit Milieuslang nicht geizendes und beeindruckend fotografiertes Drama könnte man auch als Hommage an Nicholas Rays Klassiker „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ (fd 4852) deuten, nur dass die Rebellion und das Streben nach Freiheit zwischen vakuumverpackter Fleischware und jeden Schandfleck sterilisierenden Putzmaschinen derart hanekeesk hoffnungslos gerät, dass man selbst mit dem von Andreas Lust gespielten Polizisten Mitleid hat. Dieser muss sich künftig nicht nur mit einem schlecht bezahlten Job und drohendem Burnout, sondern auch noch mit seiner Schuld herumplagen. In der besten aller Produktwelten ist jeder ein „Opfer“. Wehe dem, der im Warentausch das ultimative Abenteuer sucht.
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