Der letzte Tanz (2014)

Drama | Österreich 2014 | 90 Minuten

Regie: Houchang Allahyari

Ein empfindsamer Akademiker absolviert nach dem Studium seinen Zivildienst in einem Wiener Krankenhaus, wo er sich mit einer älteren Alzheimer-Patientin anfreundet. Aus dem Kontakt erwächst tiefe Zuneigung, die sich auch körperlich manifestiert, was weitreichende Konsequenzen nach sich zieht. Der sachlich erzählte Film plädiert nachdrücklich für ein Aufbrechen allzu eng gefasster Vorstellungen über Sexualität im Alter. Das ganz den beiden präzise agierenden Schauspielern getragene Drama wechselt zwischen Schwarz-weiß und kühlen Farben und meidet konsequent jeden melodramatischen Anflug. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DER LETZTE TANZ
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Allahyari Filmprod.
Regie
Houchang Allahyari
Buch
Houchang Allahyari · Daniel Kundi · August Staudenmayer
Kamera
Peter Roehsler
Musik
Erdem Tunakan
Schnitt
Charlotte Müllner · Michaela Müllner
Darsteller
Erni Mangold (Frau Ecker) · Daniel Sträßer (Karl) · Viktor Gernot (Verteidiger) · Marion Mitterhammer (Frau Schreiner) · Helmut Berger (Staatsanwalt)
Länge
90 Minuten
Kinostart
15.12.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Sachliches, präzise gespieltes Drama um das Tabu "Sexualität im Alter"

Diskussion
Ein Zivildienstleistender wird in Gegenwart seiner alleinerziehenden Mutter verhaftet. Die Beamten sind ungewöhnlich schroff, und auch in der Untersuchungshaft nimmt man auf Akademiker mit tadellosem Lebenslauf keine Rücksicht. Selbst der Gerichtspsychiater kann sich keinen Reim darauf machen, wie es zu der Tat kommen konnte, die man ihm vorwirft. Warum das so ist, erfährt man in einer drei Monate zurückgehenden Rückblende. Der junge Mann kam in einer geriatrischen Abteilung zum Einsatz. Hier traf er auf eine an Alzheimer erkrankte Patientin, die dank seiner Aufmerksamkeit aufblühte. Sie genoss, dass er ihr vorlas und sie mit Opernmusik per MP3-Player und Kopfhörer versorgte. Von den Pflegerinnen bekam sie bislang lediglich Medikamente und verkümmerte so in ihrem Bett. Die unverhoffte Aktivität der alten Dame stört allerdings den eng getakteten Tagesablauf der Krankenschwestern. Sie lassen den Unruhestifter in eine andere Abteilung versetzen. Zuvor aber kommt sich das ungleiche Paar nicht nur emotional, sondern auch körperlich näher. Sie werden in flagranti erwischt und angezeigt. Dass der Beischlaf im gegenseitigen Einvernehmen stattgefunden haben könnte, wird nicht in Betracht gezogen. Die Schuld des abnormen Vergewaltigers steht fest. Zumal das „Opfer“ kurz danach stirbt. Die einzige Hilfe, die der Anwalt leisten kann, ist, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren. Nach Andreas Dresens „Wolke 9“ (fd 38 865) nimmt sich der in Österreich lebende Regisseur Houchang Allahyari, ein praktizierender Psychiater, der im Film den Gerichtspsychiater spielt, des Themas Sexualität im Alter an. Nur dass sein Tabubruch erheblich weiter geht. Er stellt nicht etwa die Beziehung eines Senioren und einer jungen Krankenschwester ins Zentrum, was wohl weniger brisant gewesen wäre, da man in die Jahre gekommenen Lüstlingen relativ nachsichtig begegnet, man denke nur an Dominique Strauss-Kahn, der den Bogen erheblich überziehen musste, um aus dem Verkehr gezogen zu werden. Der empfindsame, in seinem Leben aber desorientierte Zivildienstleistende, der sich gerade in eine Gleichaltrige verliebt hat, empfindet zunächst Mitleid für die betagte Patientin, die wie ein widerspenstiger Teenager ihr Umfeld kritisch kommentiert. Er registriert jede Verbesserung ihres Zustands und schätzt die für ihr fortgeschrittenes Alter „unwürdige“ Direktheit. Als die von ihren Kindern entmündigte Greisin die Initiative ergreift, kann er ihr den Wunsch nach körperlicher Nähe schlicht nicht verwehren, zumal ihm wegen der engen Bindung zu seiner Mutter und der Abwesenheit eines Vaters der Umgang mit älteren Frauen nicht schwerfällt. Was für den Beschuldigten die Folge seines Einfühlens in sein sympathisches Gegenüber ist, ahndet die Außenwelt mit Verachtung, Vorverurteilung und Repression. Die Inszenierung wechselt zwischen schwarz-weißer Bildgestaltung nach der „unmöglichen Tat“ und der in kühle Farben getauchten Vergangenheit des Pflegeheims hin und her. Die Wahl der Theaterschauspieler Daniel Sträßer und der 87-jährigen Erni Mangold hätte nicht treffender ausfallen können. Sie tragen die das Melodram erstaunlich konsequent umschiffende Handlung über jede zu penetrante Vorhersagbarkeit mit Leichtigkeit hinweg. Der Film ist kein großer Wurf, aber ein beachtenswertes, sachlich erzähltes Plädoyer fürs Aufbrechen aus zu eng gefassten Rollenmodellen für alte Menschen, denen man das Recht auf sexuelle Aktivität immer noch abspricht.
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