Drama | Deutschland/Schweiz/Frankreich 2016 | 100 Minuten

Regie: Michael Koch

Eine junge Ukrainerin verdingt sich in der Dortmunder Nordstadt als Übersetzerin bei illegalen Geschäften, weil sie eisern an ihrer Vision festhält, einen eigenen Friseursalon zu eröffnen. Der Kontakt zu einem österreichischen Bauunternehmer scheint ihre Träume in greifbare Nähe zu rücken. Dabei wird sie vor moralische Fragen gestellt, die sie ihrem großen Ziel unterordnet. Das weitgehend mit der Handkamera gefilmte Porträt einer tragischen Kämpferin entwirft in undramatischen Einstellungen das Bild einer rauen Einwandererwelt. Der Debütfilm wird von seiner herausragenden Hauptdarstellerin getragen, die mit minimalem Aufwand das Dilemma ihrer Figur zwischen Selbstbehauptung und Identitätsverlust spürbar macht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MARIJA
Produktionsland
Deutschland/Schweiz/Frankreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Pandora Film/Hugofilm/Little Shark Ent./WDR/arte
Regie
Michael Koch
Buch
Michael Koch · Juliane Großheim
Kamera
Bernhard Keller
Schnitt
Florian Riegel
Darsteller
Margarita Breitkreiz (Marija) · Georg Friedrich (Georg) · Olga Dinnikova (Olga) · Sahin Eryilmaz (Cem Oktay) · Dimitri Alexandrov (Igor)
Länge
100 Minuten
Kinostart
09.03.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt. & russ.)
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Bedrängendes Frauenporträt aus der Dortmunder Einwandererwelt. Regiedebüt von Michael Koch mit einer herausragenden Margarita Breitkreiz als Hauptdarstellerin

Diskussion
Es ist eigentlich erstaunlich, dass es eines jungen Schweizer Regisseurs bedurfte, um Fassbinders zielgerichteten Frauentypus der Maria Braun in unserer migrationsbewegten Zeit zu neuem Leben zu erwecken. Der 1982 geborene Michael Koch hat nach Jahren als Schauspieler die Seite gewechselt und stemmt mit seinem Debüt „Marija“ sogleich ein frühreifes Sozialdrama, verortet zwischen Mike Leigh und den Brüdern Dardenne. Kompromisse kennt sein dichtes, ohne Musik auskommendes Frauenporträt nicht, weder in der realistischen Machart noch in der undramatischen, kalt beobachtenden Darstellung des Einwanderermilieus. Als Sympathieträgerin eignet sich seine Hauptfigur ohnehin nicht. In der heruntergekommenen Nordstadt von Dortmund schlägt sich die deutschkundige Ukrainerin Marija für vier Euro die Stunde als Putzfrau in einem Hotel durch. Mit ihren Einkünften kann sie gerade mal ein Zimmer in einem Altbau bezahlen, das der Deutschtürke Cem für 150 Euro pro Woche an Illegale vermietet, nicht ohne die Not seiner „Klienten“ auszunutzen. Er verschafft ihnen gegen üppige Bezahlung abgabenfreie Beschäftigungen an Baustellen, stellt Anträge für Kindergeld und kassiert auch noch mit, wenn sie wegen einer Blutvergiftung ohne Krankenversicherungskarte zum Arzt müssen. Als Marija, die von einem eigenen Friseursalon träumt, der Versuchung nicht widerstehen kann und Ohrringe aus einem Gästezimmer stiehlt, wird sie von einer Kollegin denunziert und entlassen. Ohne Einkünfte ist die Miete bald überfällig. Marija müsste eigentlich verzweifelt sein. Doch sie gibt keinen Ton von sich, als Cem in ihre Wohnung eindringt und sie bedrängt. Ihr Gesicht verharrt in jener Starre, die sie über jeden noch so hoffnungslosen Tag hinwegrettet. Ein kurzer Moment der Überwindung, und schon regelt sich ihr Verhältnis zu Cem neu. Fortan begleitet sie ihn als Übersetzerin zu Mietern, die kein Deutsch sprechen und noch schlechter dran sind als sie selbst. So kann sie etwas ansparen, aber es reicht immer noch nicht für die Ladenräume, die sie schon ausfindig gemacht hat. In der schrecklichen Schattenwirtschaft, in der die Abgehängten die mittellosen Neuankömmlinge über den Tisch ziehen, begegnet sie einem Österreicher, der nach Jahren im Knast wieder im Baugeschäft mitmischen möchte. Auch er braucht eine Übersetzerin, um von seinen russischen Partnern nicht hereingelegt zu werden. Es geht aufwärts für Marija. Sie lässt Cem und die Zeit der Ausbeutung hinter sich, ihre Gesichtszüge lockern sich. Sie kann sogar wieder lachen, als sie endlich mit der Einrichtung ihres Salons beginnt. Bis die Polizei auf dem Baugelände steht und das unsauber abgewickelte Geschäft auffliegt. Wieder wird Marija vor moralische Fragen gestellt, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit und der so oft enttäuschten Hoffnung auf zwischenmenschliche Verlässlichkeit. An Liebe glaubt sie angesichts ihres Überlebensmartyriums ohnehin nicht mehr. Die großartige Margarita Breitkreiz, auf den Brettern der Berliner Volksbühne zu Hause, macht mit minimalem Aufwand das Dilemma ihrer Figur spürbar. Diese ist kein Opfer überzogener Selbstentwürfe, möchte ihre Lage lediglich verbessern, legalisieren, stabilisieren. Dass sie ihren Weg ohne Rücksicht auf Verluste geht, sich wie einst Hanna Schygulla als Nachkriegsaufsteigerin Maria Braun mit den Verhältnissen (zumindest für eine gewisse Zeit) arrangiert, macht sie zu einer tragischen, aber auch übermenschlich entschlossenen Kämpferin. Marija wird nichts geschenkt, und es ist nicht klar, wie lange ihr emotionales Korsett noch halten wird.
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