Das Land der Heiligen

Drama | Italien 2015 | 81 Minuten

Regie: Fernando Muraca

Eine norditalienische Staatsanwältin lässt sich in den Süden versetzen, um in Kalabrien gegen die ’Ndrangheta-Organisation zu kämpfen. Als sie die Kinder der Capos der öffentlichen Fürsorge übergibt, trifft sie die Mafia an ihrer verletzlichsten Stelle. Visuell bestechendes, in düster-trostlosen Blautönen gehaltenes Drama, das die Aufmerksamkeit auf den Alltag der Frauen innerhalb der Mafia, ihre Zwänge und Abhängigkeiten lenkt. Da sich die Dramaturgie allzu ungebrochen einschlägiger Klischees und ikonografischer Bezüge bedient, gewinnen die Charaktere jenseits bekannter Muster allerdings keine tieferen Konturen. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA TERRA DEI SANTI
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Kinesis Film
Regie
Fernando Muraca
Buch
Fernando Muraca · Monica Zapelli
Kamera
Federico Annicchiarico
Musik
Valerio Vigliar
Schnitt
Paola Freddi · Marcello Saurino
Darsteller
Valeria Solarino (Vittoria) · Lorenza Indovina (Caterina Raso) · Antonia Daniela Marra (Assunta) · Ninni Bruschetta (Domenico Mercuri) · Francesco Colella (Nando)
Länge
81 Minuten
Kinostart
22.06.2017
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Thriller
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Eine Staatsanwältin aus Norditalien legt sich in Kalabrien mit der 'Ndrangheta an

Diskussion
Eine Frau joggt in der Sommerhitze des Südens am Meer. Erst jüngst hat Vittoria ihr Amt als Staatsanwältin angetreten, in Kalabrien, wo die Mafiaorganisation ’Ndrangheta über das Land herrscht. Sie ist für den Kampf gegen deren Machenschaften bestens gerüstet. Die Juristin ist zäh und beharrlich; ihre Mission treibt sie voran, sie besitzt den längeren Atem. Den Ehefrauen der Bandenmitglieder nimmt sie ihre Kinder weg und überantwortet sie der staatlichen Obhut, was den Zusammenhalt der Organisation nachhaltig untergräbt. Sie setzt auf den Staat als wahrer Fürsorger für die Familien und entlarvt die zynische Ideologie der „ehrenwerten“ Gesellschaft, die ihre Söhne kaltblütig dem Bandenkrieg opfert. Regisseur Fernando Muraca konzentriert sich in seinem Mafia-Film auf das Schicksal der weiblichen Figuren, wobei er drei unterschiedliche Positionen aufeinander bezieht. Das ist das große Verdienst seines Kinodebüts. In Kalabrien entscheiden Männer, welche Richtung das Leben einer Frau einschlägt. Die Frauen können darauf auf zweierlei Art reagieren. Sie können sich wie Assunta widerwillig unterordnen. Die Schwägerin des Mafia-Bosses hat vor drei Jahren ihren Mann verloren, um den sie immer noch trauert. Jetzt aber soll sie nach dem Willen ihres Schwagers einen anderen heiraten, vor dem ihr aber ekelt. Oder aber sie verstehen es wie Assuntas Schwester Caterina, den Herrschaftsanspruch der Männer in ihrem Sinn zu nutzen. Empfindsame Gefühle kann sich Caterina nicht leisten; sie will an der Macht ihres Ehemannes Alfredo teilhaben und mitprofitieren. Deshalb vertritt sie ihren flüchtigen Mann und mischt an verantwortlicher Stelle bei dessen Drogengeschäften mit. Die Staatsanwältin Vittoria sieht sich ebenfalls mit diesen asymmetrischen Verhältnissen konfrontiert. Keiner ihrer Schritte bleibt unbeobachtet, wie ein Schweinekopf vor ihrer Tür demonstriert. Ihr Kollege Domenico übernimmt wie selbstverständlich die Rolle des männlichen Beschützers und Lehrmeisters. Er hat sich mit der sozialen Ordnung längst abgefunden, will sie ihr erklären, statt sie zu bekämpfen. Doch Vittoria lässt sich nicht beirren. Sie verfolgt ein fortschrittlicheres Gesellschaftsmodell, in dem sich der Staat seiner Funktion bewusst ist, sich auf das Instrument des Rechts bezieht und nicht auf die Ebene der Täter begibt, also weder zum Mittel der Erpressung noch der Bestechung greift. Aus dem Norden trägt sie das Licht der Aufklärung in den Süden. Und kann ihre männlichen Kollegen tatsächlich von ihren Ansichten und ihrem Amtshandeln überzeugen. Dass der Gesellschaftsentwurf von „Das Land der Heiligen“ mit Blick auf die Frauen dennoch auf Altbewährtes setzt, sieht man an Vittoria und Assunta. Obwohl sie auf entgegengesetzten Seiten stehen, treffen sie sich in ihrem Wollen. Das Handeln beider Frauen erwächst aus mütterlichen Gefühlen, nicht aus dem Streben nach Macht. Es ist von der Sorge um die nächste Generation getragen. Das steigert die Inszenierung emotional durch die christliche Ikonographie; schon Assuntas Name verweist ja auf die „Heilige Jungfrau“. Wenn ihr Sohn auf der Piazza erschossen wird und sie seinen Leichnam öffentlich beweint, gleicht sie der um den toten Jesus trauernden Maria. Und wenn sie als Schwangere in einer späteren Szene der Staatsanwältin um den Hals fällt, die ihr Leiden teilt, ruft das Bilder von der Begegnung Marias und Elisabeths oder der Beweinung Christi durch die Mutter Gottes mit Maria Magdalena herauf. Bis Assunta plötzlich zurückschreckt, weil ihr bewusst wird, dass sie just mit dem Feind kooperiert, der ihr auch noch physiognomisch ähnelt. Da Vittoria alleinstehend ist, entsteht allerdings der Eindruck, dass Beruf und Familie für Frauen nicht zusammengehen und es schon einer Art Jeanne d’Arc bedarf, um den patriarchalen Augiasstall auszumisten. Die Ästhetik des Films kann nicht verleugnen, dass sie vom Fernsehformat geprägt ist. Die Geschichte wird ohne Umschweife erzählt; der Film bewegt sich geradlinig auf sein Ziel zu: auf den Leidensweg Assuntas und die Herrschertugenden von Vittoria, um den Sieg des Rechts ins Bild zu setzen. Durch Parallelschnitte wird das Handeln der weiblichen Figuren enggeführt oder kontrastiert. Im Schuss-Gegenschuss-Verfahren reiht sich in den kurzen Szenen zumeist ein Dialog an den nächsten. Eine Dramaturgie, die zwar Assuntas schrittweise Einsicht konturieren kann oder zur Bestätigung der staatlichen Autorität dient, den Charakteren aber keinen Raum verschafft oder sie an Tiefe und Strahlkraft wachsen lassen würde. So wird Vittorias Persönlichkeit kaum ausgearbeitet. Was sie zu ihrem Amtshandeln drängt, erscheint etwas zu mutterkultartig überhöht. Und auch Assuntas Leidensweg erscheint eher formelhaft abgehandelt als kunstvoll verdichtet.
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