Die vergessene Armee

Dokumentarfilm | Deutschland/Dänemark/Israel 2016 | 88 Minuten

Regie: Signe Astrup

Mit dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung wurde auch die Nationale Volksarmee aufgelöst. Manche Mitglieder der ausrangierten Streitkräfte haben sich bis heute jedoch nicht mit dem Ende der DDR abgefunden und kultivieren innerhalb obskurer Kameradschaften militärische Zeremonien und andere Rituale. Der Dokumentarfilm beobachtete fünf Jahre lang Angehörige der „vergessenen Armee“ und bietet in einer Mischung aus Naivität und Offenheit aufschlussreiche Einblicke in die verdrängte Welt der NVA-Veteranen. An vielen Stellen lässt er freilich eine Systematik oder ein historisches Verständnis vermissen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Dänemark/Israel
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Sineast Filmprod./Molly Aida Film/BR/Danmarks Radio/Pimpa Film/Danish Documentary
Regie
Signe Astrup
Buch
Signe Astrup
Kamera
Addie Reiss
Musik
Matija Strnisa
Schnitt
Ruth Schönegge
Länge
88 Minuten
Kinostart
08.06.2017
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Dokumentarische Langzeitstudie über Veteranen der NVA-Armee, die vergangenen Zeiten nachtrauern

Diskussion
Zu DDR-Zeiten war Bernd L. Offizier der Grenztruppen, später arbeitete er bei der Volkspolizei am Prenzlauer Berg. In „Die vergessene Armee“ von Signe Astrup sieht man ihn in Flip-Flops über den Alexanderplatz schlappen und ein wenig nach dem Rechten sehen. „Friedlich heute ... keine Hütchenspieler“, informiert er den Fahrer eines Polizeiautos, später meldet er zwei Polizisten eine „kleine Gefahrenquelle“ in Form eines leicht hochstehenden Kanaldeckels. „Ich hab’ ein gutes Auge“, bekennt Bernd L. nicht ohne Stolz. „Det glob ich Ihnen, ham wir aber auch“, so die lakonische Antwort der beiden Streifenpolizisten. Im realen Berufsleben ist der Ex-Offizier als Müllmann tätig. Bernd L. zählt wie die anderen Protagonisten des Films zu der großen Gruppe ehemaliger NVA-Soldaten, die nicht in die Armee des einstigen Klassenfeindes, die Bundeswehr, integriert wurden. Das Gefühl des Ausgeschlossenseins verbindet Bernd L. mit anderen Veteranen, die sich mit dem Ende der DDR bis heute nicht abgefunden haben und das Andenken an die DDR-Armee kultivieren. Die in Berlin lebende dänische Dokumentaristin Astrup wurde über diese recht klandestine Form der Erinnerungskultur durch eine Zeitungsmeldung aufmerksam. Eine Feier zum 55. Jahrestag der NVA-Gründung im Tierpark Friedrichsfelde hatte im Jahr 2011 eine Welle der Empörung ausgelöst. Etwa 100 ehemalige Offiziere, teils in Uniform, versammelten sich in der mit DDR-Fahnen und anderen Devotionalien geschmückten Cafeteria, um die Vergangenheit ein Stück weit wiederzubeleben. Astrup, die durch den Off-Kommentar und ihre Interviewfragen stark präsent ist, sich als Mitprotagonistin buchstäblich in den Film hineinspricht, hat sich über einen Zeitraum von fünf Jahren Zutritt zu dieser abgeschlossenen Männergemeinschaft verschafft. Ihr Status als Außenstehende und ihre relative Unvoreingenommenheit sind dabei so hilfreich wie schwierig. Ihre Offenheit und Naivität öffnete viele Türen. Die ehemaligen NVA-Angehörigen laden sie in ihre Wohnungen ein und geben bereitwillig Auskunft: über ihr schwieriges Verhältnis zur Bundesrepublik, ihr DDR-Bild, ihre Gefühle angesichts des Systemwechsels etc. Die Filmemacherin ist zugegen, wenn Bernd L. zum ersten Mal seine Stasi-Akte sichtet und von der Ausspähung durch einen ehemaligen Freund erfährt. Sie ist dabei, wenn der Traditionsverband NVA militärische Zeremonielle abhält und die Gräber früherer Vorgesetzter oder Namensgeber besucht. Sie ist auch dabei, wenn die Vereinsmitglieder bei der Sichtung von Christian Petzolds DDR-Drama „Barbara“ (fd 40 925) ihr kollektives „Angekotzt-Sein“ zum Ausdruck bringen; ehemalige Offiziere des Fallschirm-Bataillons haben als Statisten im Film mitgewirkt, was zu schweren Selbstvorwürfen führt. Im Einzelnen sind diese Beobachtungen durchaus interessant und aufschlussreich, doch es fehlt dem Film jegliche Systematik. Aus der Vielzahl der Erzählstränge ergibt sich kein Bild von der Geschichte und Funktionsweise der NVA; vieles bleibt schlicht nebulös. Zwar werden viele Themenfelder angerissen, vom Kameradschaftskult über das Selbstverständnis der NVA als friedliche Armee bis hin zur Schuldfrage bei der Grenzsicherung, doch sie bleiben unverbunden nebeneinander stehen. Es überwiegt ein fahriger Einblick in die Gedächtniskultur der Veteranen und ihre obskur anmutenden Re-Enactments.
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