Ich wünsche dir ein schönes Leben

Drama | Frankreich 2015 | 100 Minuten

Regie: Ounie Lecomte

Eine Physiotherapeutin flieht aus ihrer gescheiterten Ehe in ihren Geburtsort Dünkirchen, wo sie ihre Mutter finden will, die sie vor 30 Jahren zur Adoption freigab. Dabei stößt sie auf innere wie äußere Widerstände und lernt neben ihrer vermeintlichen Mutter auch eine wenig feinsinnige Frau kennen, zu der sie eine eigenartige Nähe empfindet. Der autobiografisch grundierte Film erzählt die Geschichte einer Annäherung und fragt nach den Kräften, die einen Menschen formen. Das psychologisch feinsinnige Doppelporträt zweier Frauen erkundet zwischen Sozialstudie und Familien-Melodram unterschiedliche Facetten von Mutterschaft. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
JE VOUS SOUHAITE D'ÊTRE FOLLEMENT AIMÉE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Gloria Films/Pictanovo
Regie
Ounie Lecomte
Buch
Ounie Lecomte · Agnès de Sacy
Kamera
Caroline Champetier
Musik
Ibrahim Maalouf
Schnitt
Tina Baz
Darsteller
Céline Sallette (Elisa Bérard) · Anne Benoît (Annette Lefèvre) · Françoise Lebrun (Renée Lefèvre) · Elyes Aguis (Noé) · Louis-Do de Lencquesaing (Alex)
Länge
100 Minuten
Kinostart
15.06.2017
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Drama über die vielen Facetten von Mutterschaft

Diskussion
Mutterliebe ist ein Naturgesetz. Das Kind ist da, die Mutter liebt es, komme was wolle. Manchmal aber läuft es anders. Es gibt Frauen, die ihr Kind, aus welchen Gründen auch immer, nach der Geburt sofort zur Adoption freigeben. So ist es auch Elisa passiert. Allerdings war sie das Baby, das vor 30 Jahren in Dünkirchen geboren und weggeben wurde. Ihre leibliche Mutter, so hat es die Hebamme damals vermerkt, war eine „junge, verängstigte, weiße Frau, die nichts über den Vater sagen konnte“. Viel mehr weiß Elisa nicht. Aber sie will mehr wissen. Sie will wissen, wer sie ist und vielleicht auch, warum sie die geworden ist, die sie ist: eine hingebungsvolle Physiotherapeutin. Ohne Scheu fasst sie ihren Patienten ins Fleisch, knetet ihre Leiber, dehnt, streckt und biegt sie, bis alle Anspannung aus ihnen weicht. Nur ihre eigenen inneren Verknotungen kann Elisa nicht lösen. Kühl wirkt sie, schön auch, manchmal mit einem harten Zug um den Mund, zuweilen ungeduldig und harsch gegenüber ihrem Sohn Noé, der mit seinem dunklen Teint und den Locken für einen arabischen Jungen gehalten wird. Woher er das hat? Nicht von ihr, nicht von ihrem Mann, von dem sich Elisa trennen will und der in Paris zurückgeblieben ist, während sie in ihrer Geburtsstadt in einer Praxis aushilft und eine erneute Ablehnung ertragen muss. Denn das Amt hat eine Frau ausfindig gemacht, die vermutlich Elisas Mutter ist. Diese aber verweigert ein Zusammentreffen und gibt vor, niemals ein Kind zur Welt gebracht zu haben. Das Gesetz schützt sie. Deshalb beginnt Elisa auf eigene Faust zu recherchieren, in dieser Stadt am Meer, in der die Möwen kreischen, der Himmel meist wolkenverhangen ist und Menschen wie Annette leben. Eine große, massige Frau um die 50, die tagsüber Schulkinder beim Essen beaufsichtigt und abends deren Dreck wegputzt. Die im selben Haus wie ihre Mutter wohnt und im Tierheim herrenlose Hunde ausführt. Schnell ist klar, dass Annette, ebenfalls mit diesem harten Zug um den Mund, Elisas Mutter ist. Keine Sekunde macht der Film daraus ein Geheimnis. Stattdessen führt er sie beide durch mitunter arg konstruierte Wendungen immer wieder zusammen, bis Annette schließlich als Patientin auf Elisas Massagebank liegt, sich einmal sogar in Embryohaltung an die Jüngere klammert. So entsteht eine körperliche Nähe zwischen diesen Frauen, die nicht wissen, wie nah sie sich eigentlich sind. Die 1966 in Seoul geborene Regisseurin Ounie Lecomte erzählt die Geschichte einer Annäherung und eines gegenseitigen Erkennens. Vor allem aber fragt die Filmemacherin, die selbst bei Adoptiveltern aufgewachsen ist, danach, was einen Menschen formt. Sind es die Gene? Oder ist es die Umwelt? Wäre Elisa eine andere, wenn sie in Dünkirchen bei ihrer leiblichen Mutter aufgewachsen wäre? Elisa will, als sie schließlich die Wahrheit erfährt, nicht wahrhaben, dass sie von Annette abstammt, die so gar nichts Weltoffenes und Feingliedriges an sich hat. Sie weist sie ab, so wie Annette sie einst abgelehnt hat. Und doch ist etwas Verbindendes zwischen ihnen. Blut ist dicker als Wasser, heißt es, und die Regisseurin weidet diesen Spruch reichlich aus. „Ich wünsche dir ein schönes Leben“ (der im Original den viel schöneren Titel „Ich wünsche dir, dass du wie verrückt geliebt wirst“ trägt) entpuppt sich als ein zweigleisiges Frauenporträt, das mitunter Sozialstudie, zuweilen auch Familien-Melodram ist. Obwohl die Geschichte mit all ihren Zufälligkeiten etwas sehr konstruiert wirkt, bleibt man als Zuschauer an den Figuren dran, weil die Protagonistinnen mit feinem psychologischem Gespür ausgelotet werden. Ganz offensichtlich hat die Regisseurin mit ihrem zweiten Spielfilm einiges abgearbeitet. Vor allem erkundet sie verschiedene Facetten von Mutterschaft. Annette, die ihr Kind weggab und selbst eine dominante Mutter hat. Elisa, die manchmal wie entfremdet von ihrem durchaus geliebten Sohn wirkt, und die sich gegen ein Kind entscheidet. Man möchte die Filmemacherin geradezu fragen, ob sie beim Filmen Antworten gefunden hat. Elisa zumindest wird am Ende ihrem Sohn erzählen können, woher er seine dunklen Augen mit den langen Wimpern hat. Ein paar Knoten scheinen sich auch in ihr gelöst zu haben.
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