Kaspar Hauser

Biopic | Deutschland 1992 | 139 (180 TV) Minuten

Regie: Peter Sehr

Die Geschichte des Findelkindes Kaspar Hauser, das am Pfingstmontag 1828 in Nürnberg auftauchte und anderthalb Jahre später einem Attentat zum Opfer fiel. Diese Verfilmung des bekannten Stoffs läßt die pädagogischen Aspekte des Falles außer acht und stellt den historischen Kriminalfall in den Mittelpunkt. Trotz solider Einzelleistungen kein rundum gelungener Film, da die Fülle der Informationen und die Vielzahl der Personen die politischen Hintergründe verschleiern. Der koproduzierende Sender arte strahlte im März 1995 eine 180-minütige Fassung des Films in zwei Teilen aus. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Multimedia/WDR/ORF/SVT/arte/Telepool
Regie
Peter Sehr
Buch
Peter Sehr
Kamera
Gernot Roll
Musik
Nikos Mamangakis
Schnitt
Heidi Handorf · Susanne Hartmann
Darsteller
André Eisermann (Kaspar Hauser) · Katharina Thalbach (Gräfin Hochberg) · Uwe Ochsenknecht (Ludwig von Baden) · Udo Samel (Professor Daumer) · Jeremy Clyde (Lord Stanhope)
Länge
139 (180 TV) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama
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Heimkino

Verleih DVD
VCL (1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Eigentlich ist die Geschichte hinlänglich bekannt. Am Pfingstmontag des Jahres 1828 tauchte in Nürnberg ein junger Mann auf, der reichlich verstört wirkte, in seinem Gebaren eher an ein Tier als einen Menschen erinnerte und kaum mehr als seinen Namen stammeln konnte: Kaspar. Der mysteriöse Jüngling wurde zu einer vielbestaunten Massenattraktion und zum wissenschaftlichen Forschungsobjekt, bevor er eineinhalb Jahre später einem rätselhaften Mordanschlag zum Opfer fiel, der dem Mythos Kaspar Hauser weitere Nahrung verschaffte. Seitdem haben sich neben Forschern auch immer wieder Künstler aller Couleur dieses spektakulären Falles angenommen. Vor zwei Jahren kam der Stoff gar zu Opernehren ("Sekunden und Jahre des Caspar Hauser" von Reinhard Febel). Auch in die Filmgeschichte ist Kaspar Hauser längst eingegangen. In Werner Herzogs .Jeder für sich und Gott gegen alle" (fd 19 124) verkörperte Bruno S. eindrucksvoll die Leiden des Findelkindes, das unter die Pädagogen fiel.

Regisseur und Autor Peter Sehr erzählt in seiner Adaption des Stoffes nun erstmals so etwas wie "die ganze Geschichte Kaspar Hausers". Dabei interessiert er sich im Gegensatz zu Herzog weniger für die sozial- und entwicklungspsychologische Seite als für einen der spektakulärsten Kriminalfälle des 19. Jahrhunderts. Denn wenn es stimmt, was die Hauser-Forschung in jüngster Zeit ermittelt hat, war jener Kaspar Hauser der veritable Erbprinz von Baden, der durch eine skrupellose Intrige nicht nur um sein legitimes Erbe gebracht wurde, sondern schließlich auch einem politischen Attentat zum Opfer fiel.

Der Film beginnt mit den Vorbereitungen zur Taufe des langersehnten Erbprinzen am Badischen Hof im Jahre 1812. Der Thronanspruch der regierenden Zähringerlinie ist durch diese Geburt gesichert. Sehr zum Mißfallen der Gräfin Hochberg, Angehörige einer Nebenlinie, die unbedingt ihren eigenen Sohn auf den Thron bringen möchte. Noch vor der Zeremonie vertauscht sie deshalb den Prinzen unbemerkt mit einem Dienstboten-Kind. Diesem läßt sie durch einen Verbündeten einen Genickschlag beibringen, an dem der Säugling kurz nach der Taufe stirbt. Der vermeintliche Thronfolger wird begraben, während die Gräfin den echten Prinzen, genannt Kaspar, in einer Nacht- und Nebelaktion in ein verlassenes Schloß am Oberrhein bringt, wo dieser die nächsten Jahre verbringt, ohne daß er selbst noch - bis auf eine Kinderfrau - irgendwer in seiner Umgebung um seine wahre Identität weiß. Ein paar Jahre später stirbt Kaspars Vater, Carl von Baden, an einer mysteriösen Krankheit. Jetzt besteigt dessen Onkel, Ludwig von Baden, den Thron. Als der Junggeselle und ehemalige Geliebte der Hochberg Ehepläne schmiedet, spielt die Gräfin ihre Trumpfkarte aus. Sie eröffnet ihm, daß der legitime Erbprinz, Kaspar, keineswegs tot ist und droht Ludwig, diesen Tatbestand publik zu machen, wenn er heiraten und Kinder, sprich: Thronerben, in die Welt setzen sollte. Ludwig geht auf die Erpressung ein, und die Hochberg ist fast am Ziel. Denn nach dessen Tod käme in Ermangelung anderer Nachkommen ihre eigene Linie auf den Thron des Hauses Baden. Um Kaspar vor eventuellen Nachstellungen Ludwigs in Sicherheit zu bringen, beauftragt die Gräfin die Kinderfrau, mit ihm ins Ausland zu gehen. Doch die Frau, die um den Wert des Kindes weiß, verkauft den Prinzen mit den nötigen Informationen an das Haus Bayern, das mit den Badenern im Streit um die Pfalz verfeindet ist. Da die Bayern jedoch von der Identität ihres Ankaufs nicht gänzlich überzeugt sind, beschließt man, den inzwischen vierjährigen Kaspar erstmal zu verstecken, um ihn als mögliches Faustpfand im Machtpoker in der Hinterhand zu behalten. Kaspar wird in ein winziges, dunkles Verließ gesperrt, das er für die nächsten zwölf Jahre. bis zu jenem Pfingstmontag 1828, nicht mehr verlassen wird.

Schon diese Hintergründe machen deutlich, daß es sich beim Fall Kaspar Hauser nicht nur um ein Politikum von höchster Brisanz handelt (schließlich sind noch die heutigen Herrscher des Hauses Baden Nachkommen jener Hochberg-Linie), sondern auch um eine Intrige, deren Verständnis eine Fülle von Namen und Informationen über die europäische Politik zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis hin zu Erbfolgeregelungen in Fürstenhäusern voraussetzt. Denn die oben geschilderten Geschehnisse liefern nur die Folie für gerade die Hälfte des Films. (Der zweite Teil wird von den anderthalb Jahren zwischen Kaspars Erscheinen und seiner Ermordung bestimmt.)

Kaspar Hauser ist zweifellos ein opulenter Krimi-Stoff in bester Wilkie-Collins-Manier, der alles hat, wonach Hollywood-Produzenten ständig auf der Suche sind: einen spannenden, dazu auch noch authentischen Plot, pralles höfisches Leben, Intrigen, Amouren und Skandale und nicht zuletzt eine Titelfigur, deren Schicksal wie geschaffen scheint, die Zuschauer zu rühren. So ist dieser aufwendigen Produktion auch jederzeit anzusehen, daß aus diesem großen Stoff auch großes Kino werden sollte. Opulente Ausstattung, prächtige Locations und eine Besetzung, die bis in die Nebenrollen so ziemlich alles versammelt, was auf deutschen Bühnen Rang und Namen hat. Uwe Ochsenknecht demonstriert, daß er ein durchaus guter Schauspieler ist, wenn ein Regisseur ihm keine Mätzchen und Chargenhaftigkeiten erlaubt, und Andre Eisermann könnte seine überzeugende Verkörperung des Kaspar zum Durchbruch als Darsteller verhelfen. Dazu eine gediegene Kamera von Gernot Roll. Daß die erlesenen Brauntöne der Innenaufnahmen, die zahllosen Kamera-Kreisfahrten und manche Einstellungen bisweilen etwas geschmäcklerisch anmuten, fällt kaum ins Gewicht. Gravierender ist da schon die Art und Weise, wie Peter Sehr es nicht schafft, den Stoff in gut zwei Stunden so zu verpacken, daß er den Zuschauer wahrhaft zu fesseln vermöchte. Im erkennbaren Bemühen, großes Bilderkino machen zu wollen und gleichzeitig die zum Verständnis des Plots unabdingbaren Hintergründe der vertrackten Intrige erklären zu müssen, bleibt das Packende der Geschichte angesichts der Fülle an Informationen und der Vielzahl an Namen und Gesichtern auf der Strecke. Da werden zu viele einzelne Sequenzen aneinandergereiht, durch Einblendung der Orte des Geschehens mühsam verbunden, und doch hat man Schwierigkeiten, der Stringenz des Plots zu folgen. Und die zentrale Identifikationsfigur, Kaspar Hauser, tritt im ersten Teil des Films so gut wie gar nicht in Erscheinung. Das mag von der Geschichte her konsequent sein, funktioniert im Kino jedoch nicht. weil dem Film dadurch der rote Faden, die Essenz des Ganzen fehlt. Vielleicht sind 137 Minuten aber einfach zu wenig, um "den ganzen Hauser" zu erzählen. Und möglicherweise ist die gut dreistündige Fernsehfassung (Ausstrahlungstermin voraussichtlich Ende 1994), aus der diese Kinoversion geschnitten wurde, der bessere Film.
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