Tragikomödie | Serbien/Großbritannien/USA 2016 | 125 Minuten

Regie: Emir Kusturica

Ein stiller, naturverbundener Milchmann kann mit seinen musikalischen Fähigkeiten gleich zwei Frauen betören: Eine schöne Einheimische erwählt ihn zum Verlobten, eine geheimnisvolle Italienerin erweist sich als eine Seelenverwandte. Als die Liebe zwischen den beiden ans Licht kommt, begeben sie sich gemeinsam auf die Flucht. Vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien angesiedelte Liebesgeschichte, die sich mit fantastischen Begebenheiten zum Märchen mit wunderschönen, zuweilen auch grotesken Bildern wandelt. Diese wirken stellenweise bemüht und verleihen selbst grausamen Ereignissen noch ästhetischen Glanz. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NA MLIJECNOM PUTU | ON THE MILKY ROAD
Produktionsland
Serbien/Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
AG Studios/Pinball London/Rasta Int./BN Films
Regie
Emir Kusturica
Buch
Emir Kusturica
Kamera
Goran Volarevic · Martin Sec
Musik
Stribor Kusturica
Schnitt
Svetolik Mica Zajc
Darsteller
Monica Bellucci (Nevesta) · Emir Kusturica (Kosta) · Predrag Manojlovic (Zaga) · Sloboda Micalovic (Milena) · Sergej Trifunovic
Länge
125 Minuten
Kinostart
07.09.2017
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
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Emir Kusturica taucht die Welt des jugoslawischen Bürgerkrieges mit berauschenden Bildern in die Sphäre des Wunderbaren

Diskussion
Emir Kusturica musste über die Jahre immer wieder harsche Kritik einstecken ob seiner nationalistischen Parteinahme und seines Geltungsbedürfnisses. Vielleicht verrät sein neuer Film viel über sein Selbstverständnis. Er selbst spielt darin den Arbeiter Kosta, der sich auf seinem Esel täglich zwischen den Fronten bewegt, um Milch von einem Hof zu holen. Während er stoisch seiner Beschäftigung nachgeht, sausen ihm die Kugel um die Ohren, was ihn aber nur wenig kümmert: Er tut so, als ginge für ihn das Leben als Zivilist einfach weiter. Kusturica schlüpft nicht nur in die Rolle des Milchmanns, auch verkörpert er einen Künstler und spiegelt damit die eigene Situation. Wie im wirklichen Leben tritt er auch als Musiker in Erscheinung, seine Kraft bezieht er daraus, dass er sich eng mit dem Wunderbaren und der wilden Natur verbunden weiß. So wird Kosta ständig von einem Falken begleitet; eine Schlange, der er Milch zu trinken gibt, revanchiert sich damit, dass sie sein Leben rettet, später einmal verfüttert er eine Orange an einen friedlichen Bären. Mit seinem Zimbal spielt er auf volkstümlich-grotesk inszenierten Festen, die barocke Lebenslust verströmen. Damit kann der stille Mann, der so unscheinbar und schüchtern wirkt, die Frauen bezaubern. Gleich zwei sind ihm verfallen. Während ihm die eine, Milena, mit grandiosen Turnkünsten imponieren will und sich als verführerisches „Pistolenweib“ geriert, punktet die andere damit, dass sie ihm auf gleicher Ebene begegnet und geistesgegenwärtig zu handeln versteht. Sie wird nur „die Braut“ genannt und repräsentiert das begehrte Objekt in idealer Form (Monica Bellucci spielt sie mit schmelzendem Blick). Sie beruhigt Kosta mit einem Lied, als ihn doch eine Kugel erwischt, und näht ihm sein abgeschossenes Ohr wieder an. Aber ihre Liebe hat keine Zukunft, weil „die Braut“ einen mächtigen Liebhaber versetzt hat. Kusturica hat den Film in drei Teile gegliedert. Zunächst erzählt er davon, wie sich sein unbekümmerter Held zwischen der richtigen und der falschen Prinzessin hin- und hergerissen fühlt, ihm aber die Entscheidung von marodierenden Brandschatzern abgenommen wird und er sich zur Rettung zu der „Braut“ in einen Brunnen abseilen muss. So beginnt beider fantastische Flucht, die in Kostas Buße als orthodoxer Mönch mündet – womit er auf seine Taufe anspielt. Zwar nimmt er dabei immer wieder auf das Vanitas-Motiv Bezug, bricht es aber sogleich wie im ironischen Bild des vor einem Spiegel auf- und abhüpfenden Huhns oder im Schlussbild, wo er eine monumentale Grabfläche zum Gedenken seiner Braut anlegt. Wenn sich die Kamera davor in die Lüfte erhebt, sticht die Gigantomanie des Urhebers besonders ins Auge. Kusturica packt seine märchenhafte Geschichte in berauschende Bilder und verbindet sie durch eine rhythmische Montage, die er mit dynamischen Balkan-Brass-Kompositionen seines Sohns stützt. Dabei hat der Film stellenweise Längen, gerade auch dann, wenn Kusturica die Welt des Wunderbaren allzu betont zelebriert. Manche Bilder wirken bemüht, manche kitschig, und manche Übersteigerung zeigt nicht die Absurdität der Welt, sondern löst Unbehagen aus, weil sie selbst noch furchtbaren Geschehnissen ästhetischen Glanz abzugewinnen versucht, etwa eine verbrannte Hochzeitsgesellschaft. Regisseure, die in ihren Filmen schwierige soziale und politische Verhältnisse erkunden, greifen irgendwann auf Formen und Inhalte des Märchens und der Volkspoesie zurück. Pier Paolo Pasolinis „Trilogie des Lebens“ ist dafür ebenso ein Beispiel wie Miguel Gomes’ „1001 Nacht“ oder Matteo Garrones „Das Märchen der Märchen“. Solche leicht verständlichen Erzählformen bilden Heiterkeit und Sinnenlust ab und erlauben, die Fehler der Zeitgenossen typisiert und verfremdet zu beschreiben. Auch bei Kusturica werden undurchschaubare Verhältnisse als klare Frontstellung von Gut und Böse gezeichnet und zaubern sich als dramaturgischen Kunstgriff das Erwünschte herbei. So kommt in einer der fantastischen Szenen die Natur dem bedrängten Paar zu Hilfe, das sich vor seinen Häschern auf einem uralten Baum versteckt hat. Plötzlich bricht ein furchtbares Gewitter los, der aufkommende Wind lenkt die Verfolger ab, spielt mit ihrem Zelt. Und da erheben sich Kosta und seine Braut in die Lüfte und landen an einem anderen Ort.
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