Animation | Deutschland/Österreich 2017 | 96 Minuten

Regie: Ali Soozandeh

Ein im Rotoskopie-Verfahren kreierter Animationsfilm, der die Geschichten von drei Frauen und einem Mann in Teheran zu einem düsteren Sittenbild des zeitgenössischen Irans verdichtet. Dabei geht es nicht zuletzt um die tief verinnerlichte Doppelmoral einer Gesellschaft, in der libertäre Ausschweifungen durchaus stattfinden, aber tabuisiert und verborgen gehalten werden. Daraus entstehen keine differenzierten Charakterstudien, sondern das ästhetisch wie inhaltlich flächige, auf starke Kontraste setzende Gemälde eines Landes, in dem die Flucht oder die Resignation die einzigen Handlungsoptionen zu sein scheinen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TEHERAN TABU
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Little Dream Ent./Coop99/ZDF/arte/ORF
Regie
Ali Soozandeh
Buch
Ali Soozandeh
Kamera
Martin Gschlacht
Musik
Ali N. Askin
Schnitt
Frank Geiger · Andrea Mertens
Länge
96 Minuten
Kinostart
16.11.2017
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Animation | Drama
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Animationsfilm als düsteres Sittenbild des zeitgenössischen Irans

Diskussion
Ein Land der Schleier und Fassaden: Der mit dem Rotoskopie-Verfahren kreierte Animationsfilm „Teheran Tabu“ verdichtet die Geschichten von drei Frauen und einem Mann zu einem Sittenbild des zeitgenössischen Irans. Das Debüt des in Deutschland lebenden Regisseurs Ali Soozandeh betont vor allem die Doppelmoral der theokratischen Gesellschaft. Auch strengste Gesetze lassen Drogen, Sex und Tanzmusik nicht verschwinden, drängen sie lediglich in den Untergrund, hinter verschlossene Türen und zugezogene Vorhänge. Viele sind Teil dieser Parallelwelt, auch hohe Geistliche und Beamte, doch zugeben würde es keiner. Pari arbeitet als Prostituierte, um sich und ihren fünfjährigen, stummen Sohn Elias durchzubringen. Der erfolglose Musiker Babak entjungfert auf einer Club-Toilette die junge Donya, die heiraten wollte und ihre Jungfräulichkeit nun durch eine teure Operation wiederherstellen lassen muss. Die Hausfrau Sara wird nach zwei Fehlgeburten schwanger, doch ihrer engen häuslichen Zukunft blickt sie mit Sorge entgegen. Immer wieder streifen und beeinflussen ihre Leben einander. Gerade anfänglich gelingt manche Pointe: über scheinheilige Taxifahrer, die zwar die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen, Familienmitglieder aber schon fürs Händchenhalten zornig verwünschen; oder über alte Männer, die schnell von aufreizenden Tänzerinnen zum Staatsfernsehen umschalten, sobald jemand den Raum betritt. Diese Spitzen sind unterhaltsam, wählen aber (zu) einfache Ziele. Bald aber verliert der Film seinen Humor, um sich nach und nach in einen grimmigen Miserabilismus zu stürzen. Soozandeh betont eher Einzelschicksale als größere Zusammenhänge. Die Ereignisse und Bilder, die dieser verengte Blick hervorbringt, wirken oft klischiert und eher unspezifisch, als wären nicht eigene Erlebnisse, sondern vorhergehende Kunstwerke ihr Ursprung – epigonische Echos von Echos. Es ist der Iran, wie man ihn aus den Filmen von Jafar Panahi („Der Kreis“ (fd 35 022)) oder den Melodramen von Asghar Farhadi („Nader und Simin – Eine Trennung“ (fd 40 538)) und Nahid Hassanzadeh („Another Time“) kennt, ohne dass die Qualität der Vorbilder erreicht würde. Auch formal bleibt der Film so brav und steif wie jene Strukturen, die er kritisiert. Bieder ordnen sich Schuss-Gegenschuss-Dialoge, Hochhaus-Landschaften und althergebrachte Freiheitsmotive (fliegende Vögel im Abendlicht) zu einer Bildsprache ohne Höhepunkte. Daran kann auch das Rotoskopie-Verfahren (Animationen auf Basis von Realfilmaufnahmen) wenig ändern, das die Darsteller in Cartoon-Figuren verwandelt, die sie in ihrer Holzschnittartigkeit wohl auch ohne die Bearbeitung wären. Sie verschwimmen ganz leicht, mal heben sie sich besonders stark, mal kaum von den Hintergründen ab, wodurch ein flächiger, detailarmer Look entsteht. Während Filmemacher wie Richard Linklater (mit „Waking Life“ (fd 35 486)) ihren Welten durch diesen Stil etwas Irreales, Abstrahierendes verliehen, strebt „Teheran Tabu“ nach einem ausdrucksarmen Realismus. Wofür aber einen Animationsfilm drehen, wenn man seine unbegrenzten Möglichkeiten nicht nutzt? Nur in kurzen Momenten ist der Stil mehr als ein Gimmick, das die Erfahrung minimal verändert, etwa wenn Drogen oder Angst den Blick expressionistisch verzerren. Immer wieder werden kurze Szenen in einem Fotostudio eingestreut, je nach Verwendungszweck kommt ein dunkler oder ein heller Hintergrund zum Einsatz. Was als Scherz über die allgemeine ästhetische Einfalt der Zustände gedacht ist, kann als ungewollter Kommentar auf den Film gelesen werden, der mit seinen Licht- und Farbstimmungen genau so arbeitet. Gegen Ende wird es zunehmend düster, Teheran versinkt in ewiger Nacht. Das Drama bietet seinen Figuren nur zwei Fluchtlinien: Ausbruch oder Selbstmord. Sie werden von der Geschichte so hart bestraft, dass selbst der eifrigste Sittenwächter vor Neid erblassen würde. Präsentiert wird eine Welt der isolierten Subjekte, ein Land ohne Gesellschaft und Solidarität. Ein Ort, der niemals Heimat sein kann. Nicht jeder Film muss sein Sujet tiefgehend analysieren oder gar Lösungspfade aufzeigen, doch „Teheran Tabu“ verliert sich im leeren Gestus der Betroffenheit. Ein resignierter Film, der nur noch Galgenhumor kennt.
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