Dreams Rewired - Mobilisierung der Träume

Dokumentarfilm | Österreich/Deutschland/Großbritannien 2015 | 88 Minuten

Regie: Manu Luksch

Found-Footage-Essay, das Material aus mehr als 200 Filmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts versammelt, um über Vorzüge, Risiken und Nebenwirkungen der Kommunikationstechniken zu reflektieren. Dabei werden durchaus auch Anschlüsse an aktuelle Diskurse der Facebook-Ära gesucht. Insgesamt entsteht ein beeindruckend dicht gewebter audiovisueller Teppich aus Gedanken, Bildern, Tönen und Musik rund um das Verhältnis von Mensch und Medien. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DREAMS REWIRED
Produktionsland
Österreich/Deutschland/Großbritannien
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Amour Fou Vienna/Ambient Information Systems/Bildschon Filmprod.
Regie
Manu Luksch · Martin Reinhart · Thomas Tode
Buch
Manu Luksch · Mukul Patel · Martin Reinhart · Thomas Tode
Musik
Siegfried Friedrich
Schnitt
Oliver Neumann
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit sechs im Film verwendeten Animationen von Hanna Nordholt & Fritz Steingrobe.

Verleih DVD
absolutMEDIEN (16:9, 1.78:1, DD2.0 engl./dt.)
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Der Vorspann läuft über Menschenmassen ab: ein Gewimmel winziger Gesichter, Flecken nur, ein träges Menschenmeer, in dem der Zelluloid-Schmutz und die Kratzer tanzen. Es sind bewusst unrestaurierte Bilder, die ihre Antiquiertheit nicht verleugnen. Aber, so die Pointe dieses Found-Footage-Essays, im Vergangenen steckt das Heutige, wenn nicht sogar die Zukunft. Der Traum von globaler Vernetzung ist mindestens 100 Jahre alt. Und die Furcht vor totaler Überwachung ebenfalls.

Diskussion
Der Vorspann läuft über Menschenmassen ab: ein Gewimmel winziger Gesichter, Flecken nur, ein träges Menschenmeer, in dem der Zelluloid-Schmutz und die Kratzer tanzen. Es sind bewusst unrestaurierte Bilder, die ihre Antiquiertheit nicht verleugnen. Aber, so die Pointe dieses Found-Footage-Essays, im Vergangenen steckt das Heutige, wenn nicht sogar die Zukunft. Der Traum von globaler Vernetzung ist mindestens 100 Jahre alt. Und die Furcht vor totaler Überwachung ebenfalls. Die Filmcollage „Dreams Rewired – Mobilisierung der Träume“ spürt dem Verhältnis zwischen Menschen und technischen Medien nach. Und immer wieder fragt man sich, wo denn das Gewaltmonopol liegt: Bedient sich die Menschheit der Kommunikationsmedien, oder sind die Rückkopplungen der Technologie auf Sprache, Körper und Verhalten maßgeblicher? Wem die Rede von der „Versklavung“ oder „Verdummung“ der „Konsumenten“ zu wohlfeil ist, dem könnte man mit Peter Weibels These „Wir sind Daten“ auf halber Strecke entgegenkommen. Kommunikation ist menschlich, Medien schaffen Abhängigkeiten, Verflechtungen, Identifikationen. In „Dreams Rewired“ trifft man die mit Apparaten verwachsenen Cyborgs des vergangenen Jahrhunderts: Menschen, die am Kurbeltelefon, am Grammofon oder später am Röhrenfernseher kleben. Man sieht Menschheitsträume, teils erfüllt, teils nur in Köpfen und Szenarien vorhanden. „Dreams Rewired“ ist nicht zuletzt eine Lektion in Mediengeschichte. Bilder und Töne wurden konservierbar und konnten später in Echtzeit gesendet werden. Heute telefoniert man rund um den Erdball, akustisch und visuell, von (weiteren) Optionen des Internets ganz zu schweigen. Manu Luksch, Martin Reinhart und Thomas Tode versammeln Material aus mehr als 200 Filmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem faszinierenden Essay über Vorzüge, Risiken und Nebenwirkungen der Kommunikationstechniken. Vom Eisenbahnverkehr über den Fernsprecher bis zu Kino und Fernsehen hat jede Innovation, so der Tenor, zu einer Neudefinition von Raum und Zeit geführt. Zugleich ist das Netzwerk, die Verbindung einer Vielzahl an Menschen, mit den medialen Durchbrüchen rhizomatisch gewachsen. Wirklich ungewöhnlich an „Dreams Rewired“ sind die Anschlüsse an brandaktuelle Diskurse der Facebook-Ära. Zentrale Problemkreise lassen sich aus dem Archiv illustrieren. Etwa die Angst vor dem Überwachungsstaat: Auf amerikanischen Hausdächern postierte Filmkameras lauern dem organisierten Verbrechen auf. Oder die Auswüchse des Fantums, wenn zwei Kinozuschauerinnen angesichts ihres virilen Idols regelrecht ausflippen. Auch für die Ernüchterung beim Blind Date, wenn die am Sprechapparat blumig geschilderten Geschlechtsmerkmale den Fantasien des potenziellen Partners widersprechen, konnte ein Slapstick-Clip gefunden werden. Das Problem – siehe „Cyrano de Bergerac“ – ist alt, kommt dank Internet-Dating aber heute viel öfter vor. Was die Allianzen von Kommunikationstechnik und Militär angeht, haben die Autoren wahrscheinlich Paul Virilios Buch „Krieg und Kino“ gelesen. Verstörendster Fund: der Filmclip mit einer Taube, die in einer fliegenden Bombe hockt, auf das Mattscheibenbild eines Flugzeugträgers pickt und so navigierend auf das Bombenziel und die eigene Vernichtung zusteuert. Führt die Kommunikationstechnik in den Untergang? „Dreams Rewired“ ist ein (mitunter fast zu) dicht gewebter Teppich aus Gedanken mit verschwörungstheoretischen Einschüssen, aus Bildern, Tönen und Musik (Siegfried Friedrich schuf einen spannungsvollen Score zwischen Gottfried Huppertz, Kurt Weill und House, ausgezeichnet mit dem Deutschen Dokumentarfilmmusikpreis 2016). Gerade was die Filmgeschichte angeht, bleibt manches unterbelichtet. Zwar gibt es eine längere Passage über Sergej Eisenstein und die politische Wirkung von „Panzerkreuzer Potemkin“, aber Alice Guy Blaché, die erste und sehr erfinderische Filmemacherin überhaupt, verdiente mehr Aufmerksamkeit. Die Sprecherinnen, Dörte Lyssewski in der deutschen, Tilda Swinton in der englischen Fassung, agieren subtil und mit dem passenden Quantum Ironie in der Stimme, so etwa bei einem Tom-Stoppard-Zitat: „Every age thinks it’s the modern age, but this one really is.“ Stoppard legte es einer Dramenfigur der 1920er-Jahre in den Mund. Frei übersetzt: Alles andere war Gaslicht. Die selbstgerechte Haltung dahinter bleibt immer modern.
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