Drama | Österreich 2017 | 98 Minuten

Regie: Julian Pölsler

Eine Frau mittleren Alters nutzt die Abwesenheit ihrer Familie, um sich über den Verlauf der vergangenen Monate klarzuwerden. Eine in ihren Haushalt aufgenommene junge Frau hatte sich vor einen Lastwagen gestürzt. Die Literaturverfilmung nach einer Novelle von Marlen Haushofer führt die mit „Die Wand“ (2012) begonnene Trilogie über Frauenfiguren fort, die nicht selbstbestimmt leben können. Die streng an der Vorlage orientierte Adaption springt zwischen dem Selbstgespräch der Frau und Rückblenden hin und her, wobei die ausgefeilte Kameraarbeit und der Soundtrack der kontemplativen Erzählhaltung bisweilen im Wege stehen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WIR TÖTEN STELLA
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Epo-Film/Juwel Film
Regie
Julian Pölsler
Buch
Julian Pölsler
Kamera
JRP Artman
Schnitt
Bettina Mazakarini
Darsteller
Martina Gedeck (Anna) · Matthias Brandt (Richard) · Mala Emde (Stella) · Julius Hagg (Wolfgang) · Alana Bierleutgeb (Annette)
Länge
98 Minuten
Kinostart
18.01.2018
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
eye see movies (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
eye see movies (16:9, 1.78:1, dts-HDMA dt.)
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Literaturverfilmung über eine Frau im Kampf mit ihrem Gewissen und den Wunsch nach Selbstbestimmung

Diskussion
Eine Frau sitzt im Wohnzimmer ihrer Villa vor einer Schreibmaschine. Sie nutzt die Abwesenheit ihres Mannes, der mit Sohn und Tochter für ein Wochenende zu seiner Mutter gefahren ist, um vor sich selbst Rechenschaft abzulegen. Vor Monaten hatte Anna die junge Stella in ihre Familie aufgenommen. Doch nun ist die 19-Jährige tot; sie stürzte sich, vermutlich völlig verzweifelt, vor einen Lastwagen. Anna quält die Frage, ob sie eine Mitschuld an Stellas Tod trägt. Regisseur Julian Roman Pölsler hat mit „Wir töten Stella“ ein weiteres Werk der österreichischen Autorin Marlen Haushofer verfilmt. Nach „Die Wand“ (fd 41 306) will er noch „Die Mansarde“ folgen lassen. In der dann vollendeten Trilogie möchte er den aktuellen Film als „Prequel“ verstanden wissen. In ihm bebildert er wie schon in „Die Wand“, wie eine Frau daran gehindert ist, ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Und indem er die Hauptrolle erneut mit Martina Gedeck besetzt, verwebt Pölsler die Filme zusätzlich zu einer Geschichte. Sie erzählt nicht nur von Annas Identitätsproblematik, sondern auch von den ödipalen Verwicklungen der bürgerlichen Kleinfamilie und der ausbleibenden Trauer um die Opfer. Wenn man „Wir töten Stella“ als Vorspiel begreift, bietet sich nunmehr auch eine Deutung für das zentrale Rätsel in „Die Wand“ an. Denn auch jetzt gibt es sinnbildlich wieder eine durchsichtige Wand, die sich zwischen Anna und ihre Umwelt schiebt; in diesem Fall ist sie eindeutig selbst herbeigesehnt. Die Hauptfigur wünscht sich solch ein trennendes Fensterglas. Wie eine zweite feste Haut soll sie gegen unliebsame Wahrnehmungen und Erinnerungen abschirmen. Annas emotionale Panzerung, ihre Faszination für den „schönen Wahnsinn“ des griechischen Helden Achill, spielte in der Erzählung von Haushofer auf die verdrängte Vergangenheit Österreichs an, das nationalsozialistische Verstricktsein des Landes. Denn Anna fühlt sich bei ihrer ambivalenten Erinnerungsarbeit beeinträchtigt. Ein aus dem Nest gefallener Vogel, den sie aus dem Fenster zum Garten beobachtet, wird zum Sinnbild für die noch nicht erwachsen gewordene junge Frau, die sie ihrem Schicksal überließ. Unweigerlich kommt ihr zu Bewusstsein, was vor kurzem geschah. Der Film beginnt mit dieser Szene, wie er sich überhaupt eng an den Wortlaut der Vorlage hält, und simuliert mittels Voice-Over die literarische Erzählsituation. Annas Selbstgespräch wird durch Rückblenden auf die letzten Monate unterbrochen. Pölsler macht sichtbar, dass er Haushofers Darstellung aus dem Jahr 1958 für weiterhin aktuell hält. Darum lässt er das Geschehen in eine fiktive Gegenwart münden: Anna schreibt dann nicht mehr auf einer Schreibmaschine, sondern benutzt einen Computer. Das so behauptete zeitliche Kontinuum, das Ineinanderfließen von Gestern und Heute, schlägt sich in der bewegten Kameraarbeit nieder. Doch deren ständiges Gleiten durch den Raum wirkt kontraproduktiv. Zusammen mit der Taktung der geschichteten Zeit und der aufdringlichen Musik, womit die Szenen rhythmisiert werden und welche Annas innere Nervosität, die Spannungen in der Familie, erlebbar machen sollen, arbeitet sie der kontemplativ-konzentrierten, depressiv getönten Erzählhaltung entgegen. Hinzu kommen belang- und reizlose szenische Umsetzungen, die durch ihren artifiziellen Charakter unwirklich erscheinen, wodurch mancher Dialog gestelzt wirkt. All das hält davon ab, der kritischen Sicht auf die Verhältnisse in der Kleinfamilie als Kern der gesellschaftlichen Ordnung tatsächlich nachzuspüren.
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