Der namenlose Tag

Krimi | Deutschland 2018 | 89 Minuten

Regie: Volker Schlöndorff

Ein pensionierter Kommissar wird von seinen Kollegen gelegentlich um Hilfe gebeten, wenn Angehörige über das Ende eines Menschen informiert werden müssen. Als er vom Tod einer Frau hört, der er vor Jahren beigestanden ist, nachdem sich ihre Tochter angeblich das Leben genommen hat, wird er selbst aktiv. Der nach einem Krimi-Besteller inszenierte Fernsehfilm verlagert den Schauplatz von München nach Erfurt, das sich als labyrinthischer Ort schroffer Kontraste entpuppt. Die Inszenierung des ungewöhnlich atmosphärischen, vielschichtigen Krimis fällt insbesondere durch eine eindrucksvolle, durchdachte Bildsprache auf. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Provobis
Regie
Volker Schlöndorff
Buch
Volker Schlöndorff
Kamera
Tomas Erhart
Schnitt
Julia Oehring
Darsteller
Thomas Thieme (Jakob Franck) · Devid Striesow (Ludwig Winther) · Ursina Lardi (Doris Winther / Inge Nemetzki) · Stephanie Amarell (Esther Winther) · Thomas Prenn (Jan Roland)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung
Externe Links
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Volker Schlöndorff verfilmt den gleichnamigen Besteller von Friedrich Ani. Ein Krimi um einen pensionierten Kommissar, der aus eigenem Antrieb wieder zu ermitteln beginnt, als er vom Tod einer Frau hört, die vor Jahren ihre Tochter verloren hat. Schauplatz ist Erfurt, das sich als labyrinthischer Ort schroffer Kontraste entpuppt. Ein vielschichtiges, filmisch ambitioniertes Drama.

Diskussion

Wenn Filmemacher, die ihre Sensibilität und ihren Stil im Kino ausgebildet haben, fürs Fernsehen arbeiten, entstehen oft erfreulich eigenwillige Werke, die sich erzählerisch und visuell deutlich vom Fernsehfilm-Durchschnitt abheben. Die Bilder sind präziser komponiert, die Wahrnehmung der Körper und Räume ist sinnlicher, physischer, direkter. Hans-Christian Schmid demonstrierte das jüngst souverän mit seinem Vierteiler „Das Verschwinden“ (fd 45 011), und in Volker Schlöndorffs „Der namenlose Tag“ erkennt man schon in den ersten Minuten, dass hier kein handelsüblicher Fernsehkrimi mit witzelnden Ermittlern und einer banalen Whodunit-Logik abgespult, sondern ein vielschichtiges Drama atmosphärisch dicht präsentiert wird.

Die Bilder flirren und flackern wie Erinnerungs- oder Traumbilder. Einerseits erzählen sie nüchtern, erscheinen zugleich aber wie innere Gesichte oder Rätselbilder. Ein weißer Vorhang, der durch ein offenes Fenster weht. Eine dunkle Gestalt, die eine Allee einsam durchwandert. Die Figur entpuppt sich als düsterer Schicksalsboten. In der Talsenke hinter der Allee erahnt man die Stadt. Die Romanvorlage, der gleichnamige Krimi-Bestseller von Friedrich Ani, spielt in München. Doch Schlöndorff siedelt die Story in Erfurt an und erkundet die Stadt als labyrinthischen Ort schroffer Kontraste. Hier der altehrwürdige Dom, dort triste Vorstadtsiedlungen.

Regisseur Volker Schlöndorff, der im nächsten Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, zählt zu den Galionsfiguren des Neuen Deutschen Films. Berühmt haben ihn die Adaptionen großer Literatur gemacht. Er verfilmte Romane von Günter Grass, Robert Musil, Marcel Proust, Max Frisch. Nach seinem Regiedebüt mit der Musil-Adaption „Der junge Törless“ (fd 14 067) spielte er in seinem zweiten Spielfilm, dem Krimi „Mord und Totschlag“ (fd 14 683), raffiniert mit den Genremustern. Genau das tut Schlöndorff nun auch in seinem 30. Spielfilm. Zwei Todesfälle wollen geklärt werden, aber wichtiger als die Ermittlungen ist das Eintauchen in Zonen existentieller Verdunkelung.

Im Zentrum steht ein seit zwei Monaten pensionierter und als „Todesbote“ titulierter Kommissar, dessen Spezialität die Übermittlung von Todesnachrichten war. Sein Standardsatz lautet: „Mein Name ist Jakob Franck, ich bin Kripo-Beamter, ich muss ihnen eine sehr traurige Nachricht überbringen!“ Auch jetzt im Ruhestand wird er noch bisweilen losgeschickt, weil die unerfahrenen Kollegen im Kommissariat bei der Überbringung der traurigen Nachrichten nur mit „plumper Nüchternheit oder falscher Anteilnahme“ vorgehen. Ex-Kommissar Franck hingegen weiß, wie man einfühlsam Hiobsbotschaften überbringt. Er nimmt Anteil, ohne aufdringlich zu sein, und hat gelernt, seiner Intuition mehr zu vertrauen als vorschriftsgemäßer Ermittlerlogik. Er legt sich auf den Rücken und entdeckt in den Schattenspielen an der Zimmerdecke die entscheidenden Hinweise. Auch jetzt, wenn ihn ein Fall der Vergangenheit wieder einholt.

Vor zwei Jahren hatte sich im Stadtpark eine 17-jährige Schülerin erhängt. Jedenfalls war „Selbstmord“ die offizielle Version, an die Franck aber nicht glaubte. Nun taucht der Vater des Mädchens auf und überbringt die Nachricht, dass auch seine Ehefrau sich erhängt habe. Deshalb macht der Kommissar im Ruhestand sich daran, „einen toten Fall zum Leben zu erwecken“.

In manchen Momenten stilisiert Schlöndorff den „Todesboten“ Franck allzu melancholisch als „einsamen Wolf“, sodass seinen Ermittlungen der innere Antrieb abhandenkommt. Auch fällt es Devid Striesow ungewöhnlich schwer, die Verzweiflung des vom Schicksal schwer geschlagenen Familienvaters facettenreich umzusetzen. Doch das sind inszenatorische Schwachstellen, die insgesamt nicht besonders ins Gewicht fallen, weil vor allem die Frauenfiguren überzeugend und packend dargestellt werden und die atmosphärisch überzeugende Kraft der Bilder stark hervortritt. Im Kern wird erzählt, wie ein kleinbürgerlicher Familienvater von seinen Statusbemühungen (Einfamilienhaus am Stadtrand) derart absorbiert wird, dass er die Menschen, die ihm nahestehen, gar nicht mehr in ihrer eigenwilligen Lebendigkeit wahrnehmen kann.

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