Therapie für Gangster

Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 90 Minuten

Regie: Sobo Swobodnik

In dem Niederrheinischen Therapiezentrum (NTZ) in Duisburg sitzen rund 100 drogensüchtige Kriminelle ein, die hier auf richterliche Anweisung „clean“ werden und für das Leben nach der Haft vorbereitet werden sollen. Der hochreflexive und weitgehend im Stil des Direct Cinema gedrehte Dokumentarfilm erzählt aus der Innenperspektive von neun Gefangenen über das Leben im „angewandten Maßregelvollzug“. In den häufig in konzentrierten Nahaufnahmen gefilmten Porträts halten sich Frust, Stolz, Einsamkeit und Trotz die Waage. Manche nutzen die Chance, andere nicht. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Corso Film
Regie
Sobo Swobodnik
Buch
Sobo Swobodnik · Eckhard Geitz
Kamera
Sobo Swobodnik
Musik
Till Mertens
Schnitt
Manuel Stettner
Länge
90 Minuten
Kinostart
03.05.2018
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Hochreflexiver Dokumentarfilm über das Niederrheinische Therapiezentrum in Duisburg, gedreht im Stil des Direct Cinema.

Diskussion
Am Anfang war das Tor. Sehr langsam, geradezu feierlich öffnet es sich zu Beginn des Dokumentarfilms „Therapie für Gangster“ von Sobo Swobodnik. Es wirkt nicht kühl-steril oder abweisend, wie man das bei einer Therapieeinrichtung für Straftäter vielleicht erwarten würde. Das „Niederrheinische Therapiezentrum Duisburg“ (NTZ) wurde offensichtlich sinnästhetisch bewusst mit mehr Farben und Formen errichtet, als es bautechnisch notwendig gewesen wäre. Der schachtelhafte Baukomplex mit seinen drei Häusern, aufgenommen in einer mächtigen Totale vom Duisburger Hafen aus, bildet in dem kontemplativen Dokumentarfilm über suchtkranke Kriminelle in der „Forensischen Psychiatrie“ die visuelle Klammer eines hochintimen Films, der inhaltliches Neuland betritt. Natürlich ist die Toranlage ein überaus naheliegendes, wirkungsmächtiges Symbolbild für einen Dokumentarfilm, der die Black Box eines in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Terrains betritt: dem so genannten Maßregelvollzug in Deutschland. Auf diese Weise werden jedes Jahr tausende Rechtsbrecher mehr unfreiwillig als mit Eigenelan (zwangs-)therapiert. Das sieht man den Gesichtern der verurteilten Männer an, und das hört man auch, lange Zeit sogar ziemlich ungeschminkt, und nicht gerade zum strafrechtlichen Vorteil der Protagonisten. „Du musst hier drin die Schnauze halten! Und genau das tun, was sie hören wollen“, sagt der 39-jährige Ibo. Seit vier Jahren und sechs Monaten ist der wegen schweren Raubs verurteilte Mann im Maßregelvollzug – und noch immer weder besonders einsichtig noch smart in seinem Tun und Handeln. Im Abspann erfährt man, dass in seinem „Therapiefall“ schon während der Dreharbeiten „eine Rückführung ins Gefängnis“ stattgefunden hat, wie das im Amtsdeutsch trocken-nüchtern formuliert ist. Leicht hat es in dieser forensischen Sondereinrichtung keiner der rund 100 Gefangenen. Männer wie Dennis, Ali, Sebastian oder Necco sind zwar physisch anwesend, doch trotz aller Einzelsitzungen, Ergotherapien oder Anti-Aggressionstrainings hallt in ihnen das Leben mit der Droge, der Straßengewalt oder den „krummen Dingern“ nach, wie sie das nicht ohne Stolz in der Stimme ausdrücken. Auffallend viele der Porträtierten haben zeitweise ohne Obdach oder Kontakt zu ihren Familien gelebt und sind auf diese Weise gesellschaftlich immer weiter abgerutscht. Manche versuchen hier allerdings ihren Hauptschulabschluss nachzuholen und sich durch das Engagement ihres Therapeuten auf ein potentielles Leben im „Draußen“ vorzubereiten. Trotzdem zerrt vor allem die massive Einsamkeit in der Zelle an ihrer instabilen Gemütsverfassung, genauso wie der harte Entzug, der innerhalb der Klinikmauern obligatorisch ist. „Kopfschmerzen von draußen“, nennen die muskelbepackten Männer diesen äußerst unruhigen Seelenzustand, den Swobodnik mit stillen, eng kadrierten Close-ups illustriert, was auf der großen Leinwand eine enorme Wirkung entfaltet. Überwiegend im Stil des Direct Cinema vom Regisseur selbst gedreht und durch Swobodniks Stammeditor Manuel Stettner elegant montiert, verdichtet sich „Therapie für Gangster“ zu einem hochreflexiven Dokumentarfilm, der lange im Gedächtnis haften bleibt. Ohne moralischen Zeigefinger und clever aus der Innenperspektive von insgesamt neun Gefangenen erzählt, gelingt dem Film das Kunststück, das auf der Website präsentierte Motto des NTZ in eine Filmerzählung zu übersetzen: „Inmitten der Schwierigkeit liegt die Möglichkeit (Albert Einstein)“.
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