Dokumentarfilm | Peru 2016 | 84 Minuten

Regie: Rodrigo Otero Heraud

Ein peruanischer Grundschullehrer zieht als spiritueller Pilger durch die Anden und deckt dabei die „animistische“ Weltsicht der Quechua-Indianer auf. Der poetische Dokumentarfilm ist als visuelles Gedicht inszeniert, das die beseelte Natur weniger als metaphorisch-verführerisches Bild, sondern als reale Wirklichkeit interpretiert. Die Wehklagen des Wanderers über zivilisierte Gegenwelten benennen ein Verhängnis, wenden sich aber zügig wieder beseelteren, lebenszugewandteren Dingen zu. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LOS OJOS DEL CAMINO
Produktionsland
Peru
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Cuyay Wasi
Regie
Rodrigo Otero Heraud
Buch
Rodrigo Otero Heraud
Kamera
Rodrigo Otero Heraud
Musik
Martin Egusquiza · Giovanna Nuñez
Schnitt
Rodrigo Otero Heraud
Länge
84 Minuten
Kinostart
10.05.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 Quechua & span.)
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Ein visuelles Poem, das die beseelte Natur weniger als metaphorisch-verführerisches Bild, sondern als reale Wirklichkeit interpretiert.

Diskussion
Gleißend weiß schimmern die schneebedeckten Berggipfel, in den Tälern glänzt sattes Grün. Inmitten des majestätischen Panoramas der peruanischen Anden wird ein Wanderer sichtbar. Seine Stimme begleitet und kommentiert die Bilder, die wie ein visuelles Poem gefügt sind. Er sagt: „Der Mensch kommt auf die Welt, damit das Leben mit vollem Herzen erblüht!“ Wenn Nebel aufzieht, erklärt er, dass es drei Arten von Nebel zu unterscheiden gilt: den hilfreichen, den schädlichen und den zauberisch-geheimnisvollen. Wenn Regen fällt, beklagt er, dass „die Menschen der großen Städte sich vor dem Regen erschrecken“; die Städter seien blind für das Segenbringende, das Reinigende und das Lebenspendende des Regens, der ja der liebenden Umarmung von Sonne und Meer entspringe. Manchmal steht er so einsam, traurig und schön in der grandiosen Landschaft wie die Menschen in Gemälden von Caspar David Friedrich. Der Anden-Pilger heißt Hipólito Peralta Ccama, lebt als Grundschullehrer in einer peruanischen Kleinstadt und hat sich als linguistischer Forscher intensiv mit der Indiosprache Quechua befasst, mit der er aufgewachsen ist. Doch solche biografischen Aspekte lässt der Filmemacher Rodrigo Otero Heraud beiseite. Ccama erscheint hier ausschließlich in der Rolle des spirituellen Pilgers und Lehrmeisters einer „animistischen“ Weltsicht der Quechua-Indios. Herauds Film „Die Augen des Weges“ ist keine Dokumentation im reportagehaften Sinn, sondern eine poetische Beschwörung einer traditionellen, dem Untergang geweihten Lebenswelt. Ccama besucht Bauern auf dem Feld, die ihre Arbeit mit Gebeten zur Pachamama („Mutter Erde“) beginnen, und zeigt, dass die Tänze und Maskeraden der dörflichen Feste nichts mit Folklore zu tun haben, sondern echte, das heißt der Erneuerung der kosmischen Ordnung dienende Festlichkeiten sind. Von den Lama-Herden der Hochebenen bis zu Fischerbooten am Meeresstrand reicht Ccamas Reise. Immer wieder sucht er nach heiligen Orten und Wirkstätten der mächtigen Berggeister, die „Apus“ genannt werden. Die moderne Weltsicht hat die Natur entzaubert, um sie rationaler Planung und Ausbeutung gefügig zu machen. Man kennt animistische Weltanschauungen nur noch aus Märchen und Mythen, als Kunde vergangener Zeiten oder einer ausschweifenden Fantasie. Der Film lädt ein, die beseelte Natur nicht nur als poetisches oder fantastisches Bild, sondern als Wirklichkeit zu sehen. Dafür öffnet Ccama auf faszinierende Weise die Augen. Die Aufmerksamkeit der Kamera richtet sich ganz auf die Natur und eine ländliche Lebensform, die noch nicht von Maschinen dominiert ist. Die Gegenwelt der modernen Zivilisation tritt nicht als Feindbild vors Auge, sondern wird in knappen Hinweisen als Verhängnis benannt. Da gibt es evangelikale Sekten, die der traditionellen Weltsicht den Garaus machen wollen, und am Beispiel des großtechnischen Fischfangs lässt sich zeigen, wie die Natur derart geplündert wird, dass sie im Kern ihrer Fruchtbarkeit getroffen ist. „Bin ich denn der Letzte, der das Spendende der Mutter Erde sieht und dankbar preist“, rief einst der chinesische Weise Dschuang Dsi aus. Ähnlich klingen Ccamas Klagen und Wehrufe. In einer der schönsten Szenen wird eine Dorfgemeinschaft gefilmt, die für den Bau eines neuen Hauses auszieht, um Bäume zu fällen. Wenn dann die bunt geschmückten Baumstämme über die Feldwege getragen werden, geht die Gemeinsamkeit des Tuns in die Riten einer festlichen Feier über. So kann das Leben mit vollem Herzen erblühen.
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