Das unmögliche Bild

Drama | Deutschland/Österreich 2016 | 69 Minuten

Regie: Sandra Wollner

Nach dem Tod des Vaters führt ein 13-jähriges Mädchen aus Wien 1957 dessen mit der Filmkamera festgehaltene Familienchronik fort. Ihre Aufnahmen folgen aber nicht der väterlichen Agenda des stilisierten Familienglücks, sondern halten Momente fest, die für das Mädchen bedeutsam sind. Das experimentelle, auf 16mm gedrehte Drama spielt mit den Klischees des Amateurfilms und fördert ein Misstrauen in die Zuverlässigkeit des (filmischen) Erzählens. Inhaltlich geht es um Krankheit und Tod, illegale Abtreibungen, gewaltförmige Familienverhältnisse und die sich verändernden Geschlechterverhältnisse in der Nachkriegszeit, ohne dass die Vielzahl der Stimmen und Perspektiven harmonisiert würden. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DAS UNMÖGLICHE BILD
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Filmakademie Baden-Württemberg
Regie
Sandra Wollner
Buch
Sandra Wollner
Kamera
Timm Kröger
Musik
Joscha Eickel
Schnitt
Stephan Bechinger
Darsteller
Jana McKinnon (Johanna) · Isabel Schmidt · Andrea Schramek (Magda) · Alexander E. Fennon (Vater) · Eva Linder (Maria Steinwendner)
Länge
69 Minuten
Kinostart
03.05.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
absolut/eksystent (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Experimentelles, auf 16mm gedrehtes Drama, das mit den Klischees des Amateurfilms spielt, um Misstrauen gegen die Zuverlässigkeit des (filmischen) Erzählens zu säen.

Diskussion
Wien im Jahr 1957. Nach vier Minuten von „Das unmögliche Bild“ ist der Papa, ein leidenschaftlicher Produzent von stilisierten Laufbildern eines stilisierten Familienglücks, tot. Einfach so, umgefallen. Glücklicherweise hat er seine älteste Tochter Johanna, die 13 Jahre alt ist und an Kinderlähmung leidet, noch rechtzeitig mit der Technik seiner Kamera vertraut gemacht. Johanna übernimmt sein Projekt „Familienchronik“ und signiert ihre Bilder durch ihre immer wieder ins Bild ragenden Krücken. Sein Ratschlag, den er selbst nie beherzigte: „Jetzt musst du nur noch aussuchen, was du filmen willst – und dann filmst!“ Johanna filmt, was ihr wert scheint, gefilmt zu werden: Eine Puppe, die im Wasser treibt. Die Nachbarskatze, die den Anstand besaß, dem Skandalon des plötzlichen Vatertodes dadurch zu begegnen, sich selbst überfahren zu lassen. Dazu spricht Johanna aus dem Off Kommentare zu den Bildern und reflektiert über das Filmen: Muss man, wie der Vater sagte, beim Filmen schnell sein, weil alles verschwindet? Oder muss man, wie Johanna annimmt, nur lange genug hinschauen? Der Duktus der Kommentare übersteigt den Horizont selbst einer hellsichtigen 13-Jährigen so entschieden, dass man sich früh von der Vorstellung verabschieden muss, es hier mit authentischem Found-Footage-Material zu tun zu haben. Johanna hat die Kamera nach dem Umzug zur Großmutter stets dabei: bei Familienfesten, wenn die kleine Schwester Lizzi Geburtstag hat oder eingeschult wird, wenn sich die Frauen bei der strengen Großmutter zum „Kochclub“ treffen, wenn geplaudert, geraucht, getrunken und Radio gehört wird, wenn Großvater vom Krieg erzählt und aufbrausend wird, wenn ihm die Frauen nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Die Filmemacherin Sandra Wollner spielt in ihrem Spielfilmdebüt „Das unmögliche Bild“ mit den rhetorischen Topoi des Amateurfilms, dessen eigentümliche Ästhetik in konventionellen Spielfilmen häufig als unpräzises Medium der Erinnerung funktionalisiert wird. Zu diesen Elementen zählen: die Erzählerin Johanna kommt nur ins Bild, wenn sie sich selbst im Spiegel filmt; die Anwesenheit der Kamera wird von den Gefilmten entweder betont ignoriert, oder aber sie „kommunizieren“ direkt mit ihr; die Szenen, die festgehalten werden, wirken willkürlich, zufällig und spontan, verläppern mitunter im Nichts, halten manchmal aber auch etwas Aufschlussreiches am Rande des Bildausschnitts oder im Bildhintergrund fest. Im Gegensatz zu ihrem Vater scheint Johanna mit der Filmarbeit keine Agenda zu verfolgen. Statt das Familienglück zu inszenieren, filmt sie lieber ihren Hund oder ihre kleine Schwester beim Experimentieren mit einer brennenden Kerze. Doch je länger „Das unmögliche Bild“ dauert, desto deutlicher fügen sich die Impressionen zu einer teilweise auch mit achronologischen Motiven spielenden Narration, die von Krankheit und Tod, von emotionaler Vergletscherung, von der Nachkriegszeit, veränderten Geschlechterverhältnissen und der Emanzipation erzählt. In Großmutters Kochclub wird nicht gekocht, sondern abgetrieben. Johanna weiß: „Die Musik war bei den Kochclubs immer so laut, damit man das Schreien nicht hört. Damit die Nachbarn nichts mitbekommen. Aber gewusst hat’s eh ein jeder.“ Einmal wird ein Karpfen geschlachtet und ausgenommen, seine Innereien zucken noch Stunden später. Einmal misslingt eine Abtreibung, ein Kind wird geboren und Emil genannt. Früher im Film, als die Familie über bestimmte Fotografien rätselt, erkennt Lizzi auf dem Foto einen Emil, den sie gerade noch im Hof gesehen haben will. Niemandem von den Erwachsenen ist jedoch ein Emil bekannt. Dazu passt ein Kommentar von Johanna: „Die Erinnerung ist so unzuverlässig, dass man manchmal meinen könnte, es wär’ die Zukunft.“ Doch die Inszenierung spielt nicht nur mit der Chronologie und der Unschärfe der Erinnerung, sondern befördert ein grundsätzliches Misstrauen in die Zuverlässigkeit des Erzählens und auch der Erzählerin. In dem Kapitel, dessen Überschrift gleichzeitig der Filmtitel ist, sitzt plötzlich der Vater wieder auf dem Bett der Großmutter, und zugleich kommt Johanna ins Bild. Wer filmt hier? Das Abenteuerliche, das Geheimnisvolle und das Traumhafte dieses äußerst reflektierten experimentierenden Spielfilms hängt aufs Engste mit dem Genre des Amateurfilms und den immer etwas unscharfen und körnigen Bildern des 16mm-Materials zusammen, auf dem „Ein unmögliches Bild“ gedreht wurde. Dass die Vielzahl der Stimmen und Perspektiven und Widersprüche nicht mehr eindeutig zu bündeln und schon gar nicht zu harmonisieren sind, ahnt Johanna, wenn sie am Schluss „ihrer“ Erzählung gewissermaßen mit den Schultern zuckt: „So war's halt. So wird es, wie man so sagt, gewesen sein!“
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