Drama | Schweden 2017 | 90 Minuten

Regie: Rojda Sekersöz

Ein in einer Plattenbausiedlung in Stockholm aufgewachsenes Mädchen entscheidet sich dafür, Verantwortung für sich und seine kleine Schwester zu übernehmen, als ihre Mutter an Lungenkrebs erkrankt. Dafür muss sie sich gegen den Anpassungsdruck in ihrer Peer-Group genauso durchsetzen wie gegen die sozialen Vorurteile der Gesellschaft. Ein mit leichter Hand inszenierter, leidenschaftlich gespielter Film über eine Heranwachsende, der sich wohltuend von der paternalistischen Empathie vergleichbarer Sozialdramen abhebt und die Romantik von Jugendgang-Klischees hinterfragt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
DRÖM VIDARE
Produktionsland
Schweden
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
2afilm/Filmpool Nord/Filmkonsulent Stephan Apelgren/Apricot Studio
Regie
Rojda Sekersöz
Buch
Johanna Emanuelsson
Kamera
Gabriel Mkrttchian
Musik
Lisa Holmqvist
Schnitt
Linda Jildmalm · Hanna Storby
Darsteller
Evin Ahmad (Mirja) · Gizem Erdogan (Sarah) · Malin Persson (Emmy) · Segen Tesfai (Nina) · Ella Åhman (Isa)
Länge
90 Minuten
Kinostart
03.05.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
absolut/eksystent (16:9, 1.78:1, DD2.0 swe.)
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Mit leichter Hand inszeniertes, leidenschaftlich gespieltes Jugenddrama um ein Mädchen aus einer Plattenbausiedlung, das sich dafür entscheidet, Verantwortung zu übernehmen.

Diskussion
Familie, Freunde oder Freiheit. Als Mirja aus dem Jugendknast entlassen wird, hat sie andere Pläne, als das Leben bislang für sie vorgesehen hatte. Dafür aber muss sie sich nun gegen Widerstände aus allen Richtungen durchsetzen. Das Spielfilmdebüt von Rojda Sekersöz wischt die beharrlichen Klischees der Filme über Pubertät in einer Plattenbausiedlung jedoch mit schauspielerischer Dynamik beiseite. Mirja hat eigentlich keine Chance. Aufgewachsen in einer Großsiedlung vor den Toren Stockholms, übt sie sich mit ihren Freundinnen vor allem in passiver Rebellion. Sie entzieht sich den Anforderungen des Alltags durch Rumhängen, Saufen, eine große Klappe und den Traum von einem schönen Leben in tollen Klamotten. Das Geld dazu wird auf der Straße zusammengeklaut. Die Peer-Group ist eine starke Solidargemeinschaft, insbesondere wenn man als halbe Ausländerin, Tochter einer alleinerziehenden Mutter und Plattenbau-Kind gleich drei Negativetiketten auf der Stirn kleben hat. Ein solcher Zusammenhalt vermittelt aber auch einen starken Gruppendruck, vor allem, wenn man an anderer Stelle unerwartet Verantwortung übernehmen muss. Genau das widerfährt Mirja, als ihre Mutter an Lungenkrebs erkrankt und nicht mehr lange zu leben hat. Denn es gibt auch noch ihre kleine Schwester, die nicht so perspektivlos wie sie selbst enden soll. Um sich und ihre Schwester durchzubringen, nimmt Mirja einen Job in einem Hotel an. Dafür wird sie von ihrer Mutter erstmal ausgelacht, schließlich hat Mirja noch nie einen Job durchgehalten. Ihren Freundinnen erzählt sie vorsorglich gar nichts davon. Starke Sprüche, schwache Seele. Mit viel Willen und genauso viel Trotz rennt Mirja gegen die Gesetzmäßigkeiten der Unterprivilegierung an. Im Kampf gegen soziale Vorurteile wie gegen den Anpassungsdruck ihrer Peer-Group wächst allerdings ihre Unsicherheit. Als ihr Arbeitgeber sie unter einem Vorwand mit einem Handgeld abspeisen will, gerät sie in Wut; ist so etwas wie ein normales Leben eigentlich überhaupt noch möglich? „Träum weiter!“ erzählt wenig Neues, aber das mit seltener Frische. Das ausnahmslos weibliche Ensemble spielt die Lehrstückhaftigkeit des Plots mit bewundernswerter Leichtigkeit weg, und die leichthändige Regie der talentierten Sekersöz findet in der Atemlosigkeit der Ereignisse immer wieder Ruhepunkte. Jenseits der Überlebenskämpfe bleibt nämlich nur wenig Zeit für Emotionen. Umso wichtiger werden die wenigen vertraulichen Minuten mit der kleinen Schwester oder einer älteren Arbeitskollegin. Man ahnt, dass Mirja mit dem gleichen illusionslosen Alltagssarkasmus enden könnte wie diese Kollegin. Damit es nicht so weit kommt, ist in einem Umfeld, in dem jeder seinen egoistischen Interessen folgt, eine Menge Energie nötig, da die Lust auf Veränderung vom Frust über die erzwungene Stagnation immer wieder in die Schranken gewiesen wird. Die 1990 in Dänemark geborene kurdischstämmige Schriftstellerin Evin Ahmad verkörpert Mirjas emotionale Pendelbewegungen mit einer beeindruckenden Mischung aus Einfühlsamkeit und Leidenschaft. Ungeachtet der Regeln ihrer Peer-Group wie der sie umgebenden Gesellschaft wird sie vom Objekt zum Subjekt ihres eigenen Lebens. Sie entwickelt einen eigenen Kompass, auch wenn das nicht immer zum erwünschten Erfolg führt. Gerade damit hebt sich „Träum weiter!“ wohltuend von der paternalistischen Empathie vieler Plattenbau-Filme ab und hinterfragt die zuweilen irreführende Romantik vieler Jugendgang-Klischees. Am Ende steht Mirja vor der nicht nur für Teenager existentiellen Frage: Solidargemeinschaft oder Einzelkämpferin, Konformitätszwang oder innere Freiheit?
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