Drama | Argentinien/Brasilien/Spanien/Frankreich/Niederlande/Mexiko/Portugal/USA 2017 | 115 Minuten

Regie: Lucrecia Martel

Ein Offizier der spanischen Krone verwaltet Ende des 18. Jahrhunderts eine Kolonie in Südamerika und wünscht sich nichts sehnlicher, als in seine Heimat zurückbeordert zu werden. Da die Regierung aber keine Anstalten macht, seinem Gesuch zu entsprechen, nimmt er jeden noch so absurden Auftrag des Gouverneurs an. Das meisterhafte Drama schildert den geistigen wie körperlichen Verfall des Konquistadors als groteske Farce fortschreitender Auflösung. Die umfassende Zersetzung spiegelt sich in gespenstischen Verzerrungen der Tonebene, aber auch in der scheinbaren Auflösung der Erzählzeit wider. Auch werden die Gräuel des Kolonialismus nicht als unmittelbare Gewalt, sondern als surreal-groteske Fegefeuer vergegenwärtigt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ZAMA
Produktionsland
Argentinien/Brasilien/Spanien/Frankreich/Niederlande/Mexiko/Portugal/USA
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Rei Cine/Bananeira/El Deseo/Patagonik/MPM/Canana/Lemming/KNM/O Som e a Fúria/Louverture/Schortcut/Telecine/Bertha Found./Perdomo/Picnic/Punta
Regie
Lucrecia Martel
Buch
Lucrecia Martel
Kamera
Rui Poças
Schnitt
Karen Harley · Miguel Schverdfinger
Darsteller
Daniel Giménez Cacho (Don Diego de Zama) · Lola Dueñas (Luciana Piñares de Luenga) · Matheus Nachtergaele (Vicuña Porto) · Juan Minujín (Ventura Prieto) · Nahuel Cano (Manuel Fernández)
Länge
115 Minuten
Kinostart
12.07.2018
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
absolut (16:9, 1.78:1, DD2.0 span.)
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Meisterhaftes Drama um den geistigen wie körperlichen Verfall eines Konquistadors, der Ende des 18. Jahrhunderts eine südamerikanische Kolonie verwaltet.

Diskussion
Auf den Gesichtern der Spanier formt sich der Schweiß zu winzigen, glänzenden Kügelchen. Durch die grauen Strähnen ihrer Perücken schimmert das schlecht gekämmte Haar. Der Dreck unter ihren Schuhen muss mit groben Reisigbesen abgeklopft werden. Schon der erste Auftritt der Kolonialherrn schreit es geradezu heraus: Das Gesetz der Krone besitzt in den Tiefen des Dschungels keine Gültigkeit! Dennoch wird der mit Lederriemen gefesselte Eingeborene verhört. Eine erfolglose Prozedur, an deren Ende der Mann begnadigt wird. Doch statt sich ins Freie führen zu lassen, urteilt der Mann für sich selbst: Mit dem Kopf voran rennt er gegen eine Wand. Mit den letzten Atemzügen bricht er sein Schweigen. Er flüstert die Geschichte eines Fisches, der vom Wasser abgestoßen wird und im schlammigen Uferwasser um sein Überleben kämpft. Eine Metapher für die Präsenz der Spanier, und der Beginn dessen, was die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel nach dem Roman von Antonio di Benedetto als Zersetzung einer Kolonialmacht inszeniert. Wie der Fisch aus der indigenen Erzählung hat sich die spanische Aristokratie in Südamerika festgesetzt. In einer Welt, die nicht für sie gemacht ist und doch von ihr regiert wird. Don Diego de Zama ist einer von denen, die hier das Sagen haben, die den Dschungel umgestaltet haben zu einer Welt voller Gelage, Gesellschaftsspiele und Sexsklaven. Ein kleines Reich der Dekadenz, aus Europa ins tiefste Südamerika importiert, in dem sich trefflich über die eigenen Ideale von Reinheit, Genuss und Schönheit parlieren lässt. Doch man kann die Fäulnis förmlich riechen, die unter den Gewändern und falschen Haarschöpfen der Bourgeoisie gärt. Die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel erzählt von der Kolonisation als Krankheit. Die spanischen Invasoren sind der Parasit, der die Region infiziert hat und in der Folge den ganzen Kontinent vergiftet. Wenngleich die eigentliche Brutalität dieses Vorgangs nie gezeigt wird, sind seine Folgen omnipräsent. Bei Zusammenkünften der Spanier sieht man im Hintergrund stets Sklaven, die den Unterdrückern Luft zufächeln, Sänften auf ihrem Rücken tragen oder wie Dekorationsgegenstände angemalt und verziert wurden. Wer nicht im Dienste der Spanier steht, ist hingegen oft verstümmelt, blind oder siecht, infiziert von den importierten Krankheiten, langsam vor sich hin. Für den Offizier Zama wird dieses Leben in der von ihm verwalteten Fremde immer unerträglicher. Seinen mit Titeln überfrachteten Namen spricht man selbst im Anwesen des Gouverneurs oder auf den Haziendas der Spanier kaum noch mit Ehrfurcht aus. Jenseits dieser Welt ist Zama ein Fremdkörper. Steht er am Flussufer, sieht er keine Heimat; blickt er in den Dschungel, leuchtet ihm ein giftiges Grün entgegen. Das Land scheint Zama abzustoßen. Doch die spanische Krone macht keine Anstalten, Zamas Gesuch einer Versetzung in die Heimat nachzukommen. Deshalb reist der Offizier durch die Provinz und führt jeden noch so unnützen Auftrag der ständig wechselnden Gouverneure aus, getrieben von der Hoffnung, durch die Gunst des höchsten Beamten vielleicht doch einen Weg in die Heimat zu finden. Zamas Existenz in Südamerika ist eine groteske Farce. Das wird besonders deutlich, wenn er die Siedlungen verlässt: In der wilden Natur wirkt er mit Dreispitz und Degen ähnlich deplatziert wie die Sklaven in den Verwaltungsgebäuden, die man als Boten einsetzt und dazu mit Gewand und Hut, aber ohne Hose bekleidet hat. Die Welt der Kolonialisten zerfällt, langsam und stetig. Was die Spanier importiert haben, lässt der Film analog zu den Protagonisten unaufhaltsam und unerbittlich erodieren. Statt seiner Versetzung wird schließlich Zamas Umzug in ein anderes Wohnhaus angeordnet. Die Möbel des Offiziers werden auf den Hof geräumt. Edel geschnitzte Vitrinen, Schränke, Stühle und Betten: All der Luxus, den die Konquistadoren in dieses Land geschleppt haben, steht hier sinnlos im schlammigen Boden des Urwalds. Lucrecia Martel erzählt aber nicht nur in der physisch-sichtbaren Welt meisterhaft von der Zersetzung der Besatzer. Sukzessive schleicht sich eine gespenstische Verzerrung in die Tonebene ein. Dialoge werden von einem dumpfen Dröhnen übertönt, das Gesprochene schweift ins Unhörbare ab oder wird von den erratischen, laut hörbaren Bewusstseinsströmen eines Beisitzenden abgelöst. Oft kreisen diese Gedanken und Gespräche um einen Verbrecher namens Vicuña Porto. Einen Mann, der dutzendfach für tot erklärt wurde und doch weiter existiert. Eine nicht greifbare Bestie, dessen angeblich abgetrennte, schwarz vertrocknete Ohren der Gouverneur seinen Untergebenen dennoch als Beweis der eigenen Macht präsentiert. Vicuña Porto ist das Sinnbild des Kolonialismus, seine gesichtslose Fratze. Nie blickt man direkt in dieses Antlitz, und doch strahlt seine monströse Hässlichkeit durch jedes edle Gewand, durch jede Strähne der silbernen Perücken, durch jede Fassade der angeblichen Zivilisiertheit des alten Europas.
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