Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm

Biopic | Deutschland 2017 | 130 Minuten

Regie: Joachim Lang

Im Jahr 1930 kam es um die Verfilmung von Bert Brechts „Dreigroschenoper“ zu erheblichen juristischen Auseinandersetzungen, weil der Autor den Stoff fürs Massenmedium radikalisieren wollte, was den Intentionen der Produktionsfirma aber zuwiderlief. Das daraus resultierende Brecht-Exposé „Die Beule“ dient jetzt einer Vergegenwärtigung jener Vorgänge, die mit tragfähigem Blick auf Figur und Werk von Brecht einen temperamentvoll-wuchtigen Zugang zu dem komplexen Stoff wählt. Der zwischen Fakten und Fiktion, Werk und Kommentar changierende Film bietet intellektuelles Dauerfeuer für Brechtkenner, ein spielfreudiges Darsteller-Ensemble und alle Weill-Hits, aber auch unmissverständliche Aktualisierungen des Stoffes in Richtung Finanzkapital und amtierendem US-Präsidenten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Zeitsprung Pic./Velvet Films/SWR
Regie
Joachim Lang
Buch
Joachim Lang
Kamera
David Slama
Musik
Walter Mair · Kurt Schwertsik
Schnitt
Alexander Dittner
Darsteller
Lars Eidinger (Bertolt Brecht) · Tobias Moretti (Macheath) · Hannah Herzsprung (Polly) · Joachim Król (Peachum) · Claudia Michelsen (Frau Peachum)
Länge
130 Minuten
Kinostart
13.09.2018
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Biopic | Gangsterfilm | Musical | Musikfilm
Externe Links
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Diskussion
Die Uraufführung der Brecht/Weill’schen „Dreigroschenoper“ im Theater am Schiffbauerdamm war für den Abend des 31. August 1928 terminiert. Die Proben begannen am 1. August 1928 und verliefen, wie man nachlesen kann, legendär chaotisch. Die Arbeit an der Inszenierung war echtes „work in progress“. Schauspieler und Regisseur fremdelten mit Brechts lässigem Rigorismus. Die Proben waren sehr gut besucht, weil niemand daran glaubte, dass die Premiere zu Ende gespielt werden würde. Auf der Bühne wurde noch gewerkelt, als das Publikum schon im Zuschauerraum Platz nahm. Die Schauspieler waren mit Trillerpfeifen gerüstet, um den erwarteten Proteststurm des Publikums zu parieren. Doch im Verlauf der Premiere wurde aus dem Fiasko ein Triumph – und die „Dreigroschenoper“ zur erfolgreichsten deutschen Theateraufführung, bis sie 1933 von den Nazis aus dem Verkehr gezogen wurde. Der sensationelle Erfolg des Stücks, einem Material-Bastard aus einer Bearbeitung der „Beggar’s Opera“ von John Gay und Johann Christoph Pepusch (1728) und einigen „Leihnahmen“ bei Francois Villon und Rudyard Kipling, überraschte Brecht selbst, der in der Folge am Material weiterarbeitete und an den Schwächen des Stücks werkelte. Der immense Erfolg des Stücks ließ an eine Verfilmung denken. 1930 erwarb die Nero-Film AG die Rechte. Als Regisseur war Georg Wilhelm Pabst vorgesehen, das Drehbuch sollte Brecht selbst schreiben, der ein großes Interesse am Film als dem zeitgemäßen ästhetischen Medium hatte und sich auch theoretisch um das Potential der Apparate („Radiotheorie“) kümmerte. „Die Widersprüche sind die Hoffnungen.“ (Brecht) Während es der Nero-Film AG um die kommerzielle Verfilmung der populären „Dreigroschenoper“ zu tun war, wollte Brecht das Projekt nutzen, um konzeptionelle Schwächen der Vorlage auszubügeln und den Stoff entschieden zu radikalisieren. Kommerzielle Interessen und politisch-pädagogische Indienstnahme des Massenmediums im Kampf gegen den Kapitalismus waren allerdings nicht miteinander zu vereinbaren, weshalb es zum Prozess um Brechts Urheberrecht kam. Der Autor, erklärtermaßen „lax in den Fragen geistigen Eigentums“, klagte sein Urheberrecht ein, wenngleich er um seine Niederlage vor Gericht wusste. Um zu dokumentieren, „was hier Recht sei“, erklärt Brecht den Prozess zu einem „soziologischen Experiment“, das die Ungleichzeitigkeit von bürgerlicher Ideologie (Urheberrecht) und ökonomischer Realität vor Augen führt: „Die kapitalistische Produktionsweise zertrümmert die bürgerliche Ideologie“ (Brecht). Mit der Pointe, dass ein kollektiv hergestelltes Kunstwerk wie ein Film eben auch nicht länger Produkt eines Künstlerindividuums sein kann. Neben diesem „soziologischen Experiment“ hat Brecht seine eigenen Überlegungen zu einer Verfilmung der „Dreigroschenoper“ zudem in einem Exposé mit dem Titel „Die Beule“ festgehalten. Genau hier setzt Joachim A. Lang mit seinem Film „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ an. Er verfilmt gewissermaßen „Die Beule“, baut Versatzstücke der „Dreigroschenoper“ neu zusammen, lässt sich von Brecht persönlich durch die Dreharbeiten führen und zeigt zugleich szenisch einige Momente der Kontroversen zwischen der Nero Film-AG und Brecht. Dieser Meta-Film wird abgerundet durch Impressionen von der Arbeit auf dem Theater im Vorfeld der Premiere des Stücks und Wochenschau-Material aus der krisenhaften Spätphase der Weimarer Republik zwischen dem 1.Mai 1929 und dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933. Das Ganze ist spektakulär hochkarätig mit spielfreudigen Schauspielern wie Tobias Moretti, Christian Redl, Joachim Krol, Meike Droste oder Peri Baumeister besetzt und wuchtig-turbulent und in Sachen Ausstattung, (überflüssiger) Choreografien und filmischem Diskurs vielleicht etwas zu kulinarisch in Szene gesetzt, mit der Pointe, dass Gangster Mackie Messer am Schluss zum Banker wird, aber politisch auch hinreichend aktuell. Kurzum: Langs Film ist ein Fest vom Brecht-Kenner für Brecht-Kenner, zumal der Film weit über die „Dreigroschenoper“ hinausweist und munter andere Brecht-Werke wie „Im Dickicht der Städte“ einzuflechten versteht. Ein Problem könnte dabei allerdings sein, dass die Zahl der Brecht-Kenner in den vergangenen Jahrzehnten nicht gerade gewachsen ist. Längst ist Brecht kein Schulstoff mehr, und Brechts Aktualität wird mitunter gern behauptet, aber auch auf dem Theater immer seltener bewiesen. Lang arbeitet dieser mangelnden „Sexyness“ Brechts durch eine schmackhafte Aufbereitung des Stoffes entgegen; die Komplexität der vielfach verschachtelten Ebenen zwischen Fakt und Fiktion, Theorie und Praxis, Werk und Kommentar funktionieren als großer, umfassender V-Effekt. Konzeptionell clever, aber praktisch misslich ist die Idee, Brecht nur Dinge in den Mund zu legen, die dieser nachweislich gesagt oder geschrieben hat. Dadurch ist die Rolle Brechts, den Lars Eidinger spielt, etwas undankbar. Mit Ledermantel und Zigarre, nach einschlägigen Fotografien des Dichters, spricht Eidinger in glänzend formulierten und provokant pointierten Sentenzen, was ihn insgesamt eher als Klugscheißer denn als Revolutionär erscheinen lässt. Greift man indes beispielsweise zum „suhrkamp materialien“-Band der „Dreigroschenoper“ (1985), wird schnell deutlich, welche Masse an Texten und Kontexten Joachim A. Lang und sein beherztes Team hier auf etwas mehr als zwei Stunden Film und intellektuelles Dauerfeuer komprimiert haben. Wie schrieb Siegfried Kracauer diesbezüglich im Jahr 1930? „Niemand wird die technischen und finanziellen Schwierigkeiten verkennen, mit denen die Filmindustrie zu kämpfen hat. Aber sie sollte endlich lernen, dass sie sich nicht über Misserfolge und schlechte Kritiken beklagen darf, wenn sie immer nur die Künstler und ihre Werke den Routiniers des filmischen Produktionsprozesses zu unterwerfen sucht, statt die Produktivkräfte der Schaffenden selber zu nutzen.“ Joachim A. Lang hat diesen Vorschlag mustergültig realisiert.
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