Satire | USA 2018 | 436 (zehn Episoden) Minuten

Regie: Marti Noxon

Serienadaption von Sarai Walkers gleichnamigem Roman: Eine dicke Frau schlägt sich seit Jahren mit Diäten herum und beantwortet als Ghostwriterin der Chefredakteurin eines Frauenmagazins die Leserbriefe leidender Leserinnen. Einzig die Hoffnung, durch eine OP endlich ihr Traumgewicht zu erreichen, ist ein Lichtblick in ihrem eingeengten Dasein - bis sie in die Kreise einer Frauengruppe gerät, die weiblichem Selbsthass und einem restriktiven Frauenbild den Kampf angesagt hat. Diese könnte wiederum in Verbindung zu einer weiteren, radikaleren Guerillatruppe stehen, die mit blutigen Mitteln gegen männliche Verfehlungen vorgeht. Teils Tragikomödie, teils bissige Satire, rechnet die Serie clever, unterhaltsam und provokativ mit Diskriminierungsmechanismen ab, mit denen Frauen kleingehalten werden beziehungsweise sich selbst kleinhalten. Dabei profitiert die Serie von einem pointierten Buch und einer facettenreichen, vorzüglich gespielten Hauptfigur. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DIETLAND
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
AMC Studios/Skydance Television/Tiny Pyro
Regie
Marti Noxon
Buch
Marti Noxon · Jacqueline Hoyt
Kamera
Alison Kelly
Musik
Fil Eisler
Schnitt
Rachel Goodlett Katz · Terrell Clegg · Jacquelyn Herbert
Darsteller
Joy Nash (Alicia "Plum" Kettle) · Julianna Margulies (Kitty Montgomery) · Tamara Tunie (Julia) · Mark Tallman (Jake) · Adam Rothenberg (Dominic)
Länge
436 (zehn Episoden) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Satire | Serie

Diskussion
Dass die Serienadaption von Sarai Walkers gleichnamigem Roman mit „chick flicks“ à la „Bridget Jones“ nur bedingt etwas zu tun hat, schwant einem spätestens, wenn die ersten Männer vom Himmel fallen und tot auf der Straße liegen bleiben. Zwar gibt es auch hier eine pummelige Heldin, die mit ihrem Gewicht hadert, doch verbindet die Serie das Diät-Dilemma dieser Alicia „Plum“ Kettle (Joy Nash) erstaunlich stimmig mit einem derben Frontalangriff auf die „rape culture“, auf den Missbrauch und die Diskriminierung von Frauen. Schon der animierte Titelvorspann ist ziemlich makaber: Da kämpft sich eine rundliche Frauenfigur einen steilen Zucker-Berg hinauf und wird dabei immer schmaler – bis sie oben unter dem Titelschriftzug „Dietland“ ankommt, zum Skelett abgemagert. Soweit ist es bei Plum noch nicht. Sie kämpft seit Teenager-Tagen ebenso verbissen wie erfolglos gegen ihre Pfunde und hat sich von den immer wieder erlebten Sticheleien und Demütigungen wegen ihrer Figur soweit ins Bockshorn jagen lassen, dass sich ihr Aktionsradius nun auf ihre Wohnung, das Café ihres schwulen besten Freundes und den Versammlungsraum der Waist Watchers beschränkt – wie anschaulich eine der weiteren Animationen zeigt, die immer wieder in die Handlung eingeflochten werden. Eine Liebesbeziehung mit einem Mann kann sich Plum noch nicht einmal vorstellen, und ihr Geld verdient sie sich sozusagen als Unsichtbare, als Ghostwriterin, die im Frauenmagazin „Daisy Chain“ stellvertretend für die knallharte (und gertenschlanke) Chefredakteurin (Julianna Margulies) die Leserbriefe leidender Teenie-Leserinnen beantwortet. Ein Silberstreif am Horizont ist einzig die Aussicht, durch eine Magenverkleinerung endlich ihr Traumgewicht zu erreichen und sich von Plum in die sexy Alicia zu verwandeln, die sie in ihrer Fantasie schon vor sich sieht und für die sie bereits eifrig Kleider bestellt. Doch dann taucht das mysteriöse Goth Girl Leeta in Plums Leben auf und zieht sie hinein in die Aktivitäten einer Gruppe, die sich den Widerstand gegen eben jenes einengende Frauenbild auf die Fahnen geschrieben hat, mit dessen Folgen es Plum zu tun hat, wenn sie mal auf der Straße schräg von einem Mann angemacht wird oder wenn sie in den Leserbriefen über weibliche Minderwertigkeitskomplexe, Borderline-Störungen und Missbrauchserfahrungen liest. Und könnte diese Gruppe wiederum zusammenhängen mit der mysteriösen „Jennifer“, einer Guerilla-Gang, die sich in Hexenmasken Vergewaltiger und andere männliche Missetäter vornimmt, die Frauen verletzt und ausgebeutet haben, und blutige Exempel an ihnen statuiert? „Dietland“ ist eine Serien-Antwort auf die #MeToo-Bewegung, indem sie einerseits genüsslich ein „woman revenge“-Szenario gegen männliche Täter durchspielt, vor allem aber auch die Unterdrückungsmechanismen ins Visier nimmt, an denen Frauen selbst beteiligt sind (wofür die Redaktion einer Frauenzeitschrift ein gefundenes Fressen abgibt): die Denkmuster, die den sozialen Wert einer Frau vom Aussehen und ihrer „fuckability“ abhängig machen und dafür sorgen, dass sich das „schönere Geschlecht“ wegen angeblicher Defekte wie Fettpölsterchen, Cellulite und Falten in einen Energie-intensiven und für die Industrie äußerst lukrativen Kleinkrieg gegen den eigenen Körper stürzt, anstatt die persönlichen Ressourcen sinnvoller zu nutzen. Vergewaltiger von Autobahnbrücken zu stoßen, ist als Alternative zur Selbsthass-Spirale ziemlich radikal – die Wut und Frustration, die aus dieser Fantasie sprechen, dürften allerdings viele Zuschauerinnen nachempfinden können. Dass das Ganze nicht einfach nur eine bitterböse Satire ist, sondern immer wieder auch weichere, sensiblere Töne anschlägt, hängt nicht zuletzt mit der sorgfältig gezeichneten und von Joy Nash facettenreich und charismatisch verkörperten Hauptfigur zusammen: Schon nach kurzer Zeit lässt sich absehen, dass diese leidgeprüfte, intelligente, schüchterne, aber trotz allen Tiefschlägen immer noch von einem großen Lebenshunger angetriebene Figur zu erstaunlichen Entwicklungen fähig ist. Doch auch wenn in Gestalt des Polizisten Dominic schließlich sogar so etwas wie ein „love interest“ am Horizont auftaucht – eine romantische Erlösung durch einen Colin-Firth-mäßigen Prinzen wie bei „Bridget Jones“ dürfte für Plum kaum zu erwarten sein. Zuckersüß ist bei dieser ungewöhnlichen Heldin allenfalls das Gebäck, mit dem sie ab und an im Café ihres besten Freundes aushilft.
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