Embryo (2018)

Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 98 Minuten

Regie: Michael Wehmeyer

Der Dokumentarfilm erzählt vom Werdegang der Band Embryo, die seit vier Jahrzehnten im Bereich der Begegnung mit nicht-europäischer und nicht-amerikanischer Musik hohes Ansehen genießt. Er zeichnet die Entstehungsgeschichte aus dem Jazz über die Phase des deutschen Krautrocks bis hin zur Weltmusik nach. Dabei wird Archivmaterial aus der deutschen Popgeschichte, etwa die Hippie-Festivals in Vlotho, mit Ausschnitten aus den filmischen Tagebüchern der Band bei Reisen nach Afghanistan, Indien oder Nordafrika kombiniert sowie um Konzertauftritte in Deutschland oder andernorts ergänzt. Auf diese Weise wird eindringlich sicht- und hörbar, wie Musik zur Völkerverständigung beiträgt. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
rhythm4wind
Regie
Michael Wehmeyer
Buch
Michael Wehmeyer
Kamera
Werner Penzel · Michael Wehmeyer · Volker Tittel · Fritz Baumann
Musik
Embryo
Schnitt
Michael Wehmeyer
Länge
98 Minuten
Kinostart
06.09.2018
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation

Der Dokumentarfilm erzählt vom Werdegang der Band Embryo, die sich seit vier Jahrzehnten um die Begegnung mit nicht-europäischen und nicht-amerikanischer Musik hohe Reputation verdient hat.

Diskussion
Die eine Erklärung für den Namen der Münchner Band Embryo leitet sich vom Sound der drei Vokale e-i-o ab, die eine kleine Melodie ergeben. Die andere spielt auf die Möglichkeit der Weiterentwicklung an, die ein Embryo in sich trägt. So erinnern sich in dem gleichnamigen Film von Michael Wehmeyer die Musiker an den Anfang von Embryo. Wehmeyer, der selbst einmal Mitglied der Gruppe war, trägt die Historie der Band aus viel Archivmaterial zusammen und lässt die Musiker kommentieren. Vorab gibt es persönliche Informationen des Gründers Christian Burchard (1946-2018). Der lebte in Hof, spielte Vibraphon und schloss sich nach dem Abitur in Nürnberg einer Jazz-Band an. In den 1960er-Jahren tourte er mit dem Pianisten Mal Waldron, eine Art Lehrzeit, nach der er sich selbständig machte. Er wollte etwas Neues, ein eigenes Experiment. Während Burchard in sanftem Fränkisch von den Nürnberger Jahren erzählt, sieht man hauptsächlich Fotos. Es gibt wenig Filmmaterial aus diese Zeit; nur die Konzerte von Mal Waldrons Jazz-Band wurden gelegentlich mitgedreht. Bei denen steht Burchard am Vibraphon, Waldron sitzt am Piano. Burchards Körpereinsatz, seine Bewegung in und mit der Musik, macht seine Energie sichtbar. Es wirkt, als stürme er in die Klänge, damit sie ihm etwas anderes zeigen als das, was er schon kennt. Die Suche nach dem Neuen wurde für Burchard zum Grundprinzip seiner mehr als 50-jährigen Karriere, auch wenn es mit der Weltmusik noch etwas dauerte. 1969 entstand Embryo zunächst als Jazzrock-Band. Die Mitglieder zogen zusammen aufs Land; dazu sieht man im Film klassische Ansichten deutscher Musikerkommunen; kleine Kinder, viele Instrumente, endlos langes Haar. Aus dieser Zeit und später, als die Musiker in einem Hinterhaus in der Münchner Oefelestraße wohnten, gibt es viel Schmalfilm in bunten Farben; der Siegeszug von Super-8 oder Video als Medium für Home-Movies wird hier gleich mitdokumentiert. Zur Chronologie der Bandgeschichte gehört auch ein Stück deutsche Pop-Geschichte, mit einem Blick auf andere Independent-Bands sowie die Plattenindustrie. Embryo und andere, etwa Ton Steine Scherben, machten sich 1976 mit dem Label „Schneeball“ selbständig. Sie wollten „Musik im Vertrieb der Musiker“ und organisierten ihren eigenen Plattenverkauf, was die finanzielle Lage allerdings nicht verbesserte. „Geld gab es nie, manchmal Benzin“, kommentiert der damalige Embryo-Gitarrist Roman Bunka, der auch davon erzählt, dass das finanzielle Überleben als Musiker nur durch die Konzerte möglich war, und durch das Zusammenleben als Künstlerkollektiv. Der Film geht wenig auf Namen oder Personen ein. Christian Burchard wird genannt, alle anderen Protagonisten muss man kennen oder eben nicht. Roman Bunka identifiziert man, eine entspannte Stimme der Vernunft, sobald es darum geht, die Lage anschaulich zu erklären. Bunkas Poesie fließt auch in seine Saiteninstrumente, denn jedes Mal, wenn er eins davon aufgreift, treibt sein Spiel die Aufmerksamkeit des Publikums schlagartig nach oben. Bunka erzählt über die Reise von Embryo 1978 nach Indien, doch man versteht die Fremdartigkeit der Musik in den orientalischen Ländern besser, sobald man ihn mit einer zehnköpfigen afghanischen Kapelle spielen hört. Und: Man will mehr davon, denn man hat bei diesem Zusammenspiel erlebt, wie Musik die Welt eint. Die Konfrontation mit nicht-europäischer, nicht-amerikanischer Musik bestimmte die Zukunft von Embryo. Die Band veränderte sich durch Reisen nach Afrika und Asien, weg vom Krautrock, und auch das Publikum veränderte sich. Ethno-Interessierte stießen dazu, denn in den 1980er-Jahren war es lange vor dem Internet eine rare Gelegenheit, Musik aus obskurer Ferne zu hören. Die Band gehörte zu den Pionieren, die sich für die Weltmusik öffneten. Das tat sie profund: Die Musiker lernten in den von ihnen bereisten Ländern die dortigen Instrumente spielen, Melodien und Rhythmen verstehen. Das verlangte Übung und Mühe und Verstand, was man im Film gut sehen kann. Hören kann man es nicht ganz so gut, denn da unter den Bildern ständig Musik liegt, verliert man sie manchmal aus der Wahrnehmung. Trotzdem: Sobald die Schwierigkeit und die Schönheit fremder Motive explizit vorgespielt wird, hört man sie wieder gezielt. Das passiert in etlichen bemerkenswerten Passagen, meistens mit Roman Bunka an der Oud. Gegen Ende weicht der Film die Chronologie auf. Wehmeyer zeigt weitere Reisen, andere Verbindungen zu Musikern aus aller Welt. Embryo wandte sich nicht mehr nur nach draußen; die neuen Freunde wurden auch nach Deutschland geholt. Immer wieder gab es Auftritte mit Musikern unterschiedlichster Kulturen und Stilrichtungen, damit die allmähliche Verständigung beim Spielen öffentlich erlebt werden konnte. Das ist wahrscheinlich der entscheidende Punkt in der Rezeption der Band Embryo, und bestimmt auch ein entscheidender Punkt für die Welt: Man braucht nicht unbedingt eine gemeinsame Sprache, um miteinander zu kommunizieren. Es funktioniert auch, wenn man ein Instrument beherrscht oder Instrumenten einfach zuhört. Diese Erfahrung konnte man auf Embryo-Konzerten seit 40 Jahren machen; jetzt transportiert sie auch der Embryo-Film.
Kommentar verfassen

Kommentieren