Eingeimpft - Familie mit Nebenwirkungen

Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 100 Minuten

Regie: David Sieveking

Als frischgebackener Familienvater sieht sich der Dokumentarist David Sieveking plötzlich mit dem Problem konfrontiert, dass seine Frau die kleine Tochter nicht impfen lassen will. Er recherchiert vor laufender Kamera intensiv unter Impfgegnern wie Impfbefürwortern, gerät angesichts der Masern-„Epidemie“ 2017 in Berlin in dieser Frage aber auch unter sozialen Druck. Der autobiografische Film überzeugt nicht nur als wissenschaftlich-unterhaltsame Aufklärung in einer komplizierten Streitfrage, sondern auch als humoristische Radiografie von Sievekings Beziehung. Pointierte Nebensächlichkeiten verweisen auf größere Zusammenhänge und entfalten über das Private hinaus gesellschaftliche Relevanz. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Flare Film/Lichtblick Film
Regie
David Sieveking
Buch
David Sieveking
Kamera
Adrian Stähli · Kaspar Köpke
Musik
Jessica de Rooij
Schnitt
Catrin Vogt · Mirja Gerle
Länge
100 Minuten
Kinostart
13.09.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion

Das Baby lächelt, die Mama lächelt und auch der Vater ist glücklich. Alles könnte perfekt sein, wenn da nicht diese leidige Impfgeschichte wäre.

In „Vergiss mein nicht“ (fd 41 525) hat der Dokumentarist David Sieveking die Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter mit der Kamera begleitet. In „Eingeimpft“ erzählt er nun von seiner neuen Familie, der Liebe zur Filmkomponistin Rebecca und der Geburt der gemeinsamen Tochter, aber auch vom Streit, dem kleinen Wesen nur das Beste zu geben. Denn Rebecca hatte schon während der Schwangerschaft schlimme Erfahrungen mit den Nebenwirkungen einer Tetanus-Impfung gemacht. Sie wurde sehr krank und hätte das Kind fast verloren. David dagegen stand dem Impfen unvoreingenommen und im Grunde positiv gegenüber: „Das ist doch toll, eine Impfung gegen sechs bis sieben tödliche Krankheiten auf einen Streich.“

Rebecca fordert ihn auf, sich zu informieren, und das kommt Sieveking ganz recht, denn beruflich ist er längst nicht so erfolgreich wie seine Frau: „Ich werde Jessica jetzt einmal zeigen, wie ein Dokumentarfilmer recherchiert.“ Er interviewt Ärzte, Impfbefürworter und Impfgegner, etwa einen anthroposophischen Arzt, der von der „Impf-Inflation“ spricht, aber auch Vertreter der Pharmaindustrie. Er entdeckt, welche massiven wirtschaftlichen Interessen mit dem Impfen verbunden sind. Seine Recherchen führen ihn über das Robert-Koch-Institut in Berlin oder die Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf bis zu dem dänische Impfforscher Peter Aaby, der davon überzeugt ist, dass Impfungen die Lebensdauer verlängern. Allerdings nur die mit Lebendimpfstoffen; die häufig mit Aluminium konservierten Totimpfstoffe belasten das Leben dagegen.

Als Sieveking endlich glaubt, die Lösung gefunden zu haben, wird es für die Impfgegner in Berlin ernst. Mit der Masern-Epidemie 2017 steigt der gesellschaftliche Druck auch am Sandkasten. Angesichts seiner nicht geimpften Tochter muss sich Sieveking von Nachbarn und Freunden immer wieder anhören, dass die Kinder der Impfgegner doch nur gesund blieben, weil alle anderen Kinder geimpft seien. Auch innerhalb der kleinen Familie spitzt sich die Lage zu, als Jessica wieder schwanger wird.

David Sieveking dreht, so erzählt er selbstironisch aus dem Off, „unterfinanzierte Dokus, in denen mein Privatleben vorkommt“. „Eingeimpft“ ist sein dritter radikal autobiografischer Dokumentarfilm: nach „David wants to fly“ (fd 39 855), seiner religiösen und cineastischen Entzauberung um die Sekte seines Idols David Lynch, und „Vergiss mein nicht“ über seine demenzkranken Mutter. Sieveking ist ein höchst unterhaltsamer und bestechender Chronist eigener wie gesellschaftlicher Befindlichkeiten. Er steckt mittendrin in seinen Filmen, leidet, lacht und ist hundertprozentig präsent. Seine größten Stärken sind Wortwitz und Situationskomik, aber auch eine Kamera, die immer nahe an den Protagonisten ist.

„Eingeimpft“ ist daher nicht nur ein sehr unterhaltsamer Wissenschaftsfilm, sondern auch eine humoristische Radiografie seiner eigenen Beziehung. Subtil erzählt Sieveking vom alltäglichen Kampf der Geschlechter. Er scheut sich nicht zu zeigen, wie er in den schweren Pantoffeln des Familienvaters den schnellen Entscheidungen seiner Frau nicht hinterherkommt, sei es, dass sie die gemütliche Altbauwohnung in der Innenstadt gegen ein Eigenheim am bürgerlichen Stadtrand eintauscht, sei es, dass Sievekings geliebter, vom Großvater geschreinerter Schrank dort keinen Platz mehr hat. Am Ende bleibt dem Filmemacher nur die heitere Einsicht ins Unvermeidliche: „Seitdem die Kinder da sind, führe ich nicht mehr Regie in meinem Leben. Aber das Leben ist sowieso der bessere Spielleiter.“

Wie in den beiden Vorgängerfilmen weist Sieveking erneut durch pointierte Nebensächlichkeiten auf große Zusammenhänge hin und entfaltet über das Private hinaus gesellschaftliche Relevanz. Man erfährt viel über sein Familienleben, aber auch über ein gesellschaftliches Umfeld, das sich mit medizinischen Halbwahrheiten in Angst und Schrecken versetzt. „Eingeimpft“ ist damit auch eine sehr humorvolle soziologische wie psychologische Bestandsaufnahme junger akademischer Mittelschichtsfamilien in der deutschen Hauptstadt.

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